Wenn der Staat Auftritte untersagt und der Musiker pleite geht, so gehört dies nach dem Staat BRD zum "Lebensrisiko".

Ist das nun Zynismus?

Wegen Corona bangt er um seine Existenz
Musiker klagt auf Corona-Entschädigung: Staat nennt Konzert-Absagen "Lebensrisiko"

Als erster deutscher Musiker hat Martin Kilger (45) den Staat auf eine Corona-Entschädigung verklagt. Grund: Wegen der Pandemie platzten ihm zahlreiche Veranstaltungs-Verträge. Baden-Württemberg und Bayern lehnen Zahlungen strikt ab - und liefern eine Begründung, die in der Künstler-Szene für Proteststürme sorgen könnte.

Der im Allgäu lebende Musiker Martin Kilger (45) hat als erster deutscher Künstler den Staat auf eine Corona-Entschädigung verklagt. Wegen geplatzter Auftritte und entgangener Einnahmen aufgrund der Pandemie fordert er von den Bundesländern Baden-Württemberg und Bayern insgesamt 14.700 Euro plus Zinsen. Das bestätigte der Künstler gegenüber FOCUS Online.

Musiker beklagt eine "existenzbedrohende" Schieflage


In seinen Klageschriften führt Kilger an, durch das behördlich erlassene „Veranstaltungsverbot“ habe er seinen Betrieb nicht fortsetzen können und sei in eine „existenzbedrohende“ Schieflage geraten. „Der Kläger verfügte seitdem über keinerlei Einnahmen mehr und hat massive Umsatzeinbußen hinzunehmen“, heißt es in den Klageschriften von Ende August 2020 an die Landgerichte in Stuttgart und München.


Baden-Württemberg und Bayern lehnen Entschädigungen kategorisch ab. In ihren Klage-Erwiderungen nennen die Länder mehrere Gründe, die einer Zahlung angeblich im Wege stehen. So bestreiten sie die Rechtmäßigkeit der Verträge, die der Musiker mit etlichen Veranstaltern abgeschlossen hatte. Zudem bezweifeln sie, dass die Absagen der Musiker-Auftritte aufgrund der Corona-Bestimmungen erfolgten.

Regierung: Veranstaltungs-Absage "allgemeines Lebensrisiko"

Besonders interessant in diesem Zusammenhang ist die Argumentation des Landes Baden-Württemberg, dessen Klage-Erwiderung stolze 47 Seiten umfasst. So findet sich in dem FOCUS Online vorliegenden Papier der Satz:

„Wenn der Kläger in einzelnen Fällen Auftritte nicht wie geplant absolvieren konnte, hat sich vielmehr ein allgemeines Lebensrisiko verwirklicht, das ihn regelmäßig auch dann trifft, wenn eine Veranstaltung wie beispielsweise eine Hochzeit aus anderen Gründen abgesagt wird.“

Auf Deutsch: Es ist egal, ob eine Hochzeit wegen plötzlicher Erkrankung der Braut abgesagt werden muss oder aufgrund eines staatlich verhängten Veranstaltungsverbots bei einer Pandemie – das Risiko liegt in jedem Fall bei Musikern wie Martin Kilger.


Künstler Martin Kilger: Argumentation "nicht akzeptabel"

Künstler müssten ihre Verträge mit Veranstaltern so schließen, dass eine „angemessene Risikoverteilung“ für beide Seiten bestehe, meint das Land Baden-Württemberg. Dass der Kläger nicht auftreten konnte, sei „nicht mehr der Risikosphäre“ des Staates zuzurechnen.
Die Auffassung der verantwortlichen Politiker, dass seine berufliche Notlage durch Corona zum „allgemeinen Lebensrisiko“ gehöre, hat Martin Kilger überrascht. Er nennt die Argumentation „nicht akzeptabel“. Zu FOCUS Online sagte er: „Auf dieses Risiko konnte sich nun wirklich niemand einstellen. Jeder einzelne Künstler erbringt ein Sonderopfer für die Gemeinschaft – und das muss vom Land entschädigt werden.“

Kulturszene schwer getroffen: Lage für viele dramatisch

So ähnlich sehen es zehntausende Künstler und Kulturschaffende in ganz Deutschland, die seit Beginn der Corona-Krise im März 2020 faktisch arbeitslos oder zumindest sehr eingeschränkt tätig sind. Museen, Galerien, Schlösser, Theater, Opern, Konzerthäuser, Kinos und ähnliche Einrichtungen können nur bedingt öffnen oder müssen ganz geschlossen bleiben. Proben, Drehs, Aufführungen und Konzerte werden abgesagt. Überall brechen Aufträge weg.
Das Corona-Jahr 2020 hat die Kultur- und Kreativwirtschaft schwer gebeutelt. Mit einem Umsatzverlust von 31 Prozent steht sie laut einer aktuellen Studie schlechter da als die Tourismusindustrie (minus 27 Prozent) oder die Automobilbranche (minus 25 Prozent). Die Folgen insbesondere für Soloselbstständige, kleine Unternehmen und prekär Beschäftigte sind dramatisch.

