Die Bundesregierung trickst bei der Abschaltung der Kernkraft

Antworten auf parlamentarische Anfragen und eine Einschätzung des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags zeigen die Unehrlichkeit der Bundesregierung in der Energiekrise. Mit fadenscheinigen Gründen soll der Weiterbetrieb der Kernkraft verhindert werden.



Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck und dessen Staatssekretär Patrick Graichen


Wirtschaftsminister Robert Habeck hat die zweite Stufe des Notfallplans Gas ausgerufen. Wäre das nicht endlich ein Anlass zum Umlenken der Bundesregierung in Sachen Kernenergie? Der wirtschaftspolitische Sprecher der AfD-Fraktion, Leif-Erik Holm, wollte es genau wissen: Hält die Bundesregierung trotz steigenden Black-Out-Risikos an der Abschaltung der letzten drei verbliebenen Kernkraftwerke fest? Und mit welcher Begründung?

In der Anfrage, die TE exklusiv vorliegt, eiert die Bundesregierung herum. Sie verweist auf ein gemeinsames Gespräch zwischen Regierungsvertretern und Kernkraftbetreibern im März. „Rechtliche Erwägungen“ und „Sicherheitsgründe“ sprächen gegen den Weiterbetrieb. Die Ausrufung des Notfallplans habe daran „nichts geändert“.

Staatssekretär Patrick Graichen, TE-Lesern als ehemaliger Direktor der Agora Energiewende und Zögling von Energiewenden-Papst Rainer Baake bekannt, nutzt ein ähnliches Erklärungsmuster wie sein Minister:


„Zum anderen ist festzuhalten, dass der Gasverbrauch selbst bei einer Verlängerung der Restlaufzeiten der Atomkraftwerke nur minimal reduziert würde, da der weit überwiegende Teil des deutschen Gasverbrauchs in Industrie und privaten Haushalten zur Wärmeerzeugung erfolgt und Atomkraftwerke ausschließlich Strom produzieren.“



Der „kleine Teil des Gasverbrauchs“, der durch den Einsatz in Gaskraftwerken ohne Wärmeauskopplung im Stromsektor bedingt sei, werde zudem in den kommenden zwei Wintern durch „flexible Kohlekraftwerke“ ersetzt. Das ist eine Linie, wie sie auch der ehemalige grüne Umweltminister jüngst in einem Tweet festhielt, der gegen einige Abtrünnige in der FDP gerichtet war, die sich für die Fristverlängerung aussprachen: „Liebe FDPler, ihr solltet wissen mit Atomkraft kann man zwar Eure Sansibar auf Sylt beleuchten, aber keine Wohnungen heizen – und auch nicht den Flieger von Friedrich Merz betanken.“




Klaus-Rüdiger Mai hat zu einer solchen Irreführung von Bürgern und Respektlosigkeit vor dem intellektuellen Niveau des politischen Gegners gestern bereits alles geschrieben. Derselbe Patrick Graichen, der wie sein Minister Robert Habeck suggeriert, dass es kein Strom-, sondern lediglich ein Gasproblem gebe, empfiehlt den Kauf von Notstromaggregaten, die am besten 72 Stunden mit Strom laufen. Vom irrlichternden Minister zum Staatssekretär mit Taschenspielertricks ist es nicht weit.


Holm nennt dieses Manöver gegenüber TE eine „Augenwischerei“. „Natürlich hat Deutschland auch ein Stromproblem – und zwar eines, das immer größer wird. Nicht umsonst haben wir die höchsten Strompreise der Welt“, erklärt Holm, der wegen des Standortnachteils vor der Abwanderung ganzer Produktionsketten ins Ausland warnt. „Die Antwort der Bundesregierung, wonach die Gasmenge, die zur Verstromung eingesetzt wird, verschwindend gering sei, ist schlicht nicht wahr. Das zeigt schon ein Blick auf Strommarktdaten der Bundesnetzagentur.“



