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Siempelkamp zur Energiekrise: „Das hier ist eine Planloswirtschaft“
Energiekrise
„Das ist der Irrsinn unseres aktuellen Strommarktes“
Die Gießerei-Unternehmer Georg Geier und Dirk Howe von Siempelkamp warnen vor irreparablen Folgen durch die hohen Strompreise. Und richten einen dramatischen Appell an die Politik.Beim Weltmarktführer Siempelkamp aus Krefeld beschäftigen die Geschäftsführer Dirk Howe und Georg Geier 450 Mitarbeiter. Das Unternehmen verschmilzt 60.000 Tonnen Gusseisenteile im Jahr. Die Gießerei liefert die Komponenten für Offshore-Windräder, Großmotoren für Gas und LNG-Motoren in Kraftwerken. Es stellt Strukturbauteile her, die entscheidend sind für Kupfer- und Lithiumminen, für Zementwerke, Stahlwalzanlagen und Batteriefolien. Auch BMW , Tesla , Audi oder Apple und Samsung pressen Karosserien oder Handy-Teile auf Siempelkamp-Strukturgussteilen.WirtschaftsWoche: Herr Howe, Herr Geier, sie leiten eine Gießerei in Krefeld. Ihre Branche ist wie kaum eine andere von den hohen Energiepreisen betroffen. Wie schlimm ist die Lage?
Dirk Howe: Unsere Branche steht extrem unter Druck. Die Insolvenzliste in der Gießereibranche ist lang: Focast Lüneburg, Procast aus Gütersloh, Meiko aus Ettenheim, die Gienanth-Gruppe, Sachsenguss und Frankenguss, Wilhelm Funke, die Hasenclever Gruppe, 595 Flossenburg. Das sind alles kleine und mittelgroße Unternehmen, die kämpfen leise, nicht mit so einem Donnerschlag wie VW oder Thyssenkrupp . Diese Leute können verantwortlich wirtschaften – aber sie ächzen unter den Standortbedingungen: hohe Energiekosten, Bürokratie, Auflagen aus Brüssel. Und dann die brachial subventionierte Billigkonkurrenz aus China. Wir sind mit unserem Geschäftsmodell weit davon entfernt. Aber Sorgen mache ich mir schon.Aber ist es so schlimm, wenn es hierzulande ein paar Gießereien weniger sind?
Georg Geier: Klar kann man anderswo auf der Welt einkaufen, wo die Energie billiger ist. Aber wir in Deutschland setzen auf den Maschinenbau als Schlüsselbranche. Wir sehen in der Chemie und der Pharmaindustrie die Konsequenzen der Wegverlagerung aus Deutschland – Teile der Wertschöpfungsketten sind hier nicht mehr verfügbar. Schließen wir die Gießereien und die Schmieden, die dem Maschinenbau zuliefern, verliert auch diese Exportbranche seine Innovationskraft. Wer auf einem anonymen Weltmarkt sourcen muss, ist nicht mehr der erste Kunde, sondern muss sich hinten anstellen.Aber auch Ihre Wettbewerbsfähigkeit hängt am Strompreis.
Howe: Unsere Strukturbauteile bilden das Herz von Hightech-Maschinen – die Kunden wertschätzen unsere engen Partnerschaften. Die Beziehungen sind über Jahre aufgebaut, das gibt man nicht sofort auf. Dauerhaft aber, das sagen sie, können sie die hohen Preise nicht mitmachen. Wir haben Energieteuerungszuschläge eingeführt, die gibt es weder in China noch in Amerika, und in nordischen Gießereien auch nicht. Wir produzieren nachhaltig effizienter als der Wettbewerb – die exogenen Kosten drängen uns aus einem fairen Wettbewerb raus.Und jetzt zum Winter steigt der Strompreis wieder.
Geier: Im Vergleich zum Durchschnitt von unter 40 Euro je Megawattstunde aus den Jahren 2017 bis 2019 hat sich der Strompreis aktuell verdreifacht. Der Strompreis lag im November in Deutschland durchschnittlich bei 114 Euro je Megawattstunde. In Frankreich und Spanien aber kostet die rund 100 Euro, in Skandinavien zwischen 8 und 73 Euro. Wir fahren in Deutschland mit Gas- und Braunkohle. Und importieren Atomstrom aus Frankreich. Deshalb kommen die hohen Preise zustande – über 800 Euro je Megawattstunde im letzten Monat in der Spitze. Wer behauptet, wir seien wieder auf Vorkrisenniveau, blendet die Realität aus. Denn bereits ab dem Sommer 2021 wurde der Energiemarkt Ziel künstlicher Verknappung.Wie gehen Sie mit der Situation um?
