Merkel bei Anne Will Und dann stellt die Kanzlerin den Ministerpräsidenten ein Ultimatum
Nicht Merkel, das wird bald klar, sitzt an diesem Abend auf der Anklagebank. Das Tribunal, zu dem sich die Sendung in den folgenden 60 Minuten entwickeln wird, gilt vor allem den Ministerpräsidenten der 16 Bundesländer.
Statt sich auf das Glatteis verfrühter Reflexion zu begeben, geht die Kanzlerin, zunächst fast unbemerkt, leise zum Angriff über. Der vergangene Montag, die bis in die Nacht andauernden Pandemie-Beratungen mit den vielen Pausen – und dem verunglückten Oster-Beschluss – sei für sie „eine Zäsur“. So wie bisher könne es jedenfalls nicht weitergehen.
Es dauert dann noch ein paar etwas umständliche Minuten, in denen Merkel recht wolkig einen „Instrumentenkasten“ ins Spiel bringt, den es durch die Beschlüsse der vergangenen Woche schon gebe, in dem aber noch die „Instrumente“ fehlten, die nötig seien, um die dritte Welle zu brechen. Da müssten die Länder noch nachlegen. „Sonst muss ich überlegen, ob wir auch Wege finden, wir haben ja das Infektionsschutzgesetz ...“
Der Reihe nach nimmt sich die Kanzlerin, immer wieder angefeuert von Will, einige jener Ministerpräsidenten vor, die sie im Verdacht hat, die dritte Welle der Pandemie nicht ernst genug zu nehmen. Die sich „Illusionen“ machen oder „falsche Hoffnungen“, wie Merkel es ausdrückt. Die – wie schon im Oktober – eine von der Wissenschaft geforderte und von der Kanzlerin angestrebte konsequentere Bekämpfung der Pandemie verzögern.
Michael Müller (SPD), der Berliner Bürgermeister gehört offensichtlich zu ihnen. Sie wisse nicht, ätzt Merkel, „ob Testen und Bummeln wie jetzt in Berlin“, die richtige Antwort auf das Pandemiegeschehen sei.
Auch Tobias Hans, der saarländische Regierungschef, der sein Land gerade zur Modellregion für weitere Öffnungen erklärt hat, darf sich eine öffentliche Belehrung anhören. Die „Grundlage“ für dessen Öffnungspläne seien schlicht und ergreifend nicht gegeben. Zwar könnten bei stabilen oder sinkenden Infektionszahlen solche Öffnungsschritte in Aussicht gestellt werden, aber im Saarland seien diese Zahlen in den vergangenen Tagen nicht stabil gewesen. „Deshalb ist es nicht der Zeitpunkt, so etwas ins Auge zu fassen.“
Hans gehört wie die Kanzlerin der CDU an, womit klar ist, dass Merkel mitnichten gewillt ist, in den kommenden Wochen große Rücksicht zu nehmen auf die eigenen Leute, oder gar auf den anlaufenden Bundestagswahlkampf.
Parteichef Armin Laschet bekommt das an diesem Abend auch zu spüren. Nordrhein-Westfalens Regierungschef hatte Ende vergangener Woche angekündigt, die von den Ministerpräsidenten und der Kanzlerin beschlossene „Notbremse“ in seinem Bundesland vorerst nicht anzuwenden. Dabei, sagt Merkel, gebe es in diesem Beschluss „keinen Ermessensspielraum“. Laschets großzügiger Umgang mit den von ihm selbst mitverantworteten Vorgaben erfülle sie „nicht mit Freude“.
Markus Söder wird es in diesem Moment ganz anders gegangen sein. Der bayerische Ministerpräsident und CSU-Chef, der selbst auch schon immer Verfechter rigider Corona-Maßnahmen war, darf später den Kanzlerinnen-Kurs noch einmal in den „Tagesthemen“ unterstützen.
Auch die Arbeitgeber bekommen im Lauf der Sendung Merkels Verärgerung zu spüren. Deren Umsetzung der gesetzlichen Pflicht zum Home-Office sei „lasch“ geworden. Und auch mit dem „Enthusiasmus“ der Betriebe bei der Umsetzung der Selbstverpflichtung zum Testen sei sie unzufrieden. Mit anderen Worten: Aus der Selbstverpflichtung soll die gesetzliche Pflicht werden, jeden Arbeitnehmer, der nicht im Home-Office arbeitet, mindestens zwei Mal pro Woche zu testen.
(Anmerkung: Mit den nicht vorhandenen Tests....)

Merkel belässt es an diesem Abend auch sonst nicht beim Tadeln. Sie macht, anders als man es von ihr zumindest öffentlich gewohnt ist, klare Vorgaben.
Es bedürfe aktuell keiner neuen Ministerpräsidentenkonferenzen, sagt die Kanzlerin, „wir brauchen Handeln in den Ländern“: Umsetzung der Notbremse, also Rücknahme aller Lockerungsmaßnahmen nach den Maßgaben der Beschlüsse von März, dazu Ausgangsbeschränkungen, weitere Kontakteinschränkungen, verpflichtende Tests in den Schulen und für all jene Arbeitnehmer, die nicht im Home-Office arbeiten. Das alles seien für sie „ganz wichtige Mittel, um das exponentielle Wachstum zu stoppen“.
All diese Maßnahmen, sagt Merkel, müssten „mit großer Ernsthaftigkeit“ und vor allem zügig („ein paar Tage“) umgesetzt werden – in allen Bundesländern. Wenn das nicht passiere, wolle sie die entsprechenden Regeln auf der Bundesebene durchsetzen, zum Beispiel durch eine erneute Änderung des Infektionsschutzgesetzes.
Das wäre, man muss das so krass und mit der Bitte um Entschuldigung bei den Regierungschefinnen sagen, eine Enteierung der Ministerpräsidentenkonferenz.
Ich denke noch nach“, sagt Merkel. Sie sei noch nicht entschieden, wie: „Aber es wird dazu kommen, dass wir das Richtige tun“. Und: „Ich werde nicht zuschauen, dass wir 100.000 Infizierte haben.“
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