Start-Up-FörderungCorona nur Ausrede? Hamburger Finanzsenator vergibt Millionen-Deal an Parteifreund
Vieles deutet darauf hin, dass Finanzsenator Andreas Dressel (SPD) einen Millionen-Auftrag entgegen der gesetzlichen Pflicht nicht ausgeschrieben hat, sondern direkt an einen bekannten Parteifreund vergeben hat. Ausgerechnet die Corona-Situation wird als Ausrede für das fragwürdige Vorgehen benutzt.
Die Stadt Hamburg plant, sich zukünftig als Finanzstandort besser zu profilieren. Im April 2020 wurde dafür ein 7-Punkte-Plan verabschiedet, der das Ziel hat, die Banken-, Versicherungs- und Vermögensverwaltungsbranche, in der rund 50.000 Hamburger arbeiten, zu stärken.
Hamburg: Finanzbehörde vergab Millionen-Auftrag ohne öffentliche Ausschreibung

Zentraler Punkt dabei ist die Förderung von Start-Ups aus der sogenannten FinTech-Branche (Financial Technology) über eigens dafür entwickelte öffentliche Programme. Ziel war die Einrichtung eines sogenannten Accelerators, also eines Programms, das die Unterstützung und Weiterentwicklung der Start-Ups koordiniert.
Wie aus einer öffentlichen Bekanntmachung hervorgeht, die am 2. Juli dieses Jahres publiziert wurde, stellte die Stadt neun Millionen Euro für den Accelerator zur Verfügung, von denen allein eine Million an das Management gehen. Das Problem: Bei der Veröffentlichung handelt es sich um eine „Freiwillige Ex-ante-Transparenzbekanntmachung“. Also eine Bekanntmachung nachdem der Auftrag bereits direkt vergeben wurde. Die öffentliche Vergabe von neun Millionen Euro liegt jedoch deutlich über dem Schwellenwert von 215.000 Euro und unterliegt in jedem Fall einer Ausschreibungspflicht, die auch EU-weit erfolgen muss.

Auftrag der Finanzbehörde ging an einen Parteifreund des SPD-Senators

Warum die Ausschreibung umgangen wurde, wird in Abschnitt IV. (Verhandlungsverfahren ohne vorherige Bekanntmachung) erklärt. Zitat: „Nach einer intensiven Markterkundung wurde festgestellt, dass die zwingenden Kriterien der FHH (Freien Hansestadt Hamburg, d.Red.) nicht durch potentielle andere Betreiber-Kandidaten erfüllt werden“. Es seien unter anderem eigene Räumlichkeiten in Hamburg vorausgesetzt sowie „sehr gute Kenntnisse der in Hamburg ansässigen Finanzunternehmen“. Darüber hinaus „sehr gute Kenntnisse des Vergabe-/Zuwendungs-/Beihilferechts und des Kapitalmarktrechts“ sowie „sehr gute Kenntnisse im Bereich Riskmanagement, globale Finanzmärkte, Tech-Entwicklung“.
An wen der Auftrag ging, wird in Abschnitt V bekanntgegeben: An das Unternehmen NMA.VC. Hinter der Abkürzung verbirgt sich das Programm Next Media Accelerator, das bisher mediennahe Start-Ups koordiniert hat. Pikant: Kopf dieses Programms ist Nico Lumma, langjähriges SPD-Mitglied und Mitglied der Medien- und Netzpolitischen Kommission des SPD-Parteivorstandes. Hat Senator Dressel hier einem Parteifreund einen lukrativen Gefallen getan?
„Ich hab Ideen fürs Ausgeben“: Verdächtige Dialoge bei Twitter

Dass Dressel und Lumma nicht nur politische Partner sind, sondern einander auch privat nahestehen, darauf lässt ihr reger Austausch bei Twitter schließen. Dort sind die beiden per „Du“, tauschen sich über familiäre Aktivitäten wie Ausflüge ins Grüne oder Begleitung der Kinder zum Sport aus. Tief blicken lässt ein Tweet des Senators vom 2. März 2020, in dem er sich über einen 440-Millionen-Euro-Überschuss im Hamburger Haushalt freut. Antwort Lumma: „Sag Bescheid, ich habe Ideen fürs Ausgeben.“ Darauf reagiert Dressel mit dem Hinweis, es gebe keinen Spielraum für Wahlgeschenke. Lumma: „ach komm. Das sagst du doch nur so.“

Noch deutlicher wird ein Tweet von Lumma zum Thema Vergaberecht. Ein Hamburger IT-Unternehmer hatte sich am 30. März 2021 bei Twitter beschwert: „Wir versinken in Bürokratie und die handelnden Personen wollen, aber dürfen nicht. Vergaberecht steht Innovation und Geschwindigkeit im Wege. Muss ich in eine Partei eintreten?“ Darauf reagierte SPD-Mann Lumma mit den Worten: „klar, komm zu uns. Und rede mit @ADressel über den Umbau der Verwaltung, die ist nämlich längst dabei.“
Behörde sagt, es gab nur einen passenden Wettbewerber. Dabei gibt es viele!

