Rücklagen aufgezehrt Unterstützung sei „ein Skandal“ – dem Handel geht das Geld aus

50.000 Geschäfte mit mehr als 250.000 Arbeitsplätzen vor dem Aus: Mit Blick auf die wahrscheinliche abermalige Verlängerung des Lockdowns setzt der Handelsverband HDE einen Notruf für die Branche ab. Schwere Vorwürfe richten sich auch gegen Finanzminister Olaf Scholz.

In der Hoffnung, eine Pleitewelle in letzter Minute abwenden zu können, richtet sich der Handelsverband HDE mit einem dramatischen Appell an die deutsche Regierungschefin.



„Viele Handelsunternehmen, die von dem zweimaligen Lockdown betroffen sind, haben ihr Eigenkapital weitgehend aufgezehrt“, heißt es in einem Brief von HDE-Präsident Josef Sanktjohanser und Hauptgeschäftsführer Stefan Genth an Bundeskanzlerin Angela Merkel. Ohne rasche wirtschaftliche Hilfe stünden 50.000 Geschäfte mit mehr als 250.000 Arbeitsplätzen vor dem Aus.


Ein konkretes Ende der Schließung praktisch aller stationären Geschäfte jenseits von Lebensmittelhandel und Drogerien ist derzeit nicht in Sicht. Am Tag vor dem für Dienstag geplanten Bund-Länder-Treffen zeichnete sich eine Verlängerung des Lockdowns über den 11. Januar hinaus ab.


„Der Lockdown muss bis Ende Januar verlängert werden. Vorschnelle Lockerungen würden uns wieder weit zurückwerfen“, schrieb Bayerns Ministerpräsident MarkusSöder auf dem Kurznachrichtendienst Twitter. Andere Länderchefs äußerten sich ähnlich.


Ein Frontalangriff der HDE-Spitze richtet sich gegen Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD). Die mangelnde wirtschaftliche Unterstützung der Händler sei „ein Skandal“, heißt es in dem Schreiben, das WELT vorliegt.


Der Finanzminister kündige zwar immer wieder Milliardenhilfen an, tatsächlich scheitere die Auszahlung aber an viel zu hohen und komplizierten Zugangshürden. Zudem seien die Hilfen äußerst ungerecht verteilt.

Neue Zahlen zeigen: Die Warnungen sind mehr als Lobbyismus

„Während die Gastronomie im Lockdown durch mehr als großzügige Hilfen des Staates das beste Weihnachtsgeschäft seit Jahren machte, wird dem Einzelhandel das Weihnachtsgeschäft völlig entzogen“, beschweren sich Sanktjohanser und Genth.


Neue Zahlen von Wirtschaftsforschern sprechen dafür, dass hinter den Warnungen des Verbands mehr stecken könnte als die üblichen Forderungen von Lobbygruppen nach mehr Geld für ihre Klientel.


Nach Angaben des Ifo-Instituts steigt die Kurzarbeit im Einzelhandel derzeit sprunghaft an, während sie in anderen Wirtschaftsbereichen wie der Industrie zurückgeht. Im Dezember waren laut Ifo-Schätzung im Handel 150.000 Menschen betroffen, eine Steigerung um 55 Prozent innerhalb nur eines Monats.


Tatsächlich könnte die Zahl noch höher liegen, denn vor dem zweiten Lockdown hätten zahlreiche Firmen entsprechende Maßnahmen angekündigt. Insgesamt ging die Kurzarbeit in Deutschland derweil nach Ifo-Schätzung von 1,98 Millionen auf 1,95 Millionen zurück.


Zwei von drei Kaufleuten sehen nach einer Schnellumfrage des Handelsverbands unter 700 Händlern ihre wirtschaftliche Existenz in Gefahr. Drei Viertel der Händler gaben an, dass die staatlichen Hilfen nicht ausreichen, um eine Insolvenz abzuwenden.


„Für viele Händler ist es schon kurz nach zwölf“, sagte Genth. In dem Brief an Merkel sichern die Branchenvertreter der Politik zwar weitere Unterstützung bei der Corona-Bekämpfung zu, zugleich äußern sie jedoch Unverständnis für die flächendeckende Zwangsschließung der Geschäfte.


In den Monaten vor dem Lockdown habe der Handel unter Beweis gestellt, dass geöffnete Ladentüren und Pandemiebekämpfung keinen Widerspruch darstellten. „Der Einzelhandel ist kein Hotspot. Die Erkrankungszahlen bei den Mitarbeitern bewegen sich auf unauffälligem Niveau“, heißt es in dem Schreiben.


