Muselmanen beten im Kölner Dom

Aber in Kölner Lokalen sind Türken unerwünscht
12. Februar 1965, 7:00 Uhr
P. S., Köln
Köln steht Kopf – aber nicht wegen der anbrechenden tollen Tage, sondern wegen der erstaunlichen Novität, daß der Dom einer fremden – oft „ungläubig“ genannten – Konfession seine Pforten zum Gottesdienst geöffnet hat. Die Kölner Arbeiter und Angestellten, die am 3. Februar in der Frühe zu ihren Fabriken und Büros trotteten, blieben in Domnähe verblüfft stehen und beobachteten türkische Gastarbeiter, die, den zusammengerollten Gebetsteppich unterm Arm, in das ehrwürdige Gotteshaus einzogen.
In den nördlichen Seitenschiffen des Doms feierten mehrere hundert Mohammedaner das Ende des islamischen Fastenmonats Ramadan. Auf den Steinfliesen des Kölner Doms wurden die Gebetsteppiche ausgebreitet; das Haupt gen Mekka geneigt, sprachen die Türken ihre Gebete. Ein Imam leitete den Gottesdienst im Schatten der christlichen Kreuze und Symbole, der Altäre und Statuen. Gastarbeiter, die sich keinen Teppich unter den Knien leisten konnten, hatten Zeitungen mitgebracht, die sie ausbreiteten „an der Stätte, an der 1147 Bernhard von Clairveaux zum zweiten Kreuzzug predigte“, wie die „Kölnische Rundschau“ vermerkte. Das Blatt meinte: „Der 3. Februar 1965 war ein Tag, der Religionsgeschichte gemacht hat.“
Das Kölner Domkapitel hatte im Einverständnis mit Kardinal Frings, einem der „Fortschrittler“ des II. Vatikanischen Konzils, der türkischen Gastarbeitergemeinde die Erlaubnis gegeben, das Ramadan-Ende im Dom zu begehen. Mehr hinter den Kulissen, so wußte die „Kölnische Rundschau“ zu berichten, hätten viele Gespräche hinüber und herüber stattgefunden. Zum erstenmal feierten Mohammedaner ihr höchstes Fest in einer katholischen Kirche. Noch vor einigen Jahren war der Plan, in Aachen eine Moschee für islamische Studenten zu bauen, auf den Widerstand der katholischen Kirche gestoßen.




Auf dem Konzil in Rom hatte der Islam gewissermaßen die Duldung, ja Anerkennung der katholischen Kirchenväter gewonnen. Der Papst hatte in einer Enzyklika tolerant von jenen gesprochen, „die Gott in der Form des Monotheismus, besonders in der Form des Islam, anbeten. Für alles, was in ihrer Gottesverehrung wahr und gut ist, verdienen sie unsere Achtung.“ Während der Debatten des Konzils verwandelten sich dann die Mohammedaner, gegen die jahrhundertelang Kreuzzüge geführt worden waren, in anerkannte Gläubige, „die einen einzigen persönlichen Gott anbeten und die durch religiösen Sinn und zahlreiche Beziehungen menschlicher Kultur uns nahestehen“.
Als die Türken im Kölner Dom ihr immer wiederkehrendes „Allahu akbar“ (Gott ist groß) gen Südosten, nach Arabien, ausgerufen hatten, dankte der Imam dem Domkapitel für die brüderliche Geste. Die Gastarbeiter warfen zum Zeichen persönlichen Dankes Geld in den Opferstock, dessen Inhalt dem weiteren Wiederaufbau des Domes zugedacht ist. Während indes die Domherren den Mohammedanern die Pforten weit öffneten, schlossen Kölner Lokale ihre Türen vor türkischen Gästen.
In der Domstadt leben fast 2000 Türken neben rund 48 000 anderen Gastarbeitern aus Italien, Spanien und anderen Ländern. Es trifft zu, daß es in Köln hin und wieder zu Messerstechereien kommt, an denen Gastarbeiter beteiligt sind, aber es ist nicht klar ersichtlich, weswegen just die Türken dafür pauschal verantwortlich gemacht werden. Immerhin erfuhr der Leiter der Beratungsstelle für türkische Gastarbeiter (Sitz Bonn), der 32jährige Seyfi Özgen, daß eine Anzahl von Gastwirten in und um Köln Lokalverbot für Türken verhängt hat oder noch aussprechen wird. Der Türke Özgen, der 45 Gastarbeitervereine mit über 30 000 Landsleuten betreut, ist aufgebracht: „Man versucht, uns Türken den Schwarzen Peter zuzuschieben.“
Dabei verweist Özgen auf Vorschriften in seinem Heimatland, wo – im Gegensatz zur Bundesrepublik – Stilette nur auf Waffenschein verkauft würden. Wer eine Waffe ohne Genehmigung mitführe, werde zu sechs Monaten Gefängnis ohne Bewährung verurteilt. In Bonn sagte Seyfi Özgen einem Journalisten: „Natürlich gibt es auch bei uns Verbrecher, aber wir Türken fühlen uns hier von Vorurteilen umgeben. Sprachschwierigkeiten und das Großstadtklima tun ein übriges.“ Özgen appelliert an die Polizei- und Ordnungsbehörden von Köln, den drangsalierten Türken zu helfen. Zimmer- oder Wohnungskündigungen für Türken sind an der Tagesordnung. Solche Arbeiter landen, wie özgen weiß, häufig in den Slums von Köln, von wo der Schritt zu kriminellen Handlungen nicht weit sei. „Böses Blut“ machen laut Özgen vor allem die Schilder an Kneipentüren, auf denen etwas unlogisch steht: „Wegen Schwierigkeiten mit ausländischen Gästen für Türken Lokalverbot.“
Das ist die Wirklichkeit 1965, Theorie und Praxis der Nächstenliebe, das ist die Spanne zwischen Konzil und Köln: Die Kirche reißt jahrhundertealte Mauern nieder, die Bürger selber richten sie wieder auf.
Zeit
Und heute? Kein Lokalverbot mehr, und das war es auch schon.
Man könnte eher sagen, daß sich die deutsche Bevölkerung sichtlich um die eigene Integration bemüht. Schließlich bedeutet „Köln” „colonia”, was wiederum „Kolonie” heißt. Die Besatzer wechseln nur von Zeit zu Zeit.