Aber wen meint Scholz mit „wir“?

Siebzigmal „Wir“ in dreizehn Minuten

Helmut Berschin



Die Lage war ernst: Bundeskanzler Scholz unterbrach seinen Urlaub und gab am 22. Juli in Berlin eine Pressekonferenz „zu aktuellen Fragen der Energiepolitik“. Sein Eingangsstatement dauerte 13 Minuten und 8 Sekunden. Zentrales Wort darin ist „wir“, es kommt insgesamt 70-mal vor – alle acht Sekunden.

Grammatisch gehört „wir“ zur Wortgruppe der Personalpronomen: ich, du, er/sie/es; wir, ihr, sie. Die sprachsystematische Bedeutung dieser Pronomen ist sehr abstrakt: ich bezeichnet lediglich die sprechende Person, du die angesprochene und wir mehrere Personen einschließlich des Sprechers, wobei deren Zahl mindestens zwei beträgt (wir beide), aber nach oben nicht begrenzt ist. Wie viele und welche Personen ein Wir konkret umfasst, ergibt sich aus der Sprechsituation – allerdings häufig nur ungefähr.

Neben Regierung und Staat kann das politische Wir auch die Regierten einbeziehen, das Volk. In folgender, viel zitierten Passage des Statements erweitert sich das Wir zu einer Gemeinschaft von Kanzler, Regierung und Volk (= wir alle): „Heute haben wir [= Scholz] uns mit der Zukunft des Unternehmens Uniper beschäftigt und dazu auch wichtige Entscheidungen getroffen. Bevor ich auf diesen konkreten Fall … eingehe, will ich aber über die Prinzipien sprechen, nach denen wir [als Regierung] handeln. You’ll never walk alone. Wir [alle] bewältigen die schwierigen Zeiten gemeinsam, wir [alle] halten zusammen … Niemand wird mit seinen Herausforderungen und Problemen alleingelassen, keine einzelne Bürgerin, kein einzelner Bürger, auch nicht die Unternehmen in diesem Land. Wir [alle] sind gemeinsam stark genug, das auch zu schaffen … Wir [als Regierung] werden auch alles Erforderliche tun, was getan werden muss, damit das auch gemeinsam gelingt, und wir [als Regierung] werden es so lange tun, wie es erforderlich ist.“


Das erste Wir im Zitat ist ein stilistischer Sonderfall, der „Majestätsplural“ (pluralis majestatis), den Herrscher statt der Singularform ich benutzen (Wir Wilhelm, von Gottes Gnaden Deutscher Kaiser, verordnen …). Am 22. Juli fand keine Kabinettssitzung statt; die „wichtigen Entscheidungen“ im Fall Uniper muss also Scholz selbst getroffen haben. Ansonsten im Statement sagt er aber ich.


Die Botschaft seines Statements hat die Süddeutsche Zeitung (23./24. Juli) in einer einprägsamen Schlagzeile zusammengefasst:
Kein Bürger wird alleingelassen. Kanzler Scholz schwört die Deutschen auf schwere Zeiten und noch höhere Preise ein, Helfen soll ein Schutzschirm für Bedürftige“


Die SZ verzichtet auf das Gendern der „Bürger“ und nennt das Staatsvolk, das sich hinter dem politischen Wir verbirgt, beim Namen: „die Deutschen“ – ein Ausdruck, der nicht zum Wortschatz der Bundesregierung (auch der vorhergehenden) gehört. Scholz vermeidet auch den Ländernamen Deutschland und sagt stattdessen „dieses Land“ und (dreimal) „unser Land“.


Wen meint also Scholz mit dem Wir in Formulierungen wie „Wir halten zusammen“? Vermutlich die Staatsbürger der Bundesrepublik Deutschland. Er könnte auch sagen „Wir Bürger“ oder „Wir Deutsche“, aber das wäre politisch nicht korrekt: Die Bürger müssten zu Bürgerinnen und Bürger gegendert werden, und die genderneutrale Volksbezeichnung Deutsche gilt als „rechts“ und „nationalistisch“. Bleibt das Personalpronomen wir, das einerseits genderneutral ist, andererseits ohne Zusatz einen so elastischen Begriffsumfang hat, dass es niemanden ausschließt. Allerdings ist mit diesem abstrakten, inhaltsleeren Wir kein Staat zu machen – auch wenn es ständig wiederholt wird.




