Weißrussland treibt Flüchtlinge nach Polen – Seehofer fordert Einschreiten der EU



Brüssel Der weißrussische Machthaber Alexander Lukaschenko hat sich schon vor langer Zeit vom türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan inspirieren lassen: Er bringt gezielt eine große Menge Flüchtlinge an die EU-Außengrenzen, übt mithilfe seines Militärs Druck auf die Menschen aus, die Grenzen zu stürmen – um Brüssel und die anderen europäischen Hauptstädte zu erpressen und sich für Strafmaßnahmen gegen ihn zu rächen.

Nachdem die EU in diesem Frühjahr Sanktionen gegen Weißrussland wegen Menschenrechtsverletzungen verhängt hatte, kündigte Lukaschenko an, Flüchtlinge auf dem Weg nach Europa nicht mehr aufhalten zu wollen. Allerdings tut er mehr als nur das: Er fliegt sie bewusst aus dem Ausland ein.

Gemäß den Landeplänen des Minsker Flughafens sollen bis März wöchentlich rund 40 Flüge aus Istanbul, Damaskus und Dubai landen – den großen Drehkreuzen, die den Nahen Osten und das vordere Asien mit Europa verbinden und von den Migranten genutzt werden. Damit hat sich die Zahl der Flüge aus der Region im Vergleich zum Winter 2019/2020 verdoppelt.

Nach Schätzungen der deutschen Regierung landen täglich 800 bis 1000 Migranten in Weißrussland. Sie stammen überwiegend aus dem Irak, Syrien, Afghanistan und dem Iran.
Seit dem Sommer stehen die weißrussischen EU-Nachbarländer Litauen, Lettland und Polen vor dem Problem, die große Zahl der von Weißrussland gezielt herbeigeführten illegalen Grenzübertritte nicht mehr unter Kontrolle zu haben. Derzeit steht besonders die polnische Grenze im Fokus von Lukaschenkos Machtspiel. Seit dem vergangenen Wochenende werden erneut große Menschenmassen dorthin getrieben.
Wegen der angespannten Situation an der Grenze zu Belarus will Polen einen Grenzübergang zu dem östlichen Nachbarland schließen. Ab Dienstag 7.00 Uhr werde der Grenzverkehr für Waren und Personen am Übergang Kuznica eingestellt, teilte der Grenzschutz am Montag über Twitter mit. Reisende wurden gebeten, auf die Grenzübergänge in Terespol und Bobrowniki auszuweichen.

Massiver Grenzschutz
Warschau setzt auf massiven Grenzschutz, um die Situation unter Kontrolle zu bringen. Das Land hat den Ausnahmezustand verhängt, Tausende Soldaten an der Grenze stationiert und untersagt Journalisten und humanitären Helfern den Zugang. Dementsprechend gewalttätige Szenen werden vermutet.

Polen will seine weißrussische Grenze dauerhaft mit mehrreihigen Zäunen, Bewegungsmeldern und Stahlpfählen mit Stacheldrahtrollen ausstatten. 5,5 Meter hoch soll die „Barriere“ – wie die polnische Regierung die geplante Grenzsicherung nennt – sein; die Opposition spricht von einer „Mauer“. Der Kostenpunkt: 350 Millionen Euro.



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Grenze zwischen Polen und Weißrussland
Nach Schätzungen der deutschen Regierung landen täglich 800 bis 1000 Migranten in Weißrussland.




Die EU-Kommission lehnt die Idee allerdings ab und will Polen dabei nicht finanziell unterstützen. Stattdessen setzt sie darauf, auf herkömmliche Weise zu helfen: Die EU-Grenzschutzagentur Frontex, die Asylbehörde Easo und die Polizeibehörde Europol stünden bereit, bei der Registrierung von Migranten, Bearbeitung von Asylgesuchen und dem Kampf gegen Schmuggel zu helfen, sagte eine Kommissionssprecherin am Montag. Polen müsse diese Hilfe jedoch konkret anfordern. Obwohl man Warschau dazu ermuntert habe, sei eine konkrete Anfrage bislang ausgeblieben.

Bundesinnenminister Horst Seehofer fordert von den EU-Staaten Unterstützung. „Wir müssen der polnischen Regierung bei der Sicherung der Außengrenze helfen“, sagte der CSU-Politker der „Bild"-Zeitung vom Dienstag. „Das wäre eigentlich Aufgabe der EU-Kommission. An die appelliere ich jetzt, dass sie aktiv wird.“

Seehofer begrüßte den Bau des Grenzwalls. „Ich sage auch, dass wir die bauliche Sicherung der Grenzen brauchen. Da müssen wir auch öffentlich die Polen unterstützten“, sagte Seehofer der „Bild"-Zeitung vom Dienstag. Man könne die polnische Regierung nicht dafür kritisieren, dass sie mit zulässigen Mitteln die Außengrenze der EU schützten.

Die EU arbeite insbesondere daran, Fluggesellschaften von Drittstaaten zu sanktionieren, die am Transport von Migranten nach Belarus beteiligt seien, sagte von der Leyen. EU-Kommissions-Vize Margaritis Schinas sagte, er werde in den kommenden Tagen in die Herkunfts- und Transitländer der Migranten reisen.
Des Weiteren laufen in Brüssel bereits Gespräche über weitere Sanktionen gegen Weißrussland. Kommende Woche treffen sich die EU-Außenminister und wollen darüber beraten. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen äußerte am Montagabend, Belarus müsse mit der „zynischen Instrumentalisierung von Migranten“ aufhören. „Ich fordere die Mitgliedstaaten auf, die erweiterte Sanktionsregelung gegen die belarussischen Behörden, die für diesen hybriden Angriff verantwortlich sind, zu billigen“, sagte von der Leyen.

Airlines sanktionieren
Eine Idee lautet, Airlines zu sanktionieren, die die Migrationsflüge durchführen. Die weißrussische Airline Belavia auf die Sanktionsliste zu setzen wird bereits seit Oktober geprüft. Ein Flugverbot im EU-Luftraum wurde bereits verhängt.


Zudem suche man Gespräche mit Ländern, von denen die Flüge Richtung Minsk abheben – also zum Beispiel mit der Türkei. Die EU will mit aller Kraft beweisen, dass sie nicht machtlos ist und Lukaschenko Flüchtlingsströme nicht als EU-Destabilisierungsmaßnahme einsetzen kann.

Der Vorsitzende der konservativen Parteien-Gruppe im Europa-Parlament EVP Manfred Weber kritisierte die Türkei: „Wenn der türkische Präsident (Recep Tayyip) Erdogan nun mittels zahlreicher Migranten-Flüge aus der Türkei nach Belarus neue Erpressungsversuche gegen die EU unternimmt, braucht es eine unmissverständliche Antwort.“ Die EU-Kommission müsse umgehend Gespräche mit der türkischen Regierung aufnehmen, sagte er der „Bild"-Zeitung vom Dienstag.
Eine weitere mögliche Lösung wäre ein Flüchtlingsabkommen mit der Ukraine, wie es der einflussreiche Migrationsforscher Gerald Knaus vorschlägt. Er hatte auch das EU-Türkei-Abkommen entwickelt. Demnach nimmt das Partnerland illegale Flüchtlinge auf – im Gegenzug dürfen Flüchtlinge, die bereits in dem Land versorgt werden, legal in die EU. Dass dann wiederum die Ukraine, die selbst gern EU-Mitglied wäre, Flüchtlinge als Erpressungsversuch einsetzt, gilt als unwahrscheinlich.

https://www.handelsblatt.com/politik.../27779030.html