Wie genau nimmt es der Senator mit der Vergabeverordnung, die den Verzicht auf einen Wettbewerb rechtlich nur in absoluten Ausnahmefällen zulässt – und zwar, wenn ein unvorhergesehenes Ereignis eintritt oder eine äußerste Dringlichkeit und es keinen anderen Wettbewerber gibt, der das Problem lösen kann. Diesen Anspruch nimmt die Finanzbehörde mit der Transparenzbekanntmachung für sich in Anspruch.
Nur: Das trifft in diesem Fall nicht zu. Allein in Hamburg gibt es unzählige Player, die für den Job ebenfalls in Frage gekommen wären. Bei „Fintech Hamburg“, einer Initiative des Vereins Finanzplatz Hamburg, sind allein 32 Unternehmen gelistet, darunter namhafte Akteure wie HaspaNext oder Comdirect. Darüber hinaus gibt es eine Vielzahl von Accelerator-Programmen und Inkubatoren, also Programmen zum Aufbau neuer Start-Ups, die ebenfalls als Wettbewerber in Frage gekommen wären und über stärkere Kompetenzen im Finanz- und Bankenbereich verfügen als Medien-Experte Lumma.
Behörde gibt Corona-Krise als Grund für die Direktvergabe an

Lumma selbst erklärte gegenüber der MOPO: „Ich würde mir nicht anmaßen, ein FinTech-Experte zu sein.“ Er sei auch kein Universalgenie, sondern habe nach der Auftragsvergabe begonnen, ein Team aus FinTech-Experten zusammenzustellen. „Wir wollen zum Frühjahr 2022 durchstarten.“ Über den Auftrag habe er sich sehr gefreut, weil er seine Firma breiter aufstellen möchte und neue Standbeine suche, da er die Medien nicht mehr als Zukunftsbranche erachte.
In ihrer Stellungnahme zu den Vorgängen gab die Behörde gegenüber der MOPO denn auch gar nicht mehr die in der Transparenzbekanntmachung zur Direktvergabe noch so gepriesene Finanzexpertise von NMA.VC an, sondern – Corona. Dem Senat sei es um die „Bewältigung der Coronakrise“ sowie um eine „kurzfristige Stärkung der regionalen (Finanz-) Wirtschaftsstruktur“ gegangen.
Behörde: Klassisches Vergabeverfahren dauert zu lange

Demnach sei der Senat von der Bürgerschaft im Frühjahr 2021 zur Gründung eines Accelerators unter Nutzung von Corona-Mitteln aufgefordert worden. Mit dem seien dann zum 1. Oktober neun Millionen Euro für den Accelerator als „kurzfristig zu realisierende Maßnahme“ in den Jahren 2021 und 2022 vom Senat bereit gestellt worden. „Ein ‚klassisches‘ Vergabeverfahren wäre aufgrund des genannten „Verfallsdatums“ der Mittel zu langwierig gewesen“, so die Finanzbehörde. EU-weite Ausschreibungen dauern ein halbes bis dreiviertel Jahr.
Nur: Die Transparenzbekanntmachung, in der die neun Millionen bereits erwähnt sind, war ja schon am 2. Juli! Davon ausgehend, dass es zuvor eine „umfassende Markterkundung“ gegeben haben muss, wird das selbst im Hinblick auf die am 28. April abgegebene Aufforderung seitens der Bürgerschaft eng. Reichen zwei Monate für eine umfassende Markterkundung? Für Gespräche mit mehr als 50 Finanz-Playern? Für Präsentationen, Gutachten, Auskünfte anderer öffentlicher Auftraggeber und Workshops, wie sie für ein solches Verfahren zwingend sind?........... Andreas Dressel: Hamburger Finanzsenator vergibt Millionen-Deal an Parteifreund - FOCUS Online