Woher das Geld größtenteils stammt, dass die EU Italien spendiert, ist wohl jedem klar.


Corona-Hilfsfonds Italien im Rausch des Geldausgebens

In Italien ist ein bizarrer Streit ausgebrochen, wie das Geld aus dem EU-Coronafonds verwendet werden soll – obwohl die Bürger schon jetzt kaum noch wissen, für welche Anschaffungen es einen Bonus gibt. Nur für den medizinischen Sektor bleibt kaum etwas.

Seit dem Frühjahr diskutiert man auch in Italien, ob die Pandemie nicht auch ein Weckruf für das lethargische Land sein könnte. Ob aber gerade die junge Generation, die derzeit häufig zur Auswanderung gezwungen ist, wirklich gegen die Klimaerwärmung, die Ungerechtigkeit der Generationen und die gierige Politikerkaste aufstehen kann? Der Publizist Aldo Cazzullo, der große Chronist der verlorenen Jahrzehnte Italiens, hat jede Hoffnung auf den Neuanfang aufgegeben.


Am Wochenende erinnerte er im „Corriere della Sera“ daran, dass für große Sprünge nach vorn erst einmal Geld verdient werden müsste. Und woher soll es kommen, wenn Italien jetzt bereits am Tropf von Brüssel hängt? „Mir scheint“, urteilt Cazzullo, „dass der Grundton unserer Zeit nichts als ein unproduktiver und steriler Narzissmus ist.“ Die Politiker in Rom, so viel steht fest, werden sich seine Worte nicht zu Herzen nehmen.






Braucht Italien mitten in der schwersten Krise der vergangenen Jahrzehnte eine neue Regierung? Die Bevölkerung, seit Monaten niedergeworfen durch die Corona-Pandemie und persönliche Einschränkungen, wäre gewiss schon froh, vor eitlen Politikern ihre Ruhe zu bekommen. Doch als wäre nichts gewesen, bietet sich dem geplagten Land in diesen Tagen das vertraute Schauspiel: Der abgehalfterte Premierminister Matteo Renzi droht, mit seiner Kleinpartei „Italia viva“ (Das lebendige Italien) die gesamte Regierung zu stürzen.


Renzi wirft dem Premierminister Giuseppe Conte, einem Quereinsteiger und Juraprofessor, Fehler bei der Verteilung der immensen europäischen Hilfsfonds vor. In Wahrheit, so rufen es die Spatzen von den Dächern der römischen Politikerpaläste, steht Renzi der Sinn nach einem prominenten Posten; am ehesten sollte es das Außenministerium sein. Dafür bedarf es eines großen Stühlerückens. Zur Krönung soll Conte verjagt und Renzis Vertrauter, der bisherige Kulturminister Franceschini, Regierungschef werden.


Hat Italien – und im Hintergrund des Landes sein Hauptfinanzier, die Europäische Union – im Augenblick wirklich keine andere Sorgen? Das unwürdige Spektakel, in diesem Fall notabene aufgeführt von den europafreundlichen Linken, beleuchtet einerseits eine seit Jahrzehnten offenkundige Unfähigkeit der politischen Klasse, die – ob unter dem Medienmogul Silvio Berlusconi oder der jeweiligen Opposition – außer persönlicher Bereicherung und dauernder Selbstbespiegelung kaum etwas hinbekommen hat.


Auf der anderen Seite gäbe es für die Minister und ihre Administration durchaus Grund für sozialverträgliches Schaffen. Rund zweihundert Milliarden Euro stellte die Europäische Union Italien an Hilfsgeldern zur Verfügung, als das Belpaese im Sommer unter allen europäischen Nationen zuerst und am schwersten von der Pandemie getroffen wurde. Nun tut sich die Verwaltung schwer, die Unsummen einigermaßen vernünftig auszugeben.