Tatsächlich zeigen die Daten der Bundesnetzagentur, dass an einem Mittwochmittag rund 3.200 MWh aus Erdgas gewonnen werden, bei Kernenergie sind es rund 4.000 MWh. Holm: „Selbst im Juli macht hier Erdgas einen erheblichen Anteil des konventionell erzeugten Stroms aus. Dass Gaskraftwerke nun durch Kohlekraftwerke ersetzt werden sollen, ist unter dem Aspekt, Gas zu sparen, zwar richtig, allerdings fehlen dann die Kohlekraftwerke als Reserve.“ Es führe kein Weg an der Kernkraft vorbei. „Wer grundlastfähigen, günstigen, sicheren und darüber hinaus noch CO2-armen Strom möchte, der muss ‚Ja‘ zur Kernkraft sagen.“


Es ist nicht die einzige Anfrage, die Holm stellt. Ende Juni berichtete die BILD-Zeitung: das Kernkraftwerk Isar 2 könnte weiterlaufen. Doch nach Informationen des Blatts lehnte die Bundesregierung ab. Der AfDler hakt nach: Hat die Bundesregierung das Angebot abgelehnt? Und wenn ja – warum?
Wieder antwortet Graichen. Wieder kommt es zum Eiertanz. Wieder wird auf das Gespräch im März verwiesen, wieder auf die „rechtlichen Erwägungen“ und „Sicherheitsbedenken“, die Antwort ähnelt der anderen im Wortlaut. Doch von den konkreten Gründen erfährt der Abgeordnete nichts; es findet sich nicht einmal ein konkreter Satz, der die Ablehnung bestätigt, eine Erklärung gibt es nicht. Felsenfest stehen die Worthülsen.


Dabei ist das Argument der „rechtlichen Erwägungen“ und „Sicherheitsbedenken“ noch wackliger, wenn man ein bisher unveröffentlichtes Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags (WD) zu Rate zieht. Holm hatte angefragt, welche rechtlichen Bedenken denn gegen den Weiterbetrieb sprächen und unter welchen Umständen die Kernkraftwerke weiterlaufen könnten.

Auch der WD ringt sich nicht zu einem abschließenden Urteil durch, stellt jedoch die Positionen von Bundesregierung und des Verbandes Kerntechnik Deutschland (KernD) gegenüber. Hier steht Aussage gegen Aussage. Anders als die Bundesregierung behauptet, sagt KernD, dass „ein Weiterbetrieb der Kernkraftwerke ohne Abstriche beim vorhandenen Sicherheitsniveau erfolgen“ könne. Es fehlt demnach schlicht am politischen Willen.


„Dass ein Weiterbetrieb der verbliebenen Kernkraftwerke möglich ist, bestätigen alle Beteiligten. Betreiber, TÜV und auch die Lieferanten der Brennstäbe. Und auch die Bundesregierung weiß das, kann aber offenbar nicht über ihren ideologischen Schatten springen“, bewertet Holm die Lage. Daher drücke sie sich um eine Antwort. Stattdessen verweise sie auf die März-Gespräche, als es noch keine Alarmstufe im Notfallplan Gas gab. Die hauseigene Prüfung von Wirtschafts- und Umweltministerium über den Weiterbetrieb sei zum „bestellten Ergebnis“ gekommen, wonach „Kosten und Risiken höher als der Nutzen“ seien. „Wer das für wissenschaftlich hält, der hält auch Malen nach Zahlen für Kunst.“


Deutschland erlaubt sich weiterhin den ideologischen Luxus, mit fadenscheinigen Argumenten, Tricks und Halbwahrheiten die Versorgungssicherheit des Landes zu riskieren. Selbst die Appelle von Nachbarländern, denen die Konsequenzen des Niedergangs der deutschen Industrie für die wirtschaftliche wie politische Zukunft Europas offenbar klarer vor Augen steht als der Bundesregierung, prallen ab.

Die Unbeirrtheit, mit der die deutsche Politik am Ausstieg inmitten der Energiekrise festhält, hat dabei auch ein mediales Standbein. Die Massenmedien sehen das Thema nur als Nebenschauplatz an. Bei einem so grundlegenden Thema wie der energetischen Sicherheit der größten europäischen Volkswirtschaft würde man normalerweise Talkshows, Sonderberichte und einen öffentlichen Diskurs zu dem Thema erwarten. Die Sympathisanten in den öffentlichen wie privaten Medien scheinen sich jedoch zum Schweigen entschlossen zu haben. Die Verfehlungen von Medien und Politik in der Causa „verpasste Fristverlängerung“ reiht sich ein in das Konzept von Aussparungen und Verteufelung von Gegenmeinungen, wie wir sie spätestens seit der Euro- und Finanzkrise kennen.


