Krankenkassen fordern: Der Bundestag soll Karl Lauterbach stoppen

Höhere Beiträge für Versicherte, Aufgabe der Rücklage und Schulden. So notdürftig stopft Gesundheitsminister Karl Lauterbach die Lücken der Krankenkassen. Die fordern jetzt: Der Bundestag soll ihn stoppen.

Krankenkassen sind konservativ. Bis in die 90er Jahre hatten ihre Mitarbeiter einen Status, der mit dem von Beamten vergleichbar war. Umso erstaunlicher, wie deutlich ihr Spitzenverband GKV sich jetzt zum „Finanzstabilisierungsgesetz“ äußert. Im Zentrum der Kritik steht dessen Verfasser: Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD). Dem Dauergast in Talkshows werfen die Kassenvertreter vor, dass er nicht zuhöre. Sein Vorschlag „enthält keinerlei Verbesserungen“. Den Hauptteil von 11 Milliarden sollen die Beitragszahler tragen. Den Rest will Lauterbach über Schulden und die Auflösung der Rücklagen regeln. Das eine kann zur Instabilität der Kassen führen; das andere dazu, dass schon kleine konjunkturelle Schwankungen ausreichen, um weitere Beitragserhöhungen auszulösen.


Die Ursachen für die Unterfinanzierung der Kassen sehen diese bei der Vorgängerregierung. Also beim ehemaligen Gesundheitsminister Jens Spahn und Kanzlerin Angela Merkel (beide CDU). Sie hätten „das Geld mit vollen Händen verteilt und der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) Steuerungs- und Kontrollrechte genommen“. Doch Lauterbach unterlasse nun mögliche Reformen. So zahlt der Bund weiter zehn Milliarden Euro weniger an die Kassen, als diese für die Versorgung von Hartz-IV-Empfängern ausgeben müssen. Und anders als die meisten EU-Länder erhebe der Bund die volle Mehrwertsteuer auf Arznei. Strukturelle Reformen sei Lauterbach nicht angegangen. Deshalb müsse ihn jetzt der Bundestag stoppen: „Nach dem Kabinettsbeschluss ist jetzt das Parlament gefordert, die Reißleine zu ziehen.“

Die Krankheitskosten in Deutschland sind zwischen 2015 und 2020 um 28 Prozent gestiegen, teilt das Statistische Bundesamt mit. 431,8 Milliarden Euro waren es im Jahr 2020. Pro Kopf sind das 5190 Euro im Jahr. Wie hoch der Anteil der Pandemie an der Kostenexplosion ist, lässt sich aus den Zahlen des Bundesamtes nicht herleiten. Sicher ist, dass die zunehmende Veralterung der Gesellschaft die Kosten weiter steigen lassen wird. Schon jetzt kosten Frauen pro Kopf mehr als Männer. Aber das liegt eben laut Amt an deren höherer Lebenserwartung. Zwei Drittel der Menschen über 85 Jahre waren Frauen. Zudem werden die Kosten, die durch Schwangerschaften und Geburten entstehen, in die „Krankheitskosten“ eingerechnet. Entscheidend ist aber der Altersfaktor: Bei den Menschen über 85 Jahren sind die Pro-Kopf-Kosten mit 25.350 Euro fast fünfmal so hoch wie im Gesamtschnitt.


Von den Krankheiten verursachen die des Kreislaufsystems mit 56,7 Milliarden Euro die höchsten Einzelkosten. Doch psychische Erkrankungen und Verhaltensstörungen haben schon im ersten Jahr der Pandemie aufgeholt. Sie folgen mittlerweile mit 56,4 Milliarden Euro auf Platz zwei der Kostentabelle. Während Psyche und Kreislaufsystem als Kostenverursacher nun Kopf an Kopf liegen, trennten sie vor 20 Jahren noch 4,4 Prozentpunkte im Anteil an den Gesamtkosten. Das sind rund 15 Milliarden Euro. Auf Platz drei folgen Krankheiten des Verdauungssystems mit 47,1 Milliarden Euro – dazu zählen allerdings auch Zahnbehandlungen. Krebs belegt in diesem Vergleich mit 43,8 Milliarden Euro den vierten Platz. Diese vier Krankheiten haben also zusammen mehr als die Hälfte der gesamten Kosten verursacht.


Eine Reform der Kassenfinanzen muss berücksichtigen, dass die Krankheitskosten strukturell zunehmen werden – wegen der Alterung der Gesellschaft. Auch hat die Pandemie zu stärkeren Fallzahlen bei den Psychotherapeuten geführt, wie deren Berufsverbände mitgeteilt haben. Eine Ausgabenkritik wird nötig werden. Dazu gehört vor allem die Forderung der Krankenkassen, ihnen fremde Aufgaben nicht mehr übernehmen zu müssen, wie die Querfinanzierung von Hartz IV.

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Zum Verständnis: Betroffen sind die Krankenkassen durch die Kosten der Arbeitslosengeld-1-Bezieher. Hier überweisen die Arbeitslosengeldkassen regelmäßig zu wenig. Betroffen sind die Kassen durch die Hartz-4-Empfänger. Hartz IV Empfänger sind Langzeitarbeitslose, zu denen gehören Menschen, die noch niemals in ihrem Leben gearbeitet haben oder zu kurz, um maximal 1 Jahr lang Arbeitslosengeld zu beziehen. Dazu gehören Menschen, die ihrer Gesundheit nach in der Lage sind, wenigstens 3 Stunden täglich arbeiten zu können. Zu den Hartz IV Empfängern gehören auch Flüchtlinge, die das Asylverfahren durch Anerkennung oder Ablehnung (die regelmäßig in eine Duldung führt) durchlaufen haben oder im Rahmen sogenannter Projekte schon während des laufenden Verfahrens in die Krankenkassen eingegliedert werden und natürlich auch die große Zahl der mittlerweile schon fast eine Million betragenden Ukraine-Flüchtlinge, die durch einen Sonderstatus von Anfang an Anspruch auf Hartz IV haben.

Die Rechnung zahlt der sozialversicherungspflichtige Angestellte.