Der Sonntagsfahrer: Inflationisten mit Turbo

Dirk Maxeiner

In den USA stiegen die Verbraucherpreise im September um sieben Prozent, mit am extremsten bei Gebraucht- und Neuwagen. Nach der Flucht in die Immobilie erfolgt nun offenbar auch die Flucht in die Mobilie. Der Besitz einer Gebrauchtwagenhalde war nie so attraktiv wie heute, das System funktioniert wie ein Standplatten, der sich von selbst aufpumpt.


Bei uns beträgt die Inflation offiziell etwas über fünf Prozent, aber erst nachdem sie sachgerecht kleingerechnet worden ist. Traditionelles Rechnen wurde in Deutschland inzwischen aufgegeben, es wurde ersetzt durch Klein- und Großrechnen, je nach politischer Opportunität. Arbeitslose werden kleingerechnet, Krankenhausbelegungen großgerechnet, der Energiebedarf kleingerechnet, Windradstrom großgerechnet und so weiter und so fort. Kurzum: Man bescheißt sich selbst. Und so läuft das auch mit der Inflation. Deswegen machen sich die Amerikaner in der prinzipiell gleichen Situation echt Sorgen, bei uns ist wie immer alles paletti.


Je nach Stärke und Tempo der Preissteigerung unterscheidet der Ökonom zwischen schleichender Inflation, trabender Inflation, galoppierender Inflation und Hyperinflation. Für den Staat ist Inflation eine Möglichkeit seine Schulden loszuwerden, für den Bürger ist sie so eine Art Strafsteuer, nennt sich aber nicht so und kommt auf leisen Pfoten daher. Vermögensverwalter sagen: „Die Inflation verursacht keinen lauten Knall. Vielen wird nicht mal klar sein, dass sie real Geld verlieren“. Mit der verschärften Gangart sammelten die Deutschen in den 1920er Jahren Erfahrung. Es war damals billiger, die Wand mit Geldscheinen zu tapezieren, als eine Tapete zu kaufen.

Wenn dem Werktätigen die Lohntüte überreicht wurde, brauchte er ein schnelles Pferd, um beim Kaufmann dafür Milch oder Mehl zu erstehen, sonst war das Geld bei Ankunft nur noch die Hälfte wert. Falls Sie gerade mit dem Erwerb eines Automobils liebäugeln, sollte dieses also gut motorisiert sein, damit Sie den Weg vom Geldautomaten zu Aldi so schnell schaffen wie ein Raketen-Dragster die Viertelmeile. Die einzige Möglichkeit, die Inflation zu schlagen, ist meines Erachtens die Fortbewegung jenseits der Lichtgeschwindigkeit. Dann wird alles wieder billiger. Ich suche aber noch nach einem geeigneten Turbo.


Meine persönliche Inflationsmessung erfolgt übrigens ebenfalls bei Aldi oder Lidl, da kaufe ich nämlich immer für 100 Euro so ziemlich immer die gleichen Produkte ein. Deshalb muss ich die 100 Euro nur mit dem Pegelstand der Waren abgleichen. Und der sinkt seit einiger Zeit so schnell wie der des Rheins bei Dürre. Quoll der Korb vor eineinhalb Jahren noch über, so bewegt er sich inzwischen nur noch bei der Hälfte. Das gleiche kann jedermann übrigens auch mit seinem Auto- oder Heizöltank ausprobieren, da ist nämlich auch ein riesengroßes Loch drin. Man wird sich bald wehmütig an die Zeit erinnern, in der man mit 100 Euro noch von München nach Italien fuhr, demnächst reicht es vermutlich nur noch bis Rosenheim. Ich halte meine Mess-Methodik übrigens für deutlich wissenschaftlicher als die des Statistischen Bundesamtes und bewerbe mich hiermit um eine Professur honoris causa im Fach Ökonomie, obwohl ich eher vom Völkerball her komme.

Nehmen wir beispielsweise die Inflation des Abiturs

Ich halte es da mit unserer Außenministerin sowie mit deren Schwester im Geiste, der ehemaligen Vorsitzenden der rumänischen Akademie der Wissenschaften, Elena Ceauşescu. Sie galt im Land offiziell als „Gelehrte von Weltruhm“. Sie hatte die Schule mit 14 verlassen und gute Noten im Fach „Nähen“. Später ereilte sie ein Wunder, denn ohne ihr Studium selbst absolviert zu haben, schickte der Himmel ihr einen astreinen Doktortitel im Fach Technische Chemie („Acad. Dr. Ing“). Mir persönlich schwebt der Titel „Acad. Dr. Blingbling“ vor, also die gleiche Fachrichtung wie die der Berliner Bürgermeisterin Franziska Giffey.


Und damit bin ich bei der Inflation in ihrer nicht-ökonomischen Form, die sich in Deutschland so schnell ausbreitet, wie dereinst Elenas Weltruhm. Nehmen wir beispielsweise die Inflation des Abiturs. Immer mehr Abiturienten wissen immer weniger, weshalb das Abitur für die Zukunft der Absolventen so viel wert ist wie ein Fallschirm für Nichtschwimmer. Da bleibt zur Rettung nur eine Parteikarriere.


Die Inflation der Bundestagsmandate mit inzwischen 709 Abgeordneten erinnert an die Zeiten der galoppierenden Geldentwertung, wobei man damals nur auf den Scheinchen die Nullen hinzufügte. Sogar die Zahl der Nazis steigt in Deutschland mit wachsendem Abstand vom Original inflationsartig, abendliches Spazierengehen reicht und sie purzeln vom Band wie die Teifkühlbrötchen in der Großbäckerei.


Kann man was gegen die Inflation tun? Alte Fahrensmänner pflegten in dieser Sache anzumerken: Versuche mal, einen durchgegangenen Gaul einzufangen. Man kann ihm natürlich auch noch eine Dose an den Schweif binden. So wie unsere von trabendem Wirklichkeitsverlust heimgesuchten Regierenden, die auf galoppierende Preise noch Öko- und CO2-Abgaben draufsatteln. Unsere Nachbarn in Polen sind nicht ganz so schwer von Begriff und wollen ab dem 1.Februar vorübergehend den Steuersatz auf Treibstoff senken und die Mehrwertsteuer auf Lebensmittel aussetzen. Der Stau der Fremdtanker an der deutsch-polnischen Grenze dürfte demnächst so schnell wachsen wie der Ausreisestau an der ungarischen oder tschechischen Grenze 1989. Das nennt man Abstimmung mit den Rädern. Alles beim Alten also. Allerdings in umgekehrter Richtung.

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