Wo sind die Kinder ?

Die viel zitierte „Selbstverwirklichung“ der Frauen kann den Geburtenrückgang in Deutschland nicht erklären. Auch die Männer hadern mit den neuen Erwartungen an Väter – und verzichten auf Familie. Teil 1 der neuen ZEIT-Serie
Vor zwei Wochen ging die Anlageberaterin Sabine Münster (Name von der Redaktion geändert), 36, zu ihrer Frauenärztin, um sich die empfängnisverhütende Spirale ziehen zu lassen. „Ich wünsche mir ein Kind“, sagt sie, „und ich habe nicht mehr viel Zeit.“ Münster steckt in einem Dilemma, das viele, vor allem viele gut ausgebildete Frauen zwischen 30 und 40 kennen: Nach einer anstrengenden und erfolgreichen Studien- und Berufsphase geraten sie unter Entscheidungsdruck. Sollen sie ein Kind bekommen, bevor es zu spät ist? Und wenn ja: mit wem?


Obwohl Sabine Münster attraktiv und beliebt ist und etliche ihrer Freunde das meiste stehen und liegen lassen würden, um mit ihr in einen Snowboard-Urlaub zu fahren, fehlt ihr der Mann, der sich auf eine Familiengründung einlassen will. „Jetzt überlasse ich es dem Zufall“, sagt Münster. „Ich finde das nicht ideal, aber was soll ich machen? Ich weiß, dass ich zur Not alleine klarkomme, auch mit einem Kind.“
Ein Einzelfall? Vielleicht. Aber in vielerlei Hinsicht bezeichnend, wenn man nach den Ursachen der deutschen Fortpflanzungsmisere sucht: Offenbar spielt das postfeministische Verhältnis von Männern und Frauen dabei eine Rolle; die neuen bildungsbegünstigten Berufsbiografien der Frauen; die geringe Sehnsucht der Männer, Familienarbeit zu übernehmen; die Schwierigkeit, work und life im flexiblen Kapitalismus in eine Balance zu bringen; die mitunter harten Anforderungen der Spaßgesellschaft; die psychische Verfassung einer Bevölkerung, der seit langem eingeredet wird, ihr reiches Land befände sich in der schwersten Krise seit Kriegsende.
Männer scheuen Hausarbeit und Unterhaltsverpflichtungen
Demografen weisen spätestens seit den achtziger Jahren auf den dramatischen Geburtenrückgang und seine Folgen hin, aber dass wir tatsächlich vor einem gewaltigen Problem stehen, hat sich im öffentlichen Bewusstsein nur langsam durchgesetzt. Was heißt es schon, wenn die Geburtenrate bei nurmehr 1,29 liegt, aber eigentlich bei 2,1 liegen müsste, um die deutsche Bevölkerung bei 80 Millionen zu halten? Und wer kann sich wirklich vorstellen, was es bedeutet, wenn im Jahr 2050 ein Erwerbstätiger fast allein für einen Rentner aufkommen muss? Das sind Zeiträume, in denen wir nicht zu denken pflegen. Und „Poppen für die Rente“, wie eine besonders plumpe Anzeigenkampagne es uns nahe legt, wollen wir ganz bestimmt nicht.
Wer allerdings schon heute eine sinnliche Anmutung davon erlangen möchte, wie eine alternde Gesellschaft mit wenigen Kindern und Seniorendominanz aussieht, der besuche Geschichtsvorlesungen an einer beliebigen Universität, kehre am Sonntagnachmittag in einem Landgasthof ein oder bereise weite Landstriche in Mecklenburg-Vorpommern. Ohne jede Altenfeindlichkeit und ohne allen Jugendwahn: Das sind keine guten Zukunftsmodelle. Zwar werden in der Debatte immer noch Stimmen laut, die gar nicht einsehen, warum die Deutschen überhaupt weiter existieren sollten, doch dieser historisch motivierte Selbsthass scheint langsam aus der Mode zu kommen. Die Gesellschaft in ihrer Mehrheit möchte vermutlich ganz gern fortbestehen – nur die individuelle Entscheidung zum Kind fällt immer schwerer, immer seltener und immer später, bei Frauen mit Ende zwanzig, bei Männern mit Anfang dreißig. Entgegen verbreiteten Annahmen gibt es (noch) keinen klaren Trend zur Ein-Kind-Familie, meist geht es um zwei Kinder – oder keins.
Wie ein Mantra wird der demografischen Implosion oft die „Zuwanderung“ entgegengebetet, so als ob sich damit alle Probleme lösen ließen. Doch Zuwanderung hat mindestens Nebenwirkungen: Zum einen zeigen die eingewanderten Frauen den erstaunlichen Eigensinn, ihr Reproduktionsverhalten innerhalb einer Generation den Gepflogenheiten ihrer neuen Gesellschaft anzupassen. Zum anderen gehen selbst die vorsichtig konstruierten Szenarien der „koordinierten Bevölkerungsvorausberechnung“ des Statistischen Bundesamts von mindestens 200000 Zuwanderern im Jahr aus – 10 Millionen, wenn im Jahr 2050 noch 75 Millionen Menschen in Deutschland leben sollen. Das ist nicht unmöglich, stellt aber eine Gesellschaft, die seit den fünfziger Jahren rund acht Millionen Zuwanderer nur sehr unentschlossen und oft mangelhaft integriert hat, vor gewaltige Herausforderungen. Deutschland ist eben, von seiner Mentalität her, doch kein Einwanderungsland wie die USA.
Eine andere Standardantwort auf die anhaltende Geburtenkrise ist mittlerweile Konsens zwischen allen Parteien: Es gelte, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf (für Frauen) zu verbessern. Gemeint ist damit stets ein Ausbau der Kinderbetreuungseinrichtungen, besonders für die unter Dreijährigen und die Schulkinder. Es gibt wenig, was gegen die Verbesserung der Betreuungs-Infrastruktur spräche. Aber das einzige, quasi per Knopfdruck zu beseitigende Hemmnis für die Familiengründung ist der (regional sehr unterschiedlich ausgeprägte) Platzmangel nicht. Die Sozialwissenschaftler Karsten Hank und Michaela Kreyenfeld vom Max-Planck-Institut für demografische Forschung in Rostock konnten in einer Studie, die die Lebensläufe von rund 3000 Erstgebärenden untersuchte, keinen Zusammenhang zwischen der Entscheidung für ein Kind und der lokalen Verfügbarkeit von Kindergartenplätzen feststellen. Großen Einfluss hingegen hatte die Existenz von „informellen Netzwerken“: Lebten die Eltern einer Frau am Ort, stieg die Wahrscheinlichkeit, dass sie sich für ein Kind entscheiden würde, sprunghaft an. *

* Damit ist gemeint oder bewiesen,das es weniger um Kitaplätze geht,als das die Großeltern als Sicherheit zur Verfügung stehen.Die Natur läßt Oma & Opa nicht einfach nur so oder aus Spaß noch am Leben,sie haben noch eine Aufgabe zu erfüllen -> die Enkelkinder.
Kitaplätze sind als Vorbereitung auf die Schule und als Entlastung der Eltern und Großeltern sicher sinnvoll -> Sie ersetzen aber nicht Familie und Großeltern.

Wenn wir aber in Kita und Schule den Kindern eintrichtern,das alles was nicht mit einer intakten Familie zu tuen hat,cool und erstrebenswert ist,dann gerät das ganze empfindliche Ökosystem Familie und damit ausreichend Nachwuchs außerhalb einer funktionierenden Machbarkeit.Ausreichend Kinder bekommen wir nur durch intakte Familien und diese brauchen
brauchen vor allem Sicherheit.
Finanziell,beruflich,Großeltern und auch untereinander.
Weder die Aussicht als Zahlvater zu enden,noch alleinerziehend von einem Aufbaukurs zum anderen zu rennen vermitteln einem das Gefühl von Sicherheit.

Und das ist ist ein großes Problem !

Wir bringen den Kindern bei,das Jungen als Vater und Ernährer im Prinzip überflüssig sind und den Mädchen das sie keine Männer oder Väter für ihre Kinder brauchen,denn sie können ja alles selber erreichen ohne bösen Mann.

Es scheint nicht zu funktionieren,das postmoderne feministische Traumata des "Ich kann das alles selber."Alice Schwarzer meinte einmal,alles was ein Mann kann,das kann eine Frau auch.
Das ist richtig,nur Eier legen und gleichzeitig auf die Jagd zu gehen,ist recht schwierig unter einen Hut zu bringen.Das geht natürlich schon,wenn man den Nachwuchs in reichlich Kitas unterbringen kann,so deren Gedanke.Dummerweise ersetzen diese aber nicht die Sicherheit und diese ist unabdingbar wenn es darum geht,Kinder zu haben.

Man kann der Natur eben doch nicht mal eben so alle Grundlagen entziehen,ohne das sie auf Fehler welche man macht,trotzig reagiert.

Wir haben keine Kinder.

MT ( Ich mußte das kommentieren,damit mein Hass auf feministische Pädagoginnen verständlicher wird. )

Weiter mit dem Orginal....

Diese Spur ist interessant. Denn um Betreuung, auch um die notwendige finanzielle Entlastung von Familien müssen keine ideologischen Schlachten mehr geschlagen werden; es mag in diesen Fragen noch ein Umsetzungsproblem geben, ein Erkenntnisproblem mit Sicherheit nicht. Unterbelichtet hingegen scheint bisher das Reich der persönlichen, generationstypischen, zeitgeistigen, arbeitsweltbedingten Frauen-und-Männer-Gründe, die gegen Kinder wirken. Die Gießener Familienwissenschaftlerin Uta Meier ermittelte in einer nichtrepräsentativen, gleichwohl aufschlussreichen Umfrage unter Studierenden und wissenschaftlichen Mitarbeitern der Universitäten Gießen und Marburg geschlechtsspezifische Antworten auf die Frage, was zum gegenwärtigen Zeitpunkt gegen ein Kind spräche: Die männlichen Befragten antworteten, sie müssten dann lebenslange Unterhaltsverpflichtungen akzeptieren; sie fürchteten die Unruhe, die ein Kind in ihre wissenschaftliche Arbeit bringen würde; sie hätten Angst, dass sie unliebsame neue Alltagsaufgaben übernehmen müssten. Die Frauen quälte in erster Linie die Sorge, nach der Geburt eines Kindes beruflich den Anschluss zu verpassen; und vielleicht den falschen Partner zu haben, der, wenn das Kind da sei, „sicher nicht“ helfen werde.
An diesen Antworten wird deutlich, wie vorbehaltlos Kinder nach wie vor den Frauen zugerechnet werden – nicht zuletzt von ihnen selbst. Gerade Akademikerinnen, die viel in ihre Ausbildung investiert haben und wissen, welchen beruflichen Einsatz man von ihnen erwarten wird, scheuen, vorausschauend, die Doppelbelastung. Rund vierzig Prozent von ihnen bleiben kinderlos, Tendenz steigend. Diese Entscheidung ist durchaus rational: Wenn sie aus karrieretechnischen Gründen häufig umziehen mussten, fehlt ihnen das wichtige informelle Unterstützungsnetzwerk – sie können ihr Baby ja schließlich kaum den neuen Kollegen auf den Schreibtisch setzen, während sie einen Termin wahrnehmen. Und der Partner entlastet die beruflich eingebundene Mutter nur selten: Familienforscherin Meier berichtet von Zeitbudget-Studien, nach denen frisch gebackene Väter gegenüber kinderlosen Männern ganze sechs zusätzliche Minuten am Tag mit Hausarbeit verbringen. Achtzig Prozent der Haushalts- und Fürsorgearbeit in Familien leisten die Frauen.
Die Abstinenz der Hochschulabsolventinnen wird in der Kinderlosigkeitsdebatte gern unfreundlich als „Selbstverwirklichung“ apostrophiert, womit Schuldige, aber noch keine Lösung des Problems gefunden wären. Schließlich dürften selbst Hardcore-Reaktionäre heute nicht mehr ernsthaft hoffen, die Töchter der Bildungsreform würden noch einmal vollständig an Herd und Kinderbett zurückkehren. Ohne neuen Geschlechtervertrag kann mithin gar nichts besser werden. Weiblicher Gebärstreik ist aber ohnehin höchstens die halbe Wahrheit: Sieht man genau hin, dann ist die Kinderlosigkeit in dieser Gesellschaft eher ein Trend, der von der Avantgarde der Gebildeten insgesamt ausgeht – mit besonders schlechten Ergebnissen für die Männer. 52 Prozent der Akademikerinnen zwischen 30 und 35 Jahren sind (noch) kinderlos, aber 59 Prozent der männlichen Hochschulabsolventen; bei den 35- bis 40-Jährigen sind es 34 Prozent der Frauen und 41 Prozent der Männer. Bei den Hauptschulabsolventen liegt die Quote der dauerhaft Kinderlosen weit darunter, auch hier sind es aber die Männer, die häufiger ohne Nachwuchs bleiben.
Offenbar entschließen sich diejenigen, die es sich materiell am wenigsten leisten können, noch vergleichsweise am häufigsten zur Familiengründung. „Gespaltenes Fertilitätsverhalten“ nennt Uta Meier das, und es mag unter anderem damit zu tun haben, dass Frauen auf einen Job als Aldi-Verkäuferin leichteren Herzens verzichten als auf eine Professur. Die Akademiker setzten aber durchaus Standards, erfährt man beim Wiesbadener Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung: Kinderlosigkeit konzentriere sich heute vor allem im hoch qualifizierten Karrieremilieu, zunehmend aber auch in der „unteren Mitte“, im „Milieu der konkurrierenden Risiken und Ereignisse“, wo Kinder den unmittelbaren Verzicht auf Konsum, Urlaub oder Auto bedeuteten.
Ohne Erziehungszeiten keine Gehaltserhöhung
Die Zurückhaltung der Männer bleibt das eigentlich Spannende: Ist die Familiengründung für sie weniger attraktiv, wenn sie nicht die unbestrittene Rolle des Ernährers und Haushaltsvorstands einnehmen? Bundesfamilienministerin Renate Schmidt vermutet, dass es letztlich häufiger die Männer als die Frauen seien, die bei einer Entscheidung für oder gegen ein Kind den Ausschlag gäben. Viele junge Männer könnten nicht zwischen Spaß und Freude unterscheiden, sagt Schmidt – jedenfalls dann nicht, wenn die Freude Mühe koste.
Der Berliner Familiensoziologe Hans Bertram beobachtet in diesem Zusammenhang eine Verschiebung der emotionalen Machtbalance zugunsten der Männer. „Wenn sie gut verdienen, können sie alle Hausarbeiten problemlos outsourcen“, sagt Bertram, „dafür brauchen sie keine Frauen. Und in einer enttraditionalisierten Gesellschaft, in der die Sexualität befreit, also überall ohne Auflagen verfügbar ist, sinkt der Marktwert derjenigen, die zusätzlich belastet sind, zum Beispiel durch einen Kinderwunsch.“ Das aber sind nun einmal in erster Linie die Frauen, die durch ihre Körperlichkeit und vielfältigen Rollenzuweisungen gezwungen werden, sich zur Kinderfrage zu verhalten – so oder so.