Der Bloomberg-Journalist Javier Blas hat angesichts des Katastrophenszenarios dazu geraten, dass in der jetzigen Situation „keine Idee zu verrückt“ sei. Anders als Fracking war Kernkraft in Deutschland zumindest in der Vergangenheit akzeptiert. Der Meinungsumschwung, der sich beim Thema herauskristallisiert, findet keinerlei Echo. Doch die Ampel spielt in Merkel-Manier auf Zeit, in der Hoffnung, die Energiekrise verschwinde von allein. Doch nach 16 Jahren Merkel kommt auch für Deutschland die Stunde, in der es kein Weiterwurschteln mehr gibt.

https://www.tichyseinblick.de/meinun...der-kernkraft/





„kein Stromproblem"

Robert Habeck, der irrlichternde Minister

Robert Habeck bedient sich besonders fleißig der Propagandamethode der Ablenkung von Problemen durch Inszenierung von angeblichen anderen. Dahinter steht das uneingestandene, aber offenkundige Scheitern.





Eine der ältesten und banalsten, gleichwohl perfidesten Propagandatechniken heißt auf Altdeutsch, einen Nebenkriegsschauplatz aufmachen, oder auf Neudeutsch: Whataboutism. Robert Habeck, der glaubt, Politik findet statt, wenn Robert Habeck redet, bedient sich dieser Technik besonders fleißig. Allerdings stellt das Absurde, mehr noch das Krude, einen Offenbarungseid dar, das Eingeständnis, vollkommen gescheitert zu sein.

So ließ sich Habeck in Wien zu der Äußerung hinreißen: „Wir haben ein Wärme- und ein Versorgungsproblem, kein Stromproblem. Und da hilft uns Atomkraft gar nichts.“ Ein Problem mit der Wärme? Warum? Aufgrund der Erderwärmung vielleicht? Wäre es so, bräuchten wir nur nach Wärme anstatt nach Erdgas zu bohren. Würden wir mit Geothermie arbeiten, benötigten wir allerdings mehr Strom, was laut Habeck kein Problem darstellen würde, denn wir haben ja „kein Stromproblem“. Wenn wir aber kein Stromproblem haben: Weshalb empfiehlt dann sein Staatssekretär Patrick Graichen den Firmen, Notstromaggregate zu kaufen, die am besten 72 Stunden mit Strom laufen, mit dem wir laut Habeck kein Problem haben. Kann also doch Strom ausfallen, obwohl wir mit dem laut Habeck kein Problem haben? Kann diesen Widerspruch Robert Habeck irgendwie erklären?


Warum, wenn wir kein Stromproblem haben, wird Erdgas weiterhin für die Erzeugung von Strom genutzt? Weil Habecks Windräder es nicht verlässlich können, selbst wenn sie in jedem Vorgarten und auf jedem Kinderspielplatz und in jedem Stadtpark stehen.

Könnte man das Erdgas in der Stromerzeugung durch Brennstäbe zur Erzeugung von Atomstrom ersetzen, dann würde Erdgas frei. Und Robert Habeck müsste nicht die Priorisierung von Verbrauchern gegenüber der Industrie im Falle einer Gasknappheit infrage stellen, weil „eine dauerhafte oder langfristige Unterbrechung von industrieller Produktion massive Folgen“ für die Versorgungssituation hätte. In der industriellen Produktion geht es aber nicht nur um Gas zu Heiz- und Produktionszwecken, sondern auch um Strom, um Energie gerade für energieintensive Branchen wir beispielsweise die Aluminiumindustrie. Robert Habeck träumt: „Echte Unabhängigkeit und ein Ende der Erpressbarkeit erreichen wir erst, wenn wir die Erneuerbaren Energien ausgebaut haben“, und er träumt noch intensiver: „Hätten wir vor zehn Jahren mit den Maßnahmen der letzten zehn Wochen begonnen, wären wir in einer anderen Situation.“ Wie das? Windräder produzieren doch Strom und nicht Wärme, aber wir haben doch laut Habeck „ein Wärme- und ein Versorgungsproblem, kein Stromproblem“.


Wieso hilft der beschleunigte Ausbau von Windparks, das Wärmeproblem, das wir haben, zu lösen? Was ist überhaupt satzlogisch ein Wärme- und Versorgungsproblem? Zwischen Wärme und Versorgung besteht keine semantische Gleichheit, sodass man sie mit einem Bindestrich koppeln könnte, denn man kann höchstens ein Versorgungsproblem mit Wärme haben, dann müsste Habecks Satz aber lauten: Wir haben ein Problem mit der Wärmeversorgung, aber kein Problem mit der Stromversorgung. Ist das wirklich so?


Folge der Sanktionspolitik wird, wie Habeck warnt, „möglicherweise eine monatelange Unterbrechung von Gas-Strömen“ sein. In diesem Dilemma greift, um von dem Schaden abzulenken, Habeck zum allerbilligsten Whatbaoutism, wenn er kaltschnäuzig dekretiert, dass private Haushalte auch „ihren Anteil leisten“ müssen, denn „eine dauerhafte oder langfristige Unterbrechung von industrieller Produktion“ hätte „massive Folgen“ für die Versorgungssituation.

Habeck hofft, und darin besteht der Nebenkriegsschauplatz, den er in seiner Not eröffnet, dass nun jeder einsieht, dass man die Industrie nicht gegen die Wand fahren lassen kann, und man sich deshalb einschränken muss. Immer mehr und immer mehr. Denn die Einschränkung wird keine Grenze finden, weil die Ampel, anstatt die falsche Politik zu beenden, sie weiter beschleunigt.

Die Frage lautet also nicht: Muss die Priorisierung von Verbrauchern gegenüber der Industrie im Falle einer Gasknappheit aufgehoben werden, müssen die Verbraucher sich einschränken? Die Frage für den mündigen Bürger ist eine andere, nämlich eine, für die Habeck die Verantwortung vor dem deutschen Volk trägt: Wie kann die Gasknappheit vermieden werden? Nur diese Frage hat er zu beantworten, und nur diese Frage verweigert er – durch immer neue Sparaufrufe, durch immer neue Nebenkriegsschauplätze, durch immer neue moralische Appelle.


Dabei ist die Antwort für jeden sehr einfach zu beantworten:

  1. Die AKWs müssen am Netz bleiben. In die Nutzung und Erforschung der Kernenergie muss sofort eingestiegen werden, auch wenn es erst mittelfristig Nutzen bringt. Hätten wir kein Stromproblem, würden Habecks Windparkwerbeblöcke überhaupt keinen Sinn ergeben. Die Abschaffung aller Genderlehrstühle, aller Lehrstühle für Postkolonialismus etc. würde einen finanziellen Grundstock für eine zu schaffende Forschungsstiftung Kernenergie bilden.
  2. Die Kohleverstromung muss hochgefahren werden.
  3. Man wird die Wirksamkeit der Sanktionen evaluieren und irgendwann auch mit Russland verhandeln müssen.


Eine Außenministerin, die Verhandlungen ausschließt, mag eine gute Oppositionspolitikerin sein, doch in der Regierung hat die Weltinnenministerin und Klimaaußenpolitikerin ihren Beitrag dafür geleistet, Deutschlands Energiedilemma erheblich zu vergrößern. Deutschlands Energieproblem ist von Baerbocks Politik mitverursacht.

Statt Lösungen zu bieten, lenkt Habeck von seiner einzigartigen Serie von Pleiten und Pannen ab und propagiert die Solidargemeinschaft. Wer nach Inhalten fragt, nach rationaler Politik wird wahrscheinlich demnächst als unsolidarisch, als reaktionär, als rechts oder als Volksschädling gelten. Es ist eine historische Erfahrung, dass immer, wenn eine Regierung moralische Appelle im Stundentakt produziert, sie inhaltlich nichts außer diesen zu bieten hat. Auch wenn sie sich an der Macht zu halten vermag, ist sie dennoch politisch gescheitert. Man hat es dann mit einer Art politischer Insolvenzverschleppung zu tun.


Vielleicht glaubt Robert Habeck, dass Deutschland kein Stromproblem hat, weil auch ein irrlichternder Minister noch genügend Licht für die ihm Glaubenden erzeugt. Eines jedoch ist sicher, Habeck wird die Folgen seiner eklatanten Fehler auf die Bürger abwälzen, wenn es sein muss, mit Gesetzesrepression. Schon jetzt denkt er darüber nach, im Rahmen des Energiesicherungsgesetzes Verordnungen zur Energieeinsparung zu erlassen, indem er Vorgaben zu Mindesttemperaturen beim Heizen diktiert. Ein Staat jedoch, der festlegt, welche Temperaturen in den Wohnungen und Häusern der Bürger höchstens herrschen dürfen, ist weder bürgerlich noch freiheitlich, jede seiner diesbezüglichen Maßnahmen würde ihn delegitimieren. Ein Freund der Freiheit scheint Robert Habeck nie gewesen zu sein, die Idee der Freiheit dürfte ihm sogar fremd sein. Die Frage stellt sich allerdings, ob Habeck zur Kontrolle der Vorgaben zur Energieeinsparung ein Amt zur Energieeinsparüberprüfung ins Leben rufen und hauptamtliche und informelle Energieschnüffler einstellen wird.


Im Grunde scheint die Handlungsmaxime des Vizekanzlers zu lauten: Wir werden unsere Politik durchsetzen – und wenn darüber der deutsche Wohlstand zugrunde geht – und ihr, ihr habt das auszubaden zu wollen.

https://www.tichyseinblick.de/meinun...-stromproblem/


Agora Energiewende


Demontage des Gasnetzes: Wie ein Denkfabrik-Projekt zum Regierungsprogramm wurde

Staatssekretär Patrick Graichen kündigt den Rückbau des Gasnetzes an. Die Denkfabrik Agora Energiewende, die er bis Ende 2021 leitete, hatte genau diesen Plan – schon vor dem Ukraine-Krieg.




Die Personalie Graichen ist für TE-Leser keine unbekannte. Als ehemaliger Direktor der Energiewende hatte er bereits Kontakte und Einfluss in der deutschen Bundespolitik – parteiübergreifend. Personelle Verflechtungen mit den „Paten“ der Energiewende sind kein Zufall.


Graichen war von 2001 bis 2006 Referent im Umweltministerium, zuerst für Internationalen Klimaschutz und anschließend als Persönlicher Referent des Staatssekretärs Rainer Baake, ab 2007 Referatsleiter. Baake war nach seiner Karriere als Staatssekretär im Umweltministerium zusammen mit Jürgen Resch gemeinsamer Geschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe (DUH) und anschließend Gründer und erster Direktor der Agora Energiewende.

Graichen ist gleich zweifacher Erbe Baakes. Einmal als Nachfolger der Agora Energiewende, die er von 2014 bis 2012 leitete; zum anderen in der Funktion als Staatssekretär an strategischer Stelle. Es ist nicht das erste Mal, dass der Vertreter einer bedeutenden NGO auf den Posten eines Staatssekretärs wechselt. Jochen Flasbarth, Mitbegründer des autofeindlichen Verkehrsclub Deutschland (VCD) und NABU-Präsident, stieg 2013 zum Staatssekretär im Umweltminister auf.


Baake, Graichen und Flasbarth können als Mitglieder eines historischen Netzwerkes gelten, das seit der Amtszeit von Jürgen Trittin als Umweltminister über Ministerien und NGOs Einfluss auf die „Energiewende“ in Deutschland ausübt. Mehrere parlamentarische wie verbeamtete Staatssekretäre sind in der aktuellen Regierung Mitglieder eines Rates der Agora gewesen: Stefan Tidow (Grüne) im Umweltministerium; Johann Saathoff (SPD) im Innenministerium; Michael Theurer (FDP) im Verkehrsministerium; Jochen Flasbarth (SPD) im Entwicklungsministerium; Oliver Krischer (Grüne) als direkter Kollege im Wirtschaftsministerium.

Bei Graichen kommt zusätzlich ein persönliches Netzwerk hinzu. Michael Kellner, der andere Parlamentarische Staatssekretär, ist mit Verena Graichen verheiratet, der Schwester von Patrick Graichen. Verena Graichen ist stellvertretende Vorsitzende des Bundes für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) sowie „Senior Researcher“ am Öko-Institut für Energie und Klimaschutz – dessen Finanzierung sich größtenteils aus staatlichen Zuwendungen speist. Am Öko-Institut sitzt auch ein weiterer „Senior Researcher“ für Energie und Klimaschutz, nämlich Jakob Graichen. Er ist der Dritte im Bunde der Geschwister Graichen.