Seit Monaten erreichen die Bürger täglich Nachrichten über immer neue Zuschüsse für den privaten Konsum. Denn anstatt keynesianischer Strukturmaßnahmen und nachhaltiger Projekte für Aufschwung und Wohlstand geht es bei fast allen Plänen um kurzfristige Konsumanreize. Die Wählerbestechung ist in vollem Gange, seit der linke Parteichef Nicola Zingaretti nach dem grünen Licht der EU die Parole ausgab: „Genug Geld ist da!“


An diesem Wochenende verkündete die Regierung den Bonus für die Anschaffung von Neuwagen, der – gestaffelt zwischen 2000 und 6000 Euro – ebenso für unökologische Dieselfahrzeuge wie für Elektromotoren gilt. Es gibt auch einen Bonus für Brillen, einen Bonus für das brave Bezahlen mit der Kreditkarte (und nicht mit Schwarzgeld), einen Bonus für neue Fahrräder. Der „Superbonus“ von sage und schreibe 110 Prozent wird bei einer neuen Wohnungsheizung fällig, die sich naturgemäß am ehesten wohlhabende Italiener auf die Schnelle einbauen lassen können. Weitere Boni sind in Planung.

Schnellbahnen für Süditalien

Bittere Ironie des Geldregens: Matteo Renzi begründet seine Umsturzpläne damit, dass ihm immer noch nicht genug Geld aus Europa in die italienischen Kassen fließt. Er möchte bereits geplante Strukturmaßnahmen, etwa Schnellbahntrassen in Süditalien, wie geplant über den Finanzmarkt abwickeln, damit noch mehr Geschenke aus dem Brüsseler Topf an die Wähler verteilt werden können.


Dass dadurch, wie immer mehr Ökonomen warnen, Italien sogar die weit gesteckten Verschuldungskriterien der EU grandios überschreiten würde, interessiert im römischen Spendierrausch offenbar kaum jemanden mehr. Bei Verträgen öffentlicher Bediensteter wurde bereits ein Zuwachs von über 20 Prozent prognostiziert, und auch die Verteiler der Boni selbst wurden naturgemäß mit zahlreichen hochdotierten Stellen ausgestattet.


Der unter Druck stehende Premierminister Conte, ein Apulier, wird gleichzeitig nicht müde darauf hinzuweisen, wie viel vom Geld in den ärmeren Süden fließen wird, wo allerdings auch die organisierte Kriminalität in den Startlöchern sitzt, sich ihre Scheibe vom gigantischen Kuchen abzuschneiden. Pikanterweise schwärmt Conte von Projekten wie Autobahnen in Kalabrien und Sizilien, aus denen über Jahrzehnte nichts wurde, weil Mafia, Cosa Nostra und N‘drangheta die örtliche Bauindustrie monopolisieren. Wie also sollen Contes ehrgeizige Pläne für den Mezzogiorno gerade jetzt gelingen, da alles ganz schnell gehen muss und Kontrollen oberflächlich bleiben?

Nur zehn Prozent für Medizin und Pflege

In Brüssel begründete die italienische Delegation gegen offenen Widerstand vor allem der Niederlande den plötzlichen Geldbedarf mit dem maroden Gesundheitswesen, dem in der Tat etliche Tausend Coronatote zum Opfer gefallen sein dürften. Von den 200 Milliarden gehen nun aber nicht einmal zehn Prozent in die Medizin und die Pflege, die in Italien traditionsgemäß der Bevölkerung aus Steuermitteln gratis zur Verfügung gestellt werden. So sieht es in Italiens Krankenhäusern allerdings auch aus: Geräte fehlen, Patienten werden in maroden Gebäuden von schlecht bezahlten Pflegekräften oft nur noch auf den Fluren behandelt.


Dass Deutsche ein Mehrfaches in ihre Krankenkassen einzahlen, hat sich aber kaum nach Italien herumgesprochen. Auch jetzt bei der langsamen Verteilung des Impfstoffs, bei dem Italiens Politiker wieder eine schlechte Figur machen, regt sich eher der Neid auf die vermeintlich reicheren Deutschen. Die Debatte, dass Italien für den Aufbau einer funktionierenden Infrastruktur zuerst mehr Steuern einnehmen und weniger Geld für den ineffektiven Staatssektor (vor allem im Süden) verschwenden müsste, wird unter dem Deckmantel der Corona-Pandemie nicht geführt.







Am Wochenende erinnerte er im „Corriere della Sera“ daran, dass für große Sprünge nach vorn erst einmal Geld verdient werden müsste. Und woher soll es kommen, wenn Italien jetzt bereits am Tropf von Brüssel hängt? „Mir scheint“, urteilt Cazzullo, „dass der Grundton unserer Zeit nichts als ein unproduktiver und steriler Narzissmus ist.“ Die Politiker in Rom, so viel steht fest, werden sich seine Worte nicht zu Herzen nehmen.



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