Zu Beginn der Pressekonferenz sagte Scholz, er habe seit Anfang 2022 „mit vielen Verantwortlichen innerhalb der Regierung“ über die Energiesicherheit Deutschlands gesprochen und konstatierte: „Lange vor dem [Ukraine-]Krieg … haben wir [Hervorhebung des Autors] diese Fragen im Blick gehabt und die notwendigen Entscheidungen vorbereitet und getroffen.“ Wir meint in diesem Fall die „Bundesregierung“, also den Kanzler und seine „Minister“. Dieses politische Wir kann sich auch auf den Staat beziehen: Die Ankündigung „Wir werden einsteigen bei [der Firma] Uniper mit 30 Prozent am Anteil des Unternehmens“ besagt ja nicht, dass Scholz und seine Minister persönlich diesen Aktienanteil kaufen, sondern der Staat Bundesrepublik Deutschland, den sie vertreten.

https://www.tichyseinblick.de/feuill...izehn-minuten/


Geisterfahrer





Scholz meint vor allem die, die den Saftladen bezahlen müssen, wobei es Saft nicht einmal mehr gibt.89-erlebt








89-erlebt
Dieser Cum Ex Handlanger, der Hamburg 2017 für die eigene Karriere unter Merkel dem G20 opferte, ein Sinnbild von charakterlosen Berufspolitikern (hier mal mit Jura Studium) – zudem kinderlos, alleinig vom Steuerzahler alimentiert – einfach nur abgründig.












Robbitobbi







So geht Inflation. Aus „Wir schaffen das“ wird 70mal „Wir..“ in 13 Minuten. Inflation können die Spezialdemokraten gut. So gut, dass es schon gar keine Inflation mehr ist – sondern Flatulation.











Ede Kowalski





„Wir halten zusammen“?…..
Der Zusammenhalt zeigt sich ganz deutlich, durch die Erhöhungen der Diäten die sich die Politiker wieder genehmigt haben! Ach so, ich vergaß, nur die gemeinen Bürger sollen zusammen halten! Aber ob die multikulturelle Mißtrauensgesellschaft den nötigen inneren Zusammenhalt besitzt, den der Bundeskanzler beschwört und der (für die Politik) überlebenswichtig ist, dass werden wir noch sehen. Denn im Gegensatz zu Umfragen und Studien geben echte Krisen wahre Auskunft darüber – und ein „verordneter“ Zusammenhalt ist wertlos und verkehrt sich fast immer ins Gegenteil.











Mindreloaded





Wie war das nochmal bis vor einem Jahr? Jeder, der über Blackout sprach war ein VT’ler, Querdenker? Es gibt dazu einen guten Spruch: „Zwischen Zivilisation und Anarchie liegen 5 ausgefallene Mahlzeiten“











Peisistratos





Verantwortungsdiffusion und kollektivistisches Staatsverständnis. „Wir“ ist doch das Wort unserer Zeit, würde ich sagen. In der Politik heißt es immer „wir“, in der Werbung immer „ich“. Treffender könnte sich der Zustand des Landes nicht beschreiben lassen.











littlepaullittle
Personalpronomen fuer Management:


Ich = wenn’s super laeuft.
Wir = wenn’s kracht und Ich Euer Geld brauch.
Ihr (Euer) = eher rechts oder Einzelfaelle.
Dichter und Denker zu Richter und Henker.











voll wach






Den einzigen grammatikalisch richtigen Satz den Scholz hätte sagen dürfen ist: Wir haben fertig! :-))











Franz Reinartz





Ich sags mal so: Egal wann und welcher Politiker oder Funktionär mit dem Personalpronomen „wir“ ein Kollektiv oder eine (Volks)gemeinschaft konstruiert, immer und genau dann weiß ich, dass ich nolens volens die als Nettosteuerzahler die Zeche begleichen darf.












MartinLa






Danke. Ich liebe solche Textanalysen.











hoho





Hat er auch NS2 öffnen lassen und Energiewende gestoppt?
Wenn nicht, ist das bedeutungslos. Konnte ruhig weiter ruhen. Auch nach dem Urlaub.











Heiner Mueller





Mich meint er nicht damit! Die gesamte Regierung besteht aus antideutschen Rassisten und würde Deutschland und die Deutschen am liebsten abschaffen. Bei ihr sind die Deutschen zweitklassig und jeder Ausländer wird privilegiert. Diese Getue von Scholz ist unter diesen Umständen nicht nur peinlich, es ist abartig. Und das passt!











Winston S.





„Wir“
ist seit 2015 mein jährliches Unwort des Jahres.
„Wir“
bedeutet für mich spätestens seit Corona, daß ICH nicht gemeint bin.
Kurz und bündig: Bei „Wir“ bin ich sofort raus. Das wird sich wegen meiner Erfahrungen seit Corona auch nie (!) mehr ändern, „in diesem Land“.
Sollen „SIE“ doch für den Endsieg in der Ukraine und für das Klima frieren.
ICH habe da Besseres zu tun und war auch nie gemeint, beim „Wir“.
Ich war immer „einer von denen“. Sie wissen, was ich meine.