Die Agora hat bereits in der Vergangenheit den gewünschten Projekten Vorschub geleistet. Der Rückbau des Gasnetzes ist nur das aktuellste Beispiel. Ähnlich wie die Inflation wird nun auch diese Maßnahme als Auswuchs des Ukraine-Kriegs dargestellt. Die außenpolitischen Zwänge diktieren die Reform. Sieht man jedoch auf ein Papier der Agora aus dem November 2021 – immerhin drei Monate vor Kriegsausbruch – kommen berechtigte Zweifel, ob der Rückbau des Gasnetzes nicht eher ein länger gehegtes Projekt ist, für das man nun eine passende Ausrede gefunden hat.


Am 4. November 2021, einen Monat vor der Berufung Patrick Graichens als Staatssekretär im Wirtschaftsministerium, erschien auf der Webseite des Think Tanks ein Artikel „Worüber keiner reden will: Der bevorstehende Abschied vom Gasnetz“. Denn: „Zur Klimaneutralität gehört auch der Abschied von Erdgas.“ Autorin Barbara Saerbeck, die von 2017 bis 2020 Referentin für Energie bei der Verbraucherzentrale Bundesverband war, mahnt darin unter anderem an:



„Um weitere kostspielige Fehlinvestitionen zu verhindern, muss daher jetzt die gesamte Planung auf die neue, klimaneutrale Welt umgestellt werden. Dafür brauchen wir eine ehrlich geführte Diskussion rund um die Möglichkeiten, Planungen und Kosten der Stilllegung des deutschen Gas-Verteilnetzes. Ansonsten werden weiterhin Investitionen getätigt, die die stillzulegende Infrastruktur durch den Aufbau von Investitionsruinen noch verteuern. Die Folge wären Milliardensummen für Übergänge, Kompensationen und Entschädigungen, Fehler die es beim Kohleausstieg schon genug gibt. Weitsichtige Energie- und Klimapolitik sollte daher jetzt den bevorstehenden Ausstieg aus dem Gas planen. […] Auch die Rolle des Regulierers muss dafür gestärkt werden, wie es das Urteil des Europäischen Gerichtshofs der Bundesregierung vorschreibt. Dazu gehört zukünftig eben nicht nur der Ausbau, sondern insbesondere im Gasverteilnetz auch der Rückbau.“

Und auch schon davor, im Juli 2021, kritisierte Frank Peter – heute Nachfolger von Graichen als Direktor der Agora Energiewende – die Gasnetzplanung der Bundesregierung mit folgenden Worten:

„Jede Infrastrukturplanung der Energieversorgung muss bereits auf das Ziel der Klimaneutralität 2045 einzahlen – und selbstverständlich auch die neuen europäischen und nationalen Klimaziele berücksichtigen. Eine isolierte Infrastrukturplanung für Gas geht am Ziel vorbei. […] „Auf europäischer und nationaler Ebene ist man sich einig: Das Zeitalter von fossilem Erdgas läuft aus!“, sagt Frank Peter. Erdgasanwendungen gelten als Brückentechnologie hin zur Klimaneutralität. „Je näher das Ziel der Klimaneutralität rückt, desto kürzer wird die Erdgas-Brücke.“


Die neuen geopolitischen „Rahmenbedingungen“ kommen der Agora daher gerade nicht nur zupass; es ist in Wirklichkeit ein Segen für die Ideologen, ihre lang gehegten Projekte endlich umzusetzen. Mit dem Ukraine-Krieg können derzeit sämtliche Einschnitte und Maßnahmen gerechtfertigt werden. Dass es neben der Agora Energiewende, der Agora Verkehrswende und der neulich besprochenen Agora Industrie nun auch Agora Agrar gibt, bereitet den Beobachter schon auf die neuesten Ideen vor, die uns aus dem Hause Habeck-Graichen drohen.

https://www.tichyseinblick.de/meinun...ekt-der-agora/