Robert Spaemann außerdem über Rousseau, Redefreiheit, Klimagipfel, Bankenkrise, das Verhältnis von Demokratien zu Religionen und die Tatsache, dass Wahrheit sich auch durch eine demokratische Entscheidung nicht beugen lässt.

Eine Reaktion des Universalgelehrten Alan Posener ist bisher weder in schriftlicher noch in cineastischer Form bekanntgeworden.

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DIE WELT

Philosoph Spaemann

"Minarette sind für den Islam nicht lebenswichtig" - - Von Paul Badde 11. 12. 2009

Der Minarett-Streit war logisch: Im Interview mit WELT ONLINE sagt Philosoph Robert Spaemann, dass Demokratien kaum Konzepte haben, um religiöse Gruppen zu versöhnen. Obwohl ihm ein muslimischer Sohn lieber als ein atheistischer wäre, würde er seine Tochter nur ungern mit einem Muslim verheiraten.

WELT ONLINE: Wie würden Sie als Philosoph heute die Gretchen-Frage unserer Tage formulieren?

Robert Spaemann: Genau so: Wie hältst du es mit der Religion?

WELT ONLINE: Das war zur Zeit Goethes eine Kernfrage, aber heute doch nicht mehr.

Spaemann: Soziologisch gesehen, mag stimmen, dass die meisten Menschen das nicht mehr als Kernfrage betrachten. Diese Ansicht teile ich nicht.

WELT ONLINE: Die Gottesfrage ist aber auch die Wahrheitsfrage. Sind das denn gesellschaftsrelevante Kategorien?

Spaemann: Gewiss. Schon Jean Jacques Rousseau hat darauf hingewiesen, dass die „unbesiegbare Natur“ zurück schlägt, wenn die Herrscher falsche Gesetze erlassen und gegen die Ordnung der Dinge verstoßen. Wahrheit lässt sich auch durch eine demokratische Entscheidung nicht beugen. Es kann sehr wohl einer demokratischen Entscheidung unterliegen – und das sagt auch Rousseau – wenn in einem Land gegen die Natur der Dinge gehandelt wird. Dann kann man nur abwarten, bis die Katastrophen eintreten und es sieht aus, als wären wir heute in genau dieser Lage. Es ist der Kern des Klimagipfels und es war der Ursprung der Bankenkrise, dass fundamentale Wahrheiten außer Acht gelassen wurden. Entweder wir beugen uns diesen eisernen Gesetzmäßigkeiten für unser Überleben, vor allem für das Überleben unserer Kinder und Enkel, oder wir tun es eben nicht und dann müssen allerdings nicht wir die Zeche zahlen, sondern unsere Nachkommen.

WELT ONLINE: Von Rousseau – dem Vater der heimatlosen Bürger und Intellektuellen, wie Sie sagen – stammt auch die Problematisierung der Natur zugunsten des Willens. Danach war dieser Denker für viele Verwerfungen der Neuzeit mitverantwortlich. Kommt er aber vielleicht erst heute ans Ziel, wo zum Beispiel der Wille auch über das Geschlecht entscheidet und nicht mehr die primären und sekundären Geschlechtsmerkmale?

Spaemann: Ja, das ist eine extreme Konsequenz dieses Denkens. Sozialisierung als „Denaturierung“, wie Rousseau sagt. Menschenwürde soll nichts mehr zu tun haben mit menschlicher Natur, sondern nur mit menschlicher Selbstbestimmung, also nur mit dem menschlichen Willen. Dann kommen so absurden Blüten heraus wie in Spanien, wo Sie zum Standesamt gehen und sagen können, ich möchte eine Frau sein, bitte schreiben sie mich um. Und dann sind sie eine Frau und dürfen auf die Damentoilette gehen.

WELT ONLINE: Was können wir sonst noch von Rousseau lernen, wo die Natur zu einem beherrschenden Thema unserer Zeit geworden ist?

Spaemann: Es gibt etwas wie eine menschliche Natur, und die kann nicht einfach ersetzt werden durch Willen. Wenn wir die Menschenwürde nur als Achtung seiner Selbstbestimmung verstehen, ohne auf die Natur Rücksicht zu nehmen, sind wir bei dem Kannibalen von Rothenburg, der im Internet jemanden gefunden hat, der sich gerne von jemandem töten und aufessen lassen wollte. Das haben sie dann auch auf die grauenhafteste Weise praktiziert. Vor Gericht hat der Mann dann gesagt, ja, was wollt ihr denn? Wir waren doch vollkommen selbst bestimmt. Der andere hat sich freiwillig gemeldet. Er wollte umgebracht und von mir gegessen werden. Und ich wollte gern jemanden umbringen und essen. Das ist doch perfekt. Wir haben uns also gegenseitig in unserer Menschenwürde geachtet und ergänzt. Zum Glück ist das Gericht dieser Argumentation nicht gefolgt. Man hat den Mann verurteilt, aber seine Verteidigung war eigentlich konsequent.

