Grünen-Chefin Annalena Baerbock forderte 2019 mehr Geld der Bundesregierung für die Justiz. Konkret verlangte sie vier Milliarden Euro, verteilt auf zehn Jahre. Im Wahlprogramm der Grünen taucht ihr schöner, aber kostspieliger Vorschlag nicht auf. Doch auch so wird sich Baerbock an ihrer Aussage messen lassen müssen.

Es war eines der typischen Interviews, mit denen Oppositionspolitiker einen schnellen Aufmerksamkeits-Erfolg erzielen: Die Bundesregierung kritisieren, eine knackige Forderung stellen – und schon landet man in den Schlagzeilen.

Baerbock-Interview 2019: "Vier Milliarden Euro für Justiz"
Im Fall von Annalena Baerbock lautete die Schlagzeile: „Baerbock fordert vier Milliarden Euro vom Bund für Richter und Staatsanwälte“. Das entsprechende Interview erschien Anfang Februar 2019 in der „Rheinischen Post“. Grünen-Chefin Baerbock, damals noch nicht Kanzler-Kandidatin ihrer Partei, sorgte mit dem forschen Statement in Justizkreisen für Aufsehen.

„Um genug Richter und Staatsanwälte einstellen zu können, muss der Bund den Ländern pro Jahr 400 Millionen Euro für die nächsten zehn Jahre zur Verfügung stellen", sagte Baerbock. Man spreche also „über eine Summe von vier Milliarden Euro in zehn Jahren.“
Vier Milliarden Euro – viele Justiz-Mitarbeiter trauten ihren Ohren kaum. Denn die von Baerbock als dringend notwendig angesehenen Investitionen in den maroden Justizapparat gehen weit über das bisherige Maß hinaus.

Im Anfang 2019 zwischen Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und den Ministerpräsidenten der Länder beschlossenen „Pakt für den Rechtsstaat“ verpflichtete sich der Bund zur Zahlung von insgesamt 220 Millionen Euro – aufgeteilt in zwei Tranchen.

Vorstoß der Grünen-Chefin: Staunen beim Richterbund
Der Deutsche Richterbund (DRB) begrüßte die Einigung seinerzeit als „Meilenstein auf dem Weg zu einer zukunftsfesten Justiz“. Mit der Besiegelung hätten Bund und Länder „nach Jahren der verfehlten Sparpolitik in der Justiz endlich eine Trendwende eingeleitet“, so der DRB.

Baerbock hingegen kritisierte in dem Interview von 2019, mit einmalig 220 Millionen Euro seien die personellen Engpässe in der Justiz nicht zu beheben. „In meinem Bundesland Brandenburg mussten kürzlich ein mutmaßlicher Brandstifter und ein Mörder wegen überlanger Verfahrensdauer entlassen werden", empörte sich die Grüne. Ein Beispiel von vielen, das zeige: Die Justiz brauche eine Milliarden-Spritze.

Mehr als zwei Jahre sind seit dem Gespräch mit der „Rheinischen Post“ vergangen. Baerbock wurde inzwischen zur Kanzlerkandidatin ernannt, ihre Partei befindet sich im Umfragehoch, der Programmentwurf zur Bundestagswahl 2021 („Deutschland. Alles ist drin“) steht.

Milliarden-Pläne im grünen Wahlprogramm? Fehlanzeige
Doch wer in dem 137-seitigen Werk voller grüner Absichtserklärungen nach Baerbocks Milliarden-Forderung für die Justiz sucht, wird enttäuscht: Sie taucht an keiner Stelle auf. Das Wort Justiz fällt erstmals auf Seite 86, im Kapitel „Zusammen leben“ - und zwar in dem Satz, der den Kampf gegen „Extremist*innen, insbesondere von rechts“ thematisiert. Dort heißt es:

„Unsere Demokratie muss wehrhaft dagegenhalten, mit einer starken Zivilgesellschaft, selbstbewussten Parlamenten, einer gut ausgestatteten und bürger*innennahen Polizei und handlungsfähigen, starken Justiz. Es ist Aufgabe der Politik, die Voraussetzungen dafür zu schaffen.“

Ein bisschen später, auf Seite 89, dann die Pläne der Grünen zum Erhalt und Ausbau unseres Rechtsstaats. „Justiz entlasten und digitalisieren“ heißt das Kapitel, das aus insgesamt drei Absätzen besteht. Zitat aus dem Programmentwurf:

„Strafverfolgungsbehörden und Gerichte haben mit einer hohen Arbeitsbelastung zu kämpfen. Verfahren dauern zu lang. Hier braucht es dringend Entlastung durch mehr Personal, durch die Entkriminalisierung von Bagatelldelikten und durch eine flächendeckende Ausstattung der Justiz mit der nötigen Technik.“

Grüne Justiz-Pläne: Allgemeinplätze und nichts Konkretes
Dass die Justiz heillos überlastet ist und Verfahren zu lange dauern, ist freilich keine neue Erkenntnis. Die Ankündigung, für „mehr Personal“ zu sorgen, ist ebenso banal und unverbindlich wie das Versprechen, die „nötige Technik“ bereitzustellen.

Die Menschen erfahren leider nicht, was die Grünen mit einem angestrebten „Bund-Länder-Digitalpakt Justiz“ genau meinen. Auch das Versprechen, den Ende 2021 auslaufenden Pakt für den Rechtsstaat „mit ausreichender Finanzierung“ fortzusetzen, bleibt im Vagen. Von den vier Milliarden Euro, die Baerbock in den Medien vollmundig forderte, ist jedenfalls keine Rede mehr. Damit bleiben die Grünen ihrer Linie treu, im Wahlkampf möglichst nicht mit konkreten Zahlen zu hantieren, die ihnen später um die Ohren fliegen könnten.
Baerbock wird sich an ihrer Aussage messen lassen müssen
Gleichwohl: Baerbock wird sich an ihrer eindeutigen Interview-Ansage von 2019 messen lassen müssen. Ihre Glaubwürdigkeit steht auf dem Spiel.

Der Berliner Oberstaatsanwalt Ralph Knispel war von Baerbocks Vorstoß jedenfalls so baff, dass er ihn in seinem Anfang März veröffentlichten Buch „Rechtsstaat am Ende“ explizit erwähnte. Dabei sprach Knispel aus, was viele denken: Er versah die „finanzielle Machbarkeit“ der baerbockschen Forderung „mit einem dicken Fragezeichen“.

Falls die Grünen in der nächsten Bundesregierung sitzen sollten, werde man sich „der fordernden Worte“ der Parteichefin erinnern, warnte Knispel Baerbock schon mal vor.

https://www.focus.de/politik/deutsch..._13319146.html