Allein in der abgelaufenen Woche hätten die von der Schließung betroffenen Betriebe rund fünf Milliarden Euro an Umsatz verloren. Im gesamten vergangenen Jahr hätten sich die Einbußen auf 36 Milliarden Euro belaufen.


„Das können die Unternehmen nicht mehr ohne Hilfe kompensieren“, sagte Genth. „Wenn die Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten gemeinsam mit der Kanzlerin eine weitere Schließung unserer Geschäfte beschließen, müssen sie auch für die notwendige Unterstützung sorgen“, forderte er. Vorrangiges Ziel müsse es sein, die Geschäfte wieder zu öffnen und sie dann auch geöffnet zu halten.
„Im Fashionhandel droht die zweite Horror-Saison in Folge“

Besonders betroffen sind derzeit die Modehäuser. „Im Fashionhandel droht nach dem Lockdown im März/April die zweite Horror-Saison in Folge“, erklärte ein Sprecher des Textilhandels. Nach Hochrechnungen betrügen die Umsatzeinbußen des innerstädtischen Mode- und Schuhhandels in den ersten drei Novemberwochen 40 Prozent, in Einzelfällen bis zu 80 Prozent.





Momentan stecke viel zu viel Ware in der Produkt-Pipeline. Wegen der langen internationalen Lieferketten seien die Bestellungen der Kaufleute für die laufende Herbst/Winter-Saison schon vor Beginn der Corona-Pandemie herausgegangen – mit entsprechend hohen Stückzahlen.

Zudem geraten die Preise in der Branche traditionell unter Druck, je weiter die Modesaison fortschreitet. „Schließlich lassen sich modische Pullis, Winterstiefel oder Taschen im nächsten Frühjahr kaum noch verkaufen“, so der Sprecher.



Ohne baldige Wende in der Seuchensituation könnte die Not der Modegeschäfte, Dekoläden, Sportartikelhändler und anderer Ladenbetreiber in ein Desaster für Deutschlands Innenstädte münden.


Schon Mitte Dezember hatte der Präsident des Deutschen Städtetags, Burkhard Jung, darauf hingewiesen, dass die Bekämpfung der Corona-Seuche die ohnehin durch den massiv anwachsenden Onlinehandel bedrängten City-Standorte endgültig an den Rand der Existenz drängen könnte.


„Viele Einzelhändler und große Handelsketten warnen, dass sie ihre Mieten nicht mehr lange zahlen können“, sagte Jung. Durch zunehmende Leerstände in Fußgängerzonen und auf Einkaufsmeilen drohe ein Dominoeffekt der Verwahrlosung.



Dazu kommt, dass die Kaufleute in der aktuellen Krise von eigenen Versäumnissen aus der Vergangenheit eingeholt werden. Experten haben eine gewaltige Digitalisierungslücke in der Branche ausgemacht.


Nach einer Studie des Regensburger Forschungsinstituts Ibi-Research verfügen mehr als drei Viertel aller Handelsunternehmen über kein gesondertes Budget für Digitalisierungsmaßnahmen, mehr als die Hälfte verfolgt derzeit auch keinerlei Projekte in diese Richtung.


„Auffällig ist, dass es ausschließlich kleine Händler sind, die auf digitale Anwendungen verzichten“, heißt es in dem Bericht. Zahlreiche Unternehmen könnten die Aufholjagd nicht mehr gewinnen, sagte der Ökonom und Handelsexperte Gerrit Heinemann kürzlich: „Für viele ist es zu spät. Sie haben den Einstieg verpasst.“


Auf Rückenwind durch die gesamtwirtschaftliche Entwicklung können die Kaufleute ebenfalls nicht mehr hoffen. Die Kauflaune der Verbraucher sinkt unter dem Eindruck der Pandemie spürbar, berichtete der HDE am Montag.


Dessen Konsumbarometer zeige für die kommenden Monate eine Verschlechterung der Verbraucherstimmung an. Der Index fiel damit bereits den dritten Monat in Folge und liegt nun deutlich unter dem Stand von Anfang 2020.

https://www.welt.de/wirtschaft/artic...lagen-aus.html

Die Kurzarbeit sinkt, wenn Unternehmen pleite gehen. Dann nämlich gehen die Kurzarbeiter in die Arbeitslosigkeit.

Im Kommentarbereich stecken auch einige Erfahrungsberichte, die von Scholz Schