Alle Bürger Europas müssen länger arbeiten. Wirklich alle? Nein, es gibt einige Ausnahmen:



Die FAZ berichtet:

Renteneintrittsalter

Europas Bürger müssen länger arbeiten

Der demographische Wandel zwingt immer mehr EU-Staaten, das Renteneintrittsalter anzuheben. In Deutschland ist schon jetzt gesetzlich festgelegt, dass das Renteneintrittsalter schrittweise bis 2029 auf 67 Jahre steigt. Ob das genügt? Nach Überlegungen der EU könnte das Renteneintrittsalter auf 70 Jahre steigen.

Von Michael Stabenow und Kerstin Schwenn

28. Mai 2010

Die Wirtschaftskrise und der demographische Wandel zwingen immer mehr EU-Staaten, das Renteneintrittsalter anzuheben. Neben Griechenland, Spanien und Frankreich, wo die Pläne zur Erhöhung des gesetzlichen Rentenalters von derzeit 60 Jahre am Donnerstag mehrere hunderttausend Demonstranten auf die Straßen trieben, schlagen auch die Niederlande diesen Weg ein. Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften haben sich jetzt auf eine Anhebung des Rentenalters von 65 auf 67 Jahre verständigt. Dies soll in zwei Stufen – 2015 und 2025 – geschehen. In Deutschland ist schon gesetzlich festgelegt, dass das Renteneintrittsalter schrittweise bis 2029 von 65 auf 67 Jahre steigt.

Auch die Europäische Kommission wird in Kürze Überlegungen für eine längere Lebensarbeitszeit vorlegen. Das Diskussionsdokument („Grünbuch“), das Ende Juni erwartet wird, soll weder konkrete Vorschläge noch Empfehlungen enthalten. Es stehe aber außer Zweifel, dass die Menschen künftig mehr Zeit im Berufsleben verbringen müssten, wenn die sozialen Sicherungssysteme finanzierbar bleiben sollten, hieß es am Freitag in der Kommission. Die Zuständigkeit für die sozialen Sicherung liege nicht bei der Gemeinschaft, sondern in den Mitgliedstaaten. Allerdings sei die Rentenpolitik ein wichtiger Baustein für die Wahrung der Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Wirtschaft. Zudem berühre die Rentendebatte auch EU-Regelungen zu Pensionsfonds sowie die Finanzierung der Staatsfinanzen. Deshalb seien außer Sozialkommissar László Andor auch Binnenmarktkommissar Michel Barnier und Wirtschaftskommissar Ollie Rehn in die Vorbereitung des Grünbuchs eingebunden.

Schon in ihrer im Februar vorgestellten Strategie „Europa 2020“ hatte die Kommission auf die dramatischen Folgen des demographischen Wandels verwiesen. Dauere der aktuelle Trend an, kämen in der EU im Jahr 2060 auf jeweils einen über 65 Jahre alten Bürger nur zwei arbeitende Menschen; derzeit liege das entsprechende Verhältnis noch bei 1 zu 4. In den kursierenden Entwürfen des Grünbuchs sind weitere Berechnungen enthalten: Demnach könnte das Renteneintrittsalter – bei einer im Jahr 2060 um sieben Jahre gestiegenen Lebenserwartung – auf knapp 70 Jahre ansteigen.

Auch in Deutschland müssten im Jahr 2050 Personen im Alter von 68 oder 69 noch arbeiten, wenn man das von der Europäischen Kommission als „gesund“ erachtete Zahlenverhältnis von einem Rentner zu zwei Erwerbstätigen aufrecht erhalten will. Allerdings gilt dies nur, wenn man allein die aktuellen Bevölkerungsprognosen zugrundelegt. Doch reicht es nicht aus, nur die Zusammensetzung der Bevölkerung nach Alter zu betrachten.

Wenn es um das Verhältnis von Rentnern zu Erwerbstätigen geht, sind noch andere Aspekte relevant, wie Martin Gasche vom Mannheimer Forschungsinstitut Ökonomie und demographischer Wandel (Mea) betont. „Wenn das Verhältnis von 2 zu 1 unterschritten wird, geht die Welt nicht unter. Man muss berücksichtigen, dass die Erhöhung der Altersgrenze nur eine von vielen Möglichkeiten ist, dieses Verhältnis von Rentnern zu Erwerbstätigen zu verbessern“, sagte Gasche dieser Zeitung in Berlin. Der Druck auf eine weitere Heraufsetzung des Rentenalters könne sinken, wenn die Erwerbstätigkeit von Frauen und die Erwerbsbeteiligung Älterer steige. Einen ähnlichen Effekt erreiche man mit einer Verkürzung der Ausbildungszeiten. Zudem sei nicht nur die Anzahl der Köpfe von Bedeutung. „Sind die Erwerbstätigen gut ausgebildet, also produktiv, fällt es ihnen leichter, eine bestimmte Anzahl von Rentnern zu versorgen“, erläuterte Gasche.