Das Gefühl, trotz aller Bildungs- und Emanzipationserfolge unterlegen und emotional abhängig zu sein, mag mit dieser tektonischen Verschiebung im Postfeminismus zu tun haben – es schlägt sich nieder in vielfältiger neuer Frauenliteratur von Bridgets Jones’ Tagebuch bis zu Ildikó von Kürthys „Stoß mich, zieh dich“-Heldinnen, die Schwierigkeiten haben, sich zwischen Männerverehrung und Selbstständigkeitslust zu orientieren. Die korrespondierende Haltung der neuen Männer hat Andreas Laudert in seinem Roman Die Unentschiedenen geschildert. Sein Held Christoph ist der Prototyp einer sich verweigernden Männergeneration: „Manche fanden die Gleichgültigkeit anziehend, die von ihm ausging. In Wahrheit wusste er bloß nicht, was er wollte. Nie kam er über das verspielte Beginnen hinaus, das zu nichts verpflichtete. Er ertrug es nicht einmal, durch seine eigenen Wünsche zu etwas verpflichtet zu sein.“
Was vorgeschlagen wird, um diesen Trend zu wenden; um für Rente, Produktion und Konsum die notwendigen Beitragszahler, Arbeitskräfte und Käufer im eigenen Lande zu rekrutieren, wirkt dagegen oft naiv, romantisch oder rührend hilflos. Wenn Männer und Frauen doch nur sehen wollten, dass es für die Erfüllung des nach wie vor nicht unpopulären Kinderwunsches im modernen Arbeits- und Freizeitleben absolut keinen perfekten Zeitpunkt gibt! Wenn sie es aber einsähen, ginge es jederzeit, am besten früh, bevor Torschlusspanik sich breit macht. Gerade die Universitäten könnten dabei eine Schlüsselrolle spielen: Sie müssten junge Leute zur Familiengründung ermutigen und sie darin unterstützen – oder wenigstens dafür sorgen, dass Hochschulabschlüsse in einem vernünftigen Alter erreichbar sind. Am Arbeitsplatz könnte Frauen, und vor allem Männern, künftig die Familienerfahrung als wichtige sozial-berufliche Kompetenz gutgeschrieben werden: „Wie, noch keine Kinder? Dann wird es mit der Beförderung wohl auch noch eine Weile dauern!“

Eltern halten, volkswirtschaftlich betrachtet, viel mehr als Singles den Betrieb am Laufen; sie dürfen am Ende nicht die Dummen sein. Aber vielleicht geht die moderne Zeit mit Sabine Münster. Vielleicht gehen immer mehr Frauen allein ihren Weg – mit Kind und Beruf und ohne Papa.


Quelle hier