Wie knapp ist das Gas?

Lisa Marie Kaus

Zwar könnte ein Umlenken in der Energiepolitik in der kurzen Frist nichts bewirken, aber wenigstens die Aussichten in der mittleren Frist etwas weniger düster erscheinen lassen. Ein solches Einlenken ist jedoch nirgends zu vernehmen.



Mit Blick auf das von der Bundesregierung angekündigte 200-Milliarden-Paket, das unter anderem die Subventionierung der Gaspreise der Endkunden in Deutschland vorsieht und damit die Preise für alle weiter in die Höhe treiben könnte, sprach Viktor Orban von Kannibalismus. Auch Italien, Frankreich und andere Mitgliedstaaten zeigten sich verschnupft angesichts des angeblichen Ausspielens der fiskalischen Macht des ach so starken Deutschlands. Der „Abwehrschirm“ offenbart jedoch weder einen carnivoren Speiseplan von Grünen, SPD und FDP, noch ist er ein Messwert des haushaltspolitischen Kampfgewichts eines wirtschaftlich starken Landes. Er offenbart nur eins: Deutschland steht mit dem Rücken zur Wand.


Denn, wundern Sie sich nicht auch, wo die Sondersendungen bleiben? Wo die Experten sind, die aufschlüsseln, wie das durch die Sanktionen abgedrehte Gas nun ersetzt werden soll? Statt konkreter Lösungen des Problems der Angebotsknappheit erhält man nur blumige Worthülsen. Veronika Grimm, Mitglied im Sachverständigenrat, findet die hohen Gaspreise sogar irgendwie erfreulich, sorgten sie doch dafür, dass Wasserstoff nun relativ günstig und effizient erscheine. Wasserstofftaugliche Gaskraftwerke als Rettung aus der akuten Gasmangellage.


Beim Festhalten am Kohleausstieg bis 2030 müssten in den nächsten 8 Jahren laut Schätzung des BDI 43 Gigawatt an Kraftwerkleistung zusätzlich gebaut werden. Das entspricht der Leistung von 43 AKWs. Weltweit werden gerade 53 AKWs gebaut. Lesen Sie diesen Satz nochmal, aber diesmal, ohne zu lachen. Tja, ich wusste das schaffen Sie nicht. Ich habe jetzt auch den Überblick verloren, ob die dann mit Gas oder Wasserstoff laufen.


Aber irgendwie ist das doch eh piep egal. Beides ist illusorisch. Christian Lindner versprach auf der Pressekonferenz zur Vorstellung des Doppel-Wumms (ich befürchte, allein beim Tippen dieses „Wortes“ verliert man drei Gehirnzellen) die Antwort auf die Angebotsknappheit sei die Ausweitung der erneuerbaren Energien, der Freiheitsenergien. Und jetzt lesen Sie diesen Satz nochmal, aber ohne zu weinen. Tja, ich wusste auch, das würden Sie nicht schaffen.

Die Importterminals verfügen gar nicht über die Kapazitäten

Lassen Sie die Packung Taschentücher ruhig in Griffweite liegen, denn wir schauen uns nun mal ein paar konkrete Zahlen der Gasimporte der EU-Länder an. Mit den Sanktionen gegenüber Russland wurde die Axt an die Gasversorgung gelegt. Machte im vergangenen Jahr russisches Gas 40 Prozent der Importe aus, ist der Anteil mittlerweile auf 8 Prozent gefallen. Die nächstgrößeren Importe stammen aus Algerien und Norwegen. Die können jedoch nicht mehr Gas liefern als 2021. Der Importeinbruch von über 80 Prozent bei russischem Gas wird gänzlich durch den Import von LNG aufgefangen. Der Anteil von LNG, u.a. aus den USA und Qatar, am Gesamtimportvolumen ist von 18 Prozent im Jahr 2021 auf 42 Prozent im September 2022 gestiegen. Die größten Importeure von LNG waren im vergangenen Jahr Spanien, Frankreich, Italien, die Niederlande und Belgien. Deutschland taucht in dieser Aufstellung nicht auf, da die ersten LNG-Terminals erst Ende des Jahres 2022 überhaupt ans Netz gehen.


Die EU setzt bei Gasimporten also auf den einzigen variablen Faktor, den es hat: LNG. Gemäß einer Schätzung von Bloomberg Intelligence wird die weltweite Produktion von Flüssiggas 2022 455 Millionen Tonnen betragen. Davon sind 70 Prozent durch langfristige Verträge bereits reserviert. Die übrigen 136 Millionen Tonnen sind auf dem Spotmarkt erhältlich. Die gekappten Gasimporte aus Russland entsprechen ca. 120 Millionen Tonnen LNG. Im Verhältnis zum Vorjahr hat die EU bisher lediglich ca. 13 Millionen Tonnen zusätzliches Flüssiggas importiert. Die Importterminals verfügen gar nicht über die Kapazitäten, so viel LNG, wie nötig wäre, aufzunehmen.


Laut Bloomberg wären höchstens 60 Millionen Tonnen zusätzlich möglich. Generell kann man sich vorstellen, dass wenn eine zusätzliche Nachfrage von 120 Millionen – oder 60 Millionen, aufgrund begrenzter Kapazitäten – auf ein starres Angebot von 136 Millionen Tonnen trifft, dass das nicht gut ausgehen wird. Die USA und Katar werden erst Mitte des Jahrzehnts in der Lage sein, mehr zu liefern und damit das globale Angebot auszuweiten. Somit handelt es sich nun um einen Überbietungswettbewerb um ein knappes Gut. Schwellen- und Entwicklungsländer können da nicht mithalten und greifen auf Heizöl zurück. In Bangladesch und Pakistan gehen die Lichter aus.

Was ist der Alternativplan? Lehmhütte?

Doch selbst wenn wir uns – auf Kosten der Dritten Welt und unseres eigenen Wohlstandes – zu horrenden Preisen mit 60 Millionen Tonnen LNG versorgen, fehlen immer noch 82 Milliarden Kubikmeter Gas, die die fehlenden Importe aus Russland in die Gasversorgung reißen. Die Gasspeicher der EU-Mitgliedländer sind aktuell mit 95 Milliarden Kubikmeter Gas befüllt. Das Ganze ist also auf Kante genäht. Und auch nicht weiter als ein paar Monate gedacht. Denn wie soll der Winter 2023/24 aussehen, wie die Speicher dann gefüllt werden? Was ist der Alternativplan? Freiheitsenergie? Wasserstoff? Lastenrad? Lehmhütte?


Die EU hat gleich mehrere Antworten, bei deren Lektüre ich Ihnen wieder die Taschentücher empfehlen würde. Das Programm RePowerEU sieht vor, dass in der kurzen Frist der Mangel verwaltet wird. Mittel- bis langfristig soll die Umsetzung des Grünen Deals, mit einer industriepolitischen Steuerung von Innovationen und er der Förderung von Wind- und Solarenergie. Wenn Sie jetzt ihr Taschentuch knüllen und sich fragen: „Was zum Henker!?“, grämen Sie sich nicht. Das Konzept RePowerEU umfasst noch weitere Schritte: „Das Licht ausknipsen, den Deckel auf den Topf tun, die Heizung herunterdrehen und Bus und Bahn nehmen sind einige Beispiele für das, was wir als Einzelne oder alle gemeinsam tun können. Die Kommission sucht mit der Internationalen Energieagentur, Verbraucherorganisationen und anderen Interessenträgern nach Wegen, wie die Bürgerinnen und Bürger ihren Energieverbrauch weiter senken können.“ Ha! Jetzt haben Sie schon wieder gelacht.


Laut Statistischem Bundesamt importierte Deutschland im Juli 2022 weniger als die Hälfte des Vorjahreswertes an Gas. Für die geringere Importmenge zahlte es jedoch dreimal so viel wie für das höhere Importvolumen im Juli 2021. Das entspricht eine Verfünffachung des Importpreises pro Einheit. Das ist der Wohlstandsverlust, der hinter der Freiheitsenergie, hinter den blumigen Worten und den fehlenden Sondersendungen erst langsam zum Vorschein kommt.


Das Angebot wird noch lange knapp und teuer sein, und wenn es in ein paar Jahren etwas weniger knapp ist, wird es immer noch teuer sein. Zwar könnte ein Umlenken in der Energiepolitik in der kurzen Frist nichts bewirken, aber wenigstens die Aussichten in der mittleren Frist etwas weniger düster erscheinen. Ein solches Einlenken ist jedoch nirgends zu vernehmen. Es gibt keinen Plan. „Climate über alles“ fasste das Wallstreet Journal neulich diese absurde Politik, die nichts anderes als eine dumpfe Ideologie ist, zusammen. Dass der Verbandschef der Chemischen Industrie, die einen Anteil am Gesamtgasverbrauch von 15 Prozent hat, nun von einer Deindustrialisierung Deutschlands warnt, kommt 10 Jahre zu spät. Wissen Sie was? Reichen Sie mir doch bitte mal ein Taschentuch.

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