WELT ONLINE: Ist Ihnen der Kannibale da nicht auch ein Stück entgegen gekommen, philosophisch gesehen?

Spaemann: (lacht) Ja, ein besseres Beispiel hätten ich mir kaum ausdenken können, ohne als absurder Konsequenzmacher zu erscheinen.

WELT ONLINE: Dennoch bleibt Selbstbestimmung – mehr als Gott – gesellschaftlich ein brennend heißer Konfliktpunkt. In Köln wurde vom „Autonomen Lesben- und Schwulenreferat“ gerade versucht, eine Ringvorlesung von Professorin Edith Düsing zu sprengen, weil sie im Frühjahr in Marburg eine Erklärung gegen den Druck unterzeichnet hatte, mit dem Homosexuellenverbände den Kongress „Psychotherapie und Seelsorge“ verhindern wollten.

Spaemann: Das ist ungeheuerlich und wird leider immer schlimmer. Generell ist die Meinungsfreiheit jetzt schon auf katastrophale Weise eingeschränkt im Vergleich zu den 50er Jahren. Wir lebten damals in einem viel freieren Land. Heute liegen Tretminen überall. Das ist neu. Das Tolle ist aber jetzt, dass Frau Düsung nicht über Homosexualität sprechen wollte, sondern über Schiller und Nietzsche. Als Person darf sie jetzt also nicht mehr auftreten, weil sie einmal – wie zum Beispiel auch der bekannte sozialdemokratische Verfassungsrichter Ernst-Wolfgang Böckenförde – Freiheit der Rede auch für Leute verlangte, die Homosexualität für einen Defekt halten.

WELT ONLINE: Wundert sie das?

Spaemann: Es empört mich. Hat Frau Düsing denn gegen Schwule geredet? Nein, sie hat ein Manifest unterschrieben, das verlangt, dass die Leute frei reden dürfen. Der Vorgang ist nicht nur absurd, sondern gefährlich.

WELT ONLINE: Warum?

Spaemann: Unter meinen guten Freunden sind mehrere Homosexuelle. Mit denen bin ich darin einig, dass die Abwesenheit der Anziehungskraft des anderen Geschlechts ein anthropologisches Manko ist.

WELT ONLINE: Wieso?

Spaemann: Weil auf dieser Anziehungskraft die Fortexistenz der menschlichen Gattung beruht. Darum kann man nicht sagen, die Abwesenheit dieser Anziehungskraft sei so normal wie die Existenz dieser Anziehungskraft. Auf dem einen beruht die Fortexistenz der Gattung und auf dem anderen eben nicht. Da fehlt etwas. Das muss jemand doch sogar, wenn es falsch wäre, sagen dürfen, ohne dass ihm Homosexuellenhass angehängt wird. Das ist geradezu lächerlich, wenn ich an meine homosexuellen Freunde denke.

WELT ONLINE: Zurück zur Gretchenfrage. Sie haben kürzlich einmal gesagt, Ihnen wäre es lieber, Ihr Sohn würde Muslim werden als Atheist? Ist das Ihr Ernst?

Spaemann: Natürlich. Denn ein Muslim glaubt an Gott, was immer er darunter versteht. Er hat ein sehr beschränktes Gottesbild. Aber er glaubt immerhin an den Schöpfer des Himmels und der Erde, der am Ende das Gute belohnt und das Böse bestraft. Er glaubt an ein ewiges Leben. Er glaubt sogar an die jungfräuliche Geburt von Jesus. Das ist mir schon lieber als der Glaube eines Atheisten.

WELT ONLINE: Und wenn Ihr Sohn eine Muslima heiraten würde? Wäre Ihnen diese Schwiegertocher auch lieber als eine Atheistin?

Spaemann: Ja, doch passen Sie auf. Eine muslimische Schwiegertochter vielleicht ja. Aber ein muslimischer Schwiegersohn, das wäre mir allerdings gar nicht lieb.

WELT ONLINE: Warum nicht?

Spaemann: Weil meine Tochter dann nichts zu lachen hätte.

WELT ONLINE: Denken Sie, dass Ihre Tochter bei einem Atheisten mehr zu lachen hätte?

Spaemann: (lacht) Vielleicht schon. Sie kann ja dann immerhin noch eine Christin bleiben. Wenn sie aber einen Moslem heiratet, dann gnade ihr Gott.

WELT ONLINE: „Liebe Minarette, ich habe keine Angst vor Euch“, hieß es kürzlich in einem Kommentar F. J. Wagners in der BILD-Zeitung. Wie würden Sie die Minarette in einem Brief ansprechen?