Howe: In der Vergangenheit haben wir das Unternehmen komplett auf Energieeffizienz getrimmt, um Ressourcen zu schonen und Kosten zu sparen. Wir haben das flüssige Eisen so schnell wie möglich erhitzt und in die Formen gegossen und diesen Prozess extrem gestrafft. Jetzt aber verbrauchen wir oft in der Woche mehr Kilowattstunden je geschmolzene Tonne Eisen als früher – weil wir auf den volatilen Strompreis schauen müssen. Wir fahren unsere Öfen jetzt strategisch je nach stündlichem Strompreis hoch und runter. In der Preisspitze zwischen siebzehn und neunzehn Uhr schmelzen wir nicht, sondern halten nur warm. Wir stellen die Kochplatte von Stufe 9 auf Stufe 2. So verschwenden wir Energie, fahren aber dennoch billiger. Das ist der Irrsinn unseres aktuellen Strommarktes.Das läuft dem Energieeffizienzgesetz entgegen.
Howe: Und wir kriegen die täglichen Volatilitäten auch nur mit Algorithmik und KI in den Griff. Aber jetzt wird ein neuer Volatilitätsparameter aufgemacht: Laut Bundesnetzagentur sollen Industrieunternehmen sich zukünftig netzdienlich verhalten. Das heißt, wir sollen nur dann produzieren, wenn genug Energie im Netz ist. Gibt es einen Engpass, sollen wir uns rausnehmen. Dieses Gebot auf Stundenbasis mit der Preislogik zu verbinden ist noch komplexer. Zudem ist unsere Flexibilität durch Arbeitsgesetze und Gesellschaft eingeschränkt. Das ist nicht ganzheitlich gedacht.
Geier: Und es kommt noch krasser: Nun sollen wir als Verbraucher kurzfristig die Flexibilität zur Verfügung stellen, um die Engpässe in der Stromerzeugung zu schließen. Wenn wir 48 Stunden vorher die Vorhersage erhalten, dass es am Wochenende viel Wind gibt, müssten wir unsere Mitarbeiter kurzfristig ins Werk holen. Wirklich? Wenn wir das machen, wird was los sein bei den Gewerkschaften und Familien.Die Klimamaßnahmen wurden also nicht im Gesamtsystem gedacht.
Howe: Das hier ist eine augenscheinliche Planlos-Wirtschaft. Früher habe ich 80 Prozent meiner Zeit auf die Verbesserung des Gießprozesses verwendet. Heute besteht 80 Prozent meiner Arbeit darin, preiswert Energie zu finden, Algorithmik aufzustellen, um die Flexibilität zu steuern, und obendrauf kommt noch die neue Energiebürokratie. Am Wochenende brüten wir über derzeit 16 verschiedenen deutschen und EU-Verordnungen zum Thema. Zum Beispiel gibt es bestimmte Konstellationen zwischen Netz und Strompreis, bei denen es Sinn macht, die Produktion zu drosseln. Nur ein Unternehmen, das die verschiedenen Gesetze und Verordnungen in der kommerziellen Komplexität abgleicht, kann noch erfolgreich sein.Aus Ihnen sprechen starker Ärger und Frustration.
Geier: Wir brauchen endlich Planbarkeit, Verlässlichkeit und zwar auf einem Niveau, dass die Wirtschaft überleben kann. Lieferkettenkrise, Corona, Energiekrise – die Eigenkapitalquote von vielen Mittelständlern hat gelitten. Wenn wir als Mittelstand investieren müssen – wo soll es denn herkommen? Wir müssen es ja erst mal erwirtschaften. Die Energiebürokratie muss weg – diese Bürden kann sich unter dem aktuellen Kostendruck gerade keiner leisten. Ich hoffe, dass die Kräfte zusammenkommen, die verstanden haben, dass es ohne Wirtschaft kein Staat und kein Verteilwahlkampf, wie er gerade anläuft, zu machen ist. Wo soll es denn herkommen?Was müsste denn jetzt passieren?
Geier: Eine Task-Force Energie zu bilden, wäre sinnvoll. Wir brauchen ein überparteiliches Gremium, das Sofortmaßnahmen initiiert. Der Fokus der Öffentlichkeit richtet sich aktuell allein auf prominente Großunternehmen. Aber der energieintensive Mittelstand versteht das Thema besonders gut. Auch diejenigen mit praktischer Expertise müssten mit am Tisch sitzen. Wir haben mehrere pragmatische Lösungsvorschläge in Düsseldorf und Berlin hinterlegt. Wir haben keine Zeit zu verlieren ...
Howe: ... aber nicht einmal eine handlungsfähige Regierung. Bis die sich nach der Wahl im Februar neu konstituiert hat, vergehen weitere Monate. Unser Industriestandort wird so lange allein gelassen. Jetzt brauchen wir eine Initiative: Engagierte Politiker und Unternehmer müssen sich ideologiebefreit zusammensetzen und einen Plan für diese Zeit erarbeiten. Sonst werden wir aus Nordamerika und China überrollt. Gibt es jetzt nicht die erforderlichen Sofortmaßnahmen, dann wird aus dem Sturm ein Orkan.
https://www.wiwo.de/unternehmen/mitt.../30115020.htmlEs ist dem Untertanen untersagt, den Maßstab seiner beschränkten Einsicht an die Handlungen der Obrigkeit anzulegen.
Gustav von Rochow (1792 - 1847), preußischer Innenminister und Staatsminister
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