Nicht gehandelt zum Wohle des Volkes, aber getrickst für den eigenen Machterhalt. So geht Politik heute unter der Ampel. Statt Direktmandaten Listenplätze der Parteien:

Wahlrechtsreform Die Ampel entscheidet nur noch zu ihren eigenen Gunsten

Die Reform des Wahlrechts soll den Bundestag verkleinern, darauf hat sich die Koalition verständigt – offensichtlich vor allem im eigenen Interesse. Der Verlierer der Einigung dürfte die CSU sein und Wahlkämpfer Söder wittert ein großes Thema.





Es gibt einen Kompromiss beim Wahlrecht. Nein, leider nicht zwischen allen Parteien der demokratischen Mitte. Die Ampel hat wieder einmal nur mit sich selbst gerungen: Nun soll der Vorschlag, nachdem Direktmandate unter Umständen nicht zugeteilt werden, abgeschwächt werden.Der Bundestag nämlich soll künftig 630 Abgeordnete haben (nicht wie ursprünglich von der Ampel geplant nur 598), und deshalb dürften durch die Abschwächung etwas mehr Direktmandatgewinner in den Bundestag kommen, als anfangs vorgesehen.


Das eigentlich Problematische soll aber durchgezogen werden: Die Erststimme wird zur „Heimatstimme“ herabgewürdigt. Das klingt wie Heimatabend oder Heimatfilm, irgendwie nach Folklore. Wer die Bürger repräsentiert, wird weniger vor Ort entschieden und noch mehr als bisher von Landesvorständen und Kungelrunden von Bezirkschefs.


Bereits gewählte Abgeordnete, die bei so unterschiedlichen Fragen wie Kriegseinsätze oder Euro-Rettung nicht mit den Wölfen heulen, können künftig nicht nur bestraft werden mit dem Entzug von Ausschussmitgliedschaften, sondern auch bedroht werden durch hintere Listenplätze beim nächsten Mal.


Außer der Ampel will nur die AfD dieser Reform zustimmen. Union und Linkspartei sind dagegen. Das passt ins Bild: Die in klassischen Regierungsfragen – wie dem Haushalt oder der Außenpolitik (Stichwort: Bundessicherheitsrat) – zurzeit nicht konsensfähige Ampel überkompensiert ihren Dissens ausgerechnet in gesellschaftspolitischen Fragen. Die werden statt wie bisher im breiten Konsens nun im Ampel-gegen-Alle-Modus entschieden.

Beim Wahlrecht ist das besonders verantwortungslos. So dürften künftig liberale, in ihren Kommunen verwurzelte CSU-Abgeordnete trotz Wahlsieg nicht in den Bundestag einziehen. Die an ihrer Stelle ins Parlament aufrückenden zweitplatzierten Grünen gehören oft zu ihrem linken, vor allem identitätspolitischen Flügel.

Hardlinern aus den Hochburgen

Das schwächt die Mitte: In der CSU, die künftig stärker von Hardlinern aus Hochburgen dominiert wird. Und bei den Grünen: Denn der Anreiz für die Ökopartei, Kandidaten zu finden, die auch über das eigene Milieu hinaus Respekt genießen, schwindet. Um als Zweitplatzierter ins Parlament zu kommen, reicht auch die Kernwählerschaft.


Diese Konstellation dürfte CSU-Chef Markus Söder im bayerischen Landtagswahlkampf zum Thema machen: Die Versuchung besteht, den Streit ums Wahlrecht mit den alle westlichen Gesellschaften spaltenden Kulturkämpfen zu vermischen. Ein Unglück.

https://www.welt.de/debatte/kommenta...n-Gunsten.html

Ein paar Kommentare:

vor 2 Minuten
Das Parlament,ein Selbstbedienungsladen!
vor 3 Minuten
Wieder soll ein Stück direkter Demokratie gestrichen werden. Persönliche Verantwortlichkeit gegenüber seinen Wählern wird geringer geschätzt als Parteitreue.
vor 16 Minuten
Verkleinern wir doch den Bundestag grundsätzlich auf Abgeordnete der Ampel-Parteien. Die restlichen stören eh immer nur den Unterricht.
vor 51 Minuten
So eine Reform kommt von Parteien, die vorwiegend von den Zweitstimmen profitieren. Dabei ist der direkt gewählte und dem Bürger verantwortliche Abgeordnete aus meiner Sicht das höchste Gut des Parlamentarismus.
vor 3 Stunden
Das Direktmandat darf nicht entwertet werden. Wen die Bürger wählen, der gehört in den Bundestag. Das ist urdemokratisch. Warum denkt man nicht über die Größe der Wahlkreise nach?
vor 4 Stunden
Taktisch nicht unklug gemacht von der Ampel, da sich der Bundestag dadurch doch recht deutlich verkleinert - aber zu einem unzumutbar hohen politischen Preis, weil eine so grundlegende Entscheidung nicht im möglichst breiten Konsens getroffen wurde. Die FDP, die sich mal etwas zugute hielt auf ihren Ruf als Rechtsstaatspartei, macht auch hier offenbar wieder jeden Mist mit nach dem Motto "Wir gewinnen ja eh keine Direktmandate"... Es ist ein Graus.
vor 5 Stunden
Auch wenn mir als FDP Wähler die Zweitstimme nicht ganz unwichtig ist - mit der Entwertung des Direktmandats kann ich kaum leben. Was gibt es demokratischeres als einen direkt gewählten Abgeordneten? So eine Reform sollten wirklich von der gößtmöglichen Mehrheit getragen werden und nicht nur von der Ampel!
vor 5 Stunden
Und so wird langsam aber sicher - mal wieder- die Demokratie in DE beerdigt. Dass die FDP so einen Schmu mitmacht, der die übrigens sehr schnell selbst trifft... Unbegreiflich. Hoffentlich rettet Karlsruhe, was zu retten ist.
vor 6 Stunden
Ich bin nur noch für Direktmandate mit Stimmenteil über 50%. Bleibt jemand darunter, gibt es eine Stichwahl unter den 2 Erstplazierten.



vor 5 Stunden
Keine schlechte Idee, wird in Frankreich so praktiziert.
vor 9 Stunden
Eine repräsentative Demokratie lebt von den Wahlen unter der Mitwirkung von Parteien. Die Entscheidung des Wählers aber besitzt konstitutive Wirkung. Man sollte berücksichtigen, welche Auswirkungen es auf die Wählerschaft haben könnte, wenn sie erkennt, dass ihre Stimmen bei der Wahl nicht zählen. Man kann ein Organisationsproblem nicht dadurch lösen, indem man demokratische Grundprinzipien über Bord wirft. Zu den 5 Grundsätzen des Wahlrechts (Allgemein, unmittelbar, frei, gleich und geheim) zählt auch der Gleichheitsgrundsatz. Gleich ist eine Wahl, weil jede Stimme gleich viel zählt, und jede Art von Gewichtung unzulässig ist. Oder wie es im Englischen auch treffend heißt: One man – one vote.