Spaemann: (lacht) Ich habe mich in den Gedanken noch nicht vertieft, dass man Minarette ansprechen kann. Ich würde ihnen sagen, jetzt überlegt doch einmal, ihr wärt doch nicht sehr froh, wenn in einem muslimischen Land große Kirchtürme in den Himmel hinein gebaut würden. Ihr erlaubt ja noch nicht einmal den Kirchenbau. Da lassen wir doch ein bisschen die Kirche im Dorf. Ihr Minarette seid ja doch nicht lebenswichtig für den Islam. Ich würde aber bis zum Letzten euer Recht auf freie Religionsausübung verteidigen. Und auch euer Recht, eine Moschee zu haben, wenn die Muslime in dieser Stadt so zahlreich sind. Aber es muss ja nicht das Minarett sein – das mich prinzipiell nicht stört, viele aber doch aufreizt. Da wollen wir doch auch ein bisschen auf Gegenseitigkeit sehen.

WELT ONLINE: Würde Sie denn auch hier in Rom ein Minarett in der Sichtweite von Sankt Peter prinzipiell nicht stören?

Spaemann: Doch, das würde mich schon stören.

WELT ONLINE: Würden Sie dagegen protestieren wollen, wenn es dann käme? Was wäre Ihre Reaktion?

Spaemann: Nun ja, wir sind es ja gewohnt, dass die Geschichte nicht so läuft, wie wir es oft wünschen. Und wenn es dann anders kommt, lernen Christen doch, dahinter den Willen Gottes zu suchen und zu ergründen. Ich würde also sicher keine Bomben unter Minarette legen.

WELT ONLINE: Zur Debatte um die Minarette lässt sich ja das Beieinander von Synagogen und Moscheen und Kirchen vielleicht am besten in Jerusalem studieren, zum Rufen der Muezzine, dem Läuten der Glocken und der Sirene, die den Sabbat wie einen Fliegeralarm einheult – doch zum Preis einer riesigen Spannung. Ist diese Spannung der notwendige Preis eines Miteinanders zwischen Kirchturm und Minarett?

Spaemann: Das weiß ich nicht. Ich weiß zum Beispiel nicht, wie es in Bosnien zur Zeit der Habsburger war. Verglichen mit heute, gab es da aber wohl ein sehr friedliches Miteinander. Auch im Libanon gab es einen akzeptablen Modus Vivendi, der erst zerstört wurde durch den Nahostkonflikt und die vertriebenen oder flüchtigen Palästinenser, die das sehr labile Gleichgewicht im Miteinander der Religionen in Unordnung gebracht haben. Religionen sind nun einmal gefährlich. Der Unglaube ist, wie das 20. Jahrhundert gezeigt hat, noch gefährlicher. Der Mensch ist eben gefährlich für seinesgleichen.

WELT ONLINE: Aber wie deuten Sie es denn, dass nach dem Ende des kalten Krieges die traditionellen multikulturellen Gesellschaften Europas – wie im klassischen Beispiel Sarajewo – als erste in die Luft flogen?

Spaemann: Ich deute das so, dass die Demokratie allein – ohne andere eingeprobte Sicherungen – für solche multiethnischen und multikulturellen Kulturräume wohl doch nicht immer die beste aller Lösungen parat hat. Denn der reinen Demokratie wohnt ja immer der Hang inne, dass eine Mehrheit die Minderheit drangsaliert. In der Demokratie zählt der Mehrheitswille des Volkes – und wenn die Mehrheit des Volkes rabiat ist und sich durchsetzen will, dann kann sie das machen. Das Mehrheitsprinzip kann also durchaus auch zu Terror und Tyrannei führen. Wer sagt, das sei doch undemokratisch, ist blauäugig. Auch Exzesse sind überhaupt nicht a priori undemokratisch. In Bosnien hat das Zusammenleben funktioniert unter dem Kaiser in Wien. Es hat funktioniert unter dem Diktator Tito, und es hat – da kann man sagen, was man will – im Irak unter Saddam Hussein funktioniert. Im Irak haben die Christen anderthalb Jahrtausende friedlich mit der großen muslimischen Mehrheit gelebt. Jetzt, wo das Land demokratisiert wird, werden sie verjagt.

WELT ONLINE: Sie sprachen vorhin von den freieren 50er-Jahren. Ist die Welt heute aber nicht zumindest sicherer geworden als etwa in den 90er-Jahren?

Spaemann: Um Himmels willen nein! Es war nicht weise, die Demokratie in solche Länder zu exportieren ohne die Demokratie einschränkende Proporzsysteme. Die Welt ist ein Pulverfass geworden. Wir vergnügen uns noch, aber wir gehen keinen vergnüglichen Zeiten entgegen.

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http://www.welt.de/kultur/article550...nswichtig.html

http://www.morgenpost.de/politik/art...nswichtig.html