Wer wusste von der „Reichsbürger“-Razzia? : „Es kann sein, dass die Polizei nächste Woche kommt“

Ein ungewöhnlich großer Personenkreis war vorab über die Razzia am Mittwoch informiert. Auch die Beschuldigten? Eine Rekonstruktion.


Als am frühen Mittwochmorgen überall in der Bundesrepublik Spezialeinsatzkräfte der Polizei zu einer der größten Razzien gegen Extremisten überhaupt ausrücken, machen sich zeitgleich zahlreiche Reporter und Reporterinnen auf den Weg, um über die Durchsuchungen zu berichten.


Vorab hatten die zuständigen Sicherheitsbehörden offenbar Zeitungen und Fernsehsender von Berlin bis Bayern über die anstehende Großrazzia informiert. Das ist zunächst nicht ungewöhnlich. Quellen und Informanten bei Ministerien und Polizei sind für Journalisten elementar wichtig für die Berichterstattung.


Selten jedoch ist ein derart großer Personenkreis vorher eingeweiht. Im Normalfall werden die Pläne für Durchsuchungen lediglich an eine Handvoll Journalisten durchgestochen, die sich in ihrer Arbeit explizit mit Sicherheitsthemen auseinandersetzen. Dazu kommt, dass die Informationen über die „Reichsbürger“-Razzia auch in politische Kreise durchgedrungen sind – und das ungewöhnlich früh.


Wie der Tagesspiegel erfuhr, wurde sich im politischen Berlin bereits vergangene Woche hinter vorgehaltener Hand über den anstehenden Schlag gegen das rechte Extremisten-Netzwerk ausgetauscht. Am Dienstagabend, wenige Stunden vor dem deutschlandweiten Polizeieinsatz, meldeten sich sogar vereinzelt Journalisten über Twitter, die in kryptischen Posts die anstehende Durchsuchung andeuteten. So kündigte ein Redakteur des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zahlreiche „Exklusiv-Meldungen“ für den morgigen Tag über den Kurznachrichtendienst an.


Irritation im Bundesinnenministerium

Das Bundeskriminalamt bestreitet gegenüber dem Tagesspiegel, Informationen an Pressevertreter vorab weitergegeben zu haben. „Zum Schutz der eingesetzten Kräfte und zur Gewährleistung einer erfolgreichen Strafverfolgung teilt das Bundeskriminalamt im Vorfeld von Einsatzmaßnahmen grundsätzliche keine Informationen mit nicht berechtigten Stellen und Personen“, heißt es aus Wiesbaden.

Doch selbst im Innenministerium zeigt man sich angesichts der Presse-Präsenz am Mittwoch an zahlreichen Durchsuchungsobjekten irritiert. Erkenntnisse darüber, welche Medien, wann und in welcher Form informiert wurden, liegen nicht vor, teilte die Behörde mit.

Die Weitergabe von Informationen an Außenstehende im Vorfeld von Ermittlungsmaßnahmen wird von einer Sprecherin als „unverantwortlich“ bezeichnet. Insbesondere deswegen, weil die Anwesenheit von Medienvertretern bei gefährlichen Polizeiaktionen wie der am Mittwoch auch mit Risiken für die Einsatzkräfte verbunden sei und Polizisten „behindern und gefährden“ könne.


Wurden Beschuldigte vorab informiert?

Doch wie realistisch ist es, dass angesichts des ungewöhnlich großen, unübersichtlichen Personenkreises, der vorher in die Pläne der Sicherheitsbehörden eingeweiht war, auch Beschuldigte des „Reichsbürger“-Netzwerks von der Razzia im Vorhinein erfuhren?


Mögliche Antworten liefert ein kleiner Ort in Bayern, über den der Tagesspiegel durch einen Bericht der „Passauer Neuen Presse“ aufmerksam wurde. In Eppenschlag, einer Knapp-1000-Einwohner-Gemeinde im niederbayerischen Landkreis Freyung-Grafenau, rückten Einsatzkräfte der Polizei am Mittwochmorgen in einer Einfamilienhaussiedlung an.


Hier befindet sich das Wohnhaus von Maximilian Eder, Bundeswehr-Oberst außer Dienst, der dem „militärischen Arm” des „Reichsbürger“-Netzwerks angehören soll. Eders Haus wurde von den Beamten umstellt und durchsucht, der Beschuldigte selbst aber nicht angetroffen. Stattdessen wurde der Ex-Soldat in der italienischen Stadt Perugia von italienischen Polizeibeamten in Gewahrsam genommen.

Der Mann gilt als bekanntes Gesicht der Querdenken-Szene, trat in den vergangenen Jahren bei zahlreichen verschwörungsideologischen Demonstrationen auf. Seit einigen Wochen weilte der ehemalige Oberst im Ausland. Am ersten Advent meldete sich Eder per Videobotschaft von einer kroatischen Insel und kündigte für die nächste Woche eine „ganze Menge an Umbruch“ an. „Es wird nicht nur eine Zeitenwende, sondern ein Zeitenumbruch kommen, und ich hoffe sehr, dass dies vor Weihnachten 2022 geschieht“, sagte Eder an seine Gefolgschaft gewandt.


Vergangene Woche erhält auch eine Nachbarin des umtriebigen Pensionärs plötzlich einen Anruf. Die Frau ist Lehrerin und wohnt in Eppenschlag direkt gegenüber, aus ihrem Fenster blickt sie auf das Wohnhaus der Eders. „Ich wusste sofort, dass etwas Größeres ist, der Herr ruft mich normalerweise sehr selten an und schon gar nicht aus dem Ausland“, sagt die Frau dem Tagesspiegel.


Maximilian Eder meldet sich nach Angaben der Nachbarin aus dem kroatischen Split. „Es kann sein, dass die Polizei nächste Woche kommt“, soll Eder gesagt haben. Für den Fall, dass die Polizisten auch bei der Nachbarin klingeln, solle sie einfach nur „freundlich Fragen beantworten”, erzählt die Lehrerin. Es sind brisante Details, die andeuten, dass Eder sehr wohl im Vorhinein über die Razzia informiert worden sein könnte.

In diesem Kontext ist es kaum verwunderlich, dass selbst im kleinen Eppenschlag ein größerer Personenkreis über die Durchsuchungspläne der Polizei vorab informiert war. So berichtet die „Passauer Neue Presse“, dass Eppenschlags Bürgermeister Peter Schmid bereits am Montag eine Anfrage der Polizei erhielt, in der darum gebeten wurde, dass sich jemand von der Gemeinde als möglicher Zeuge für eine Hausdurchsuchung am Mittwochmorgen bereithalten solle. Schmid beauftragte daraufhin einen Mitarbeiter des lokalen Bauhofs.

https://www.tagesspiegel.de/politik/...t-8996353.html