Am Ende blieb Künstlern oft nur noch Antrag auf Hartz-IV

Zwar legte der Staat auch für die Kultur- und Kreativwirtschaft Hilfsprogramme auf, doch zahllose Betroffene fühlen sich von der Politik im Stich gelassen. Viele freischaffende Künstler konnten nicht einmal die Soloselbständigen-Hilfe beantragen, denn die darf nur zur Deckung von Betriebskosten verwendet werden. Am Ende blieb jenen Schauspielern oder Musikern, die keine Betriebskosten vorzuweisen hatten, nur noch der Antrag auf Hartz-IV-Leistungen.

Martin Kilger betreibt seit 2014 ein Unternehmen für Musik- und Filmproduktionen. Der 45-Jährige und sein Team organisieren Hochzeiten und andere Events. Dabei sorgen sie mit ihrer Band „Buron" für die Musik, übernehmen Foto- und Videodokumentationen der Feier und kümmern sich um das Catering.

Von März bis Juli 2020 fielen etliche geplante und bereits vertraglich fixierte Auftritte aus. Darunter Hochzeiten, Geburtstage und Firmenfeiern etwa in einem Spa-Hotel in Balderschwang oder in einer Hütte am Tegernsee.

9000 Euro Corona-Soforthilfe, aber es reicht längst nicht

Als Selbständiger hat Martin Kilger zwar 9000 Euro Corona-Soforthilfe bekommen, doch die brachten ihn nicht wirklich weiter. Er wurde sogar aufgefordert, einen Teil des Gelds zurückzuzahlen. „Ich habe dann entsprechende Kosten vorgelegt und konnte die Hilfe deshalb behalten“, so Kilger. „Im Umkehrschluss bedeutet das aber auch, dass die Hilfe für den Lebensunterhalt der Künstler wertlos ist, da man entsprechende Ausgaben gegenrechnen muss.“

Auch aus diesem Grund verlangt der Allgäuer nun eine Entschädigung durch jene beiden Bundesländer, in denen ihm fest eingeplante Auftritte weggeplatzt waren.

Anwalt: "Als unbeteiligter Dritter" einen Schaden erlitten

Sein Anwalt Niko Härting aus Berlin argumentiert, durch die Maßnahmen des Staates habe der Musiker „als unbeteiligter Dritter“ einen Schaden erlitten. Die Schließung seines Betriebs sei im Allgemeininteresse erfolgt. Dem Kläger werde damit ein „Sonderopfer“ abverlangt, „das seine wirtschaftliche Existenz mit jedem weiteren Tag der Betriebsschließung stärker gefährdet“.
Die verklagten Länder sehen sich freilich nicht in der Pflicht – und sagen das auch ganz deutlich. In der Klage-Erwiderung aus Bayern heißt es zu einer gestrichenen Hochzeitsfeier, für die der Musiker Martin Kilger ursprünglich engagiert war, unter anderem: „Es wird bestritten, dass die Veranstaltung coronabedingt abgesetzt worden ist.“

Politik: Gerichte sehen die Verordnung als "rechtmäßig" an


Auch einen Angriff auf die staatlichen Maßnahmen an sich wehrt der Freistaat ab: „Wenn der Kläger die Infektionsschutz-Maßnahmenverordnung für rechtswidrig ansieht, hätte er hiergegen Rechtsmittel ergreifen müssen.“ Doch auch das wäre wohl ins Leere gelaufen, meint Bayern. Schließlich hätten andere Gerichte bereits festgestellt, „dass die Verordnung rechtmäßig war“.

Zu guter Letzt weisen die Länder auf die „umfangreichen Hilfsprogramme“ des Staates auch für Soloselbständige wie Martin Kilger hin. Durch die Unterstützung sei „nicht davon auszugehen, dass die vorübergehenden Einschränkungen der betrieblichen Tätigkeit für den Kläger einen Eingriff mit existenzbedrohende Eingriffstiefe darstellen“, so der Freistaat Bayern.

Kläger Kilger: "Mutmacher für alle Musiker und Künstler"


Während die Verhandlung zur Klage gegen Bayern am Landgericht München II noch aussteht, gab es am 26. Januar 2021 bereits den ersten Termin im Streit mit Baden-Württemberg. Mitte Februar will das Landgericht in Stuttgart seine Entscheidung verkünden.

Ob seine Klage am Ende erfolgreich sein wird, kann Martin Kilger derzeit nicht einschätzen. Gegenüber FOCUS Online sagte er: „Ich sehe meinen Kampf für Gerechtigkeit als Mutmacher für alle Musiker und Künstler. Einer muss den ersten Schritt gehen.“ Sollte er verlieren, werde er in Berufung gehen. „Momentan herrscht ein enormes Ungleichgewicht, und es muss für alle Künstler Recht gesprochen werden!“

https://www.focus.de/politik/es-geht..._12932854.html