Ein meinungsstiftender Artikel der deutschen Welle mit bekannten und unbekannten Einsichten in andere Weltsichten, Ansichten, Wünsche, Ansprüche:

Schon vergangenes Jahr hatten die beiden Freunde aus Nordafghanistan den Entschluss gefasst: Nabi und Sultan [Namen von der Redaktion geändert] wollten Ihr Heimatland verlassen - unbedingt. Immer näher rückte die Frontlinie, immer bedrohlicher wurde die Situation. Die beiden Afghanen hatten mehrere Jahre für die deutsche Regierung gearbeitet - als sogenannte Ortskräfte.
"In den Nordprovinzen wurde es ja von Tag zu Tag heftiger", schildert Sultan die Situation. Der heute 37-Jährige war die vergangenen zweieinhalb Jahre als Fahrer für die deutsche Botschaft im Einsatz. "Uns war klar: Wenn die internationalen Truppen weg sind, werden die Taliban wiederkommen und uns töten."
Nabi berichtet: "Ich habe mein Zuhause verloren, meine Freunde, meine Familie - jetzt bin ich hier." Er hatte seit 2003 als Übersetzer für verschiedene NATO-Kräfte gearbeitet. "Mein Herz, mein Verstand, alles habe ich zu Hause zurückgelassen. Meine Familie ist in Gefahr, jetzt, wo die Taliban da sind und ihnen nachstellen. Ich finde nachts kaum Schlaf."
Nabi hat einen bürokratischen Höllenritt hinter sich. Die Pässe für seine Frau und seine sechs Kinder hatte er aus der afghanischen Hauptstadt Kabul anfordern müssen, die umgerechnet 6000 Euro für die Reise hat er sich von Freunden geliehen. Mitte Juli konnte er endlich nach Berlin ausreisen. Gerade noch rechtzeitig, denn wenige Wochen später hörte der bisherige afghanische Staat auf zu existieren. Sultan kam ein paar Tage früher als sein Freund Nabi nach Deutschland. Auch er brachte seine Frau und zwei Kinder mit.
Und: Nicht all seine Verwandten konnten mit ausreisen. Nur diejenigen, die laut deutschen Behörden zur "Kernfamilie" gehören, durften Nabi nach Berlin begleiten. Sultan erging es genauso: "Für Menschen aus der westlichen Welt sind die 'Kernfamilie' vielleicht tatsächlich nur ein Mann, seine Ehefrau und deren Kinder. Nach unserem Verständnis gehört da aber noch die Großfamilie hinzu, also Bruder, Vater und so weiter."
Nabi ist vor allem enttäuscht, wie wenig sein Engagement für Deutschland in den vergangenen Jahren bisher anerkannt wurde. Er ist geradezu empört, genauso wie jeder andere Flüchtling behandelt zu werden. "Wir haben für die unser Leben riskiert. Jetzt haben wir deshalb alles zurücklassen müssen. Die Bundeswehr könnte sich wenigstens irgendwie erkenntlich zeigen", so Nabi. "Zum Beispiel könnten sie uns ein festes Zuhause hier anbieten."
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