Ein Zeit-Artikel für die Damen und Herren Oberstudienräte der Republk:

Nationalismus

Dunkler Stolz


Von Pegida bis Peking: Die unheimliche neue Karriere des Nationalismus. von Jan Roß

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Die Hochkonjunktur des Nationalismus ist nicht auf Asien beschränkt. Das reizbare, aggressive Wirgefühl, die militante Behauptung einer kollektiven Identität und ihrer Besitzansprüche machen sich rund um den Globus bemerkbar. In Russland fährt Präsident Putin einen gespenstisch populären vaterländischen Isolations- und Konfrontationskurs gegen den Westen. In den USA verbindet die frappierend erfolgreiche Vorwahlkampagne des Immobilienkönigs Donald Trump einen marktschreierischen Patriotismus mit offener Feindseligkeit gegen lateinamerikanische Einwanderer.



In Europa lehnen sich rechte und linke Bewegungen gegen die Souveränitätsverluste durch Euro-Krise und Migration auf, gegen "Spardiktate" aus Brüssel oder die zunehmend wegbrechende Kontrolle des Staates über die Zusammensetzung der eigenen Bevölkerung. Mit Rechtsradikalen wie der französischen Postneofaschistin Marine Le Pen haben Linke wenig gemein – doch gegen eine Welt der offenen Grenzen, die Flüchtlinge ebenso in die europäischen Länder bringt wie die kalte Wettbewerbsluft des globalen Kapitalismus, stehen beide politische Pole.


Der bösartige, völkische Nationalismus ist ein Markenzeichen der Rechten, aber auch die Linke hat ihre nationale Nostalgie: das Heimweh nach dem Wohlfahrtsstaat des 20. Jahrhunderts, der noch Herr seines wirtschafts- und sozialpolitischen Schicksals war.Man glaubt gern, dass der Nationalismus ein Ausdruck von Unterentwicklung und gesellschaftlicher Rückständigkeit ist, dass er sich durch Modernisierung und sozialen Wandel abschleift und allmählich verschwindet. Doch das ist eine Illusion.

http://www.zeit.de/2015/36/nationali...tschland-china

Dunkler StolzSeite 2/2: Der Nationalismus ist hohl

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Der Grund für die merkwürdige Vernachlässigung des Nationalismus mag in seiner geistigen Leere liegen. Es gibt an ihm wenig zu deuten, zu diskutieren oder zu widerlegen; er ist intellektuell unergiebig. Der Islamismus ist, wie der Sozialismus, eine Ideologie, eine politische Glaubenslehre. Er erhebt den Anspruch, allgemeine Wahrheiten zu formulieren und sich an die gesamte Menschheit zu wenden. Das gilt für den Nationalismus nicht. Er kann sich programmatisch aufputzen und dem eigenen Volk allerlei Vorzüglichkeiten zuschreiben, auch ideelle und zivilisatorische. Aber im Grunde verficht er das Eigene nicht, weil es gut, sondern bloß weil es eben das Eigene ist. Daher sind auch alle politischen Gemeinschaften, selbst die aufgeklärtesten, für den Nationalismus anfällig. Zur festen Überzeugung von der eigenen Vortrefflichkeit kann sich notfalls jeder durchringen.


Der Nationalismus ist hohl. Aber das macht ihn nicht weniger mächtig und, wenn er außer Kontrolle gerät, gefährlich. Heute, wenn Panzer und Raketen über den Platz des Himmlischen Friedens rollen, lohnt es sich, für einen Augenblick daran zu denken.
http://www.zeit.de/2015/36/nationali...-china/seite-2