Arbeitsmarkt im Juli: Keine Entspannung, nirgends

Julian Marius Plutz

Die Arbeitslosenzahlen und die Inflation sind der Stoff, aus dem soziale Unruhen gemacht werden. Selbst der träge, servile, müde Deutsche wird irgendwann auf die Straße gehen. Arbeitsminister Hubertus Heil scheint dies nicht begriffen zu haben. „Verbotene Liebe“, „Marienhof“ und die „Lindenstraße“ sind zwar längst abgesetzt, doch das hindert den Staat nicht daran, immer wiederkehrende Seifenopern aufzuführen. Eine dieser Soaps hört auf den Namen „Arbeitslosenzahlen“. Zuverlässig wie ein falsch gestelltes Schweizer Uhrwerk verbreitet die Agentur für Arbeit geschönte Zahlen. Medien wiederum, eigentlich erfunden, um die Regierung zu kritisieren, verbreiten diese Fake-News ebenso zuverlässig.


„Arbeitslosigkeit hat im Juli kräftiger zugenommen als jahreszeitlich üblich. Dies liegt jedoch an der Erfassung ukrainischer Geflüchteter. Insgesamt ist der Arbeitsmarkt trotz aller Belastungen und Unsicherheiten weiterhin stabil“, so der Vorstand Regionen der Bundesagentur für Arbeit (BA), Daniel Terzenbach.
Dass Herr Terzenbach als Spitzenverdiener von „stabil“ spricht, dürfte wenig überraschen. Jedoch klingt diese Vokabel für viele Arbeitnehmer, die gerade die Inflation ihres Lebens durchmachen müssen, wie blanker Hohn. Hier wird es in Zukunft für viele um die nackte Existenz gehen.

Bayern und Baden-Württemberg Spitzenreiter

Die Zahl des Monats lautet 2.47 Millionen. So viele Menschen sind laut dem Pressebericht aus Nürnberg arbeitslos, was quotiert betrachtet 5,4 Prozent im Verhältnis entspricht. Diese Statistik, ich habe dies bereits in älteren Beiträgen ausführlich berichtet, ist jedoch inkorrekt (siehe zum Beispiel hier). Nach meiner konservativen Schätzung kann man von rund 5 Millionen Erwerbslosen, vermutlich jedoch mehr, ausgehen.


Interessant ist es, wenn man die regionalen Unterschiede der Arbeitslosen betrachtet. So ist unangefochten der Spitzenreiter mit 10,3 Prozent Bremen, gefolgt von Berlin mit 9 Prozent und Mecklenburg-Vorpommern mit 7,5 Prozent. Anders betrachtet: Nimmt man meine Schätzung der Erwerbslosen, ist in Bremen mehr als jeder fünfte Bürger ohne Job.


Insgesamt sind fünf Länder unterhalb des Bundesdurchschnitts von formal 5,4 Prozent Arbeitslosenquote: Schleswig-Holstein (5,3 Prozent), Hessen (4,9 Prozent), Rheinland-Pfalz (4,7 Prozent), Baden-Württemberg (3,6 Prozent) und Bayern (3,2 Prozent). Es fällt auf, dass kein einziges ostdeutsches Bundesland den Bundesdurchschnitt unterbietet. Lediglich Thüringen ist mit der relativen Gesamtzahl von 5,4 Prozent gleichauf.

Länderfinanzausgleich als Stillhalteprämie

Betrachtet man die westdeutschen Länder separat, so kämen diese Bundesländer auf 5,1 Prozent, während die ostdeutschen Länder auf 6,8 Prozent kämen. Mehr als 30 Jahre nach dem Mauerfall sind die strukturellen Unterschiede deutlich sichtbar. Eines ist auch deutlich: Der Länderfinanzausgleich sorgt mitnichten für mehr Wohlstand, wenn man dafür als einen Faktor die Erwerbslosen hernimmt.


So sind ganze elf Bundesländer Nettoempfänger vom Finanzausgleich. Spitzenreiter mit mehr als 3,6 Milliarden Euro ist hier Berlin, gefolgt von Sachsen mit knapp 3,3 Milliarden Euro und Sachsen-Anhalt mit fast 2 Milliarden Euro. Auf der anderen Seite stemmen vor allem Bayern, Baden-Württemberg und Hessen die Umverteilung, die man durchaus als „von West nach Ost“ bezeichnen kann. Ironisch hierbei: Die Nettozahler haben auch eine geringere Arbeitslosenquote. Im Prinzip bezahlt der Maschinenbediener in Schweinfurt die Couch-Potato in Neukölln.


Diese „Stillhalteprämie“ in Form des Länderfinanzausgleichs ging Jahrzehnte lang gut. Im Ländle oder in München, Würzburg und Wiesbaden ging es den Menschen gut. Die Löhne stiegen zwar langsam, aber sie stiegen. Die Belastungen seitens des Staates beinhalteten zwar Verzicht, jedoch hatte man sich damit arrangiert. Das dürfte sich in den kommenden Jahren ändern, da die Preissteigerung die Menschen auf den Boden der Realität zurückbringen wird.


Währenddessen plant Arbeitsminister Heil ein sogenanntes Bürgergeld ohne Sanktionen, was de facto ein bedingungsloses Grundeinkommen darstellt. Gesundheitsminister Karl Lauterbach kündigte vor Wochen bereits an, dass die Beiträge für Krankenkasse und Pflegeversicherung steigen werden. Einerseits inflationiert Deutschland wie seit Jahrzehnten nicht mehr, andererseits steigen auch die staatlichen Belastungen. Den Langzeitarbeitslosen in Neukölln dürfte das nicht stören. Den Maschinenbediener in Schweinfurt jedoch sehr wohl.


Julian Marius Plutz ist 1987 geboren und betreibt seinen eigenen Blog neomarius. Hauptberuflich arbeitet er im Personalbereich. Einmal monatlich kommentiert er die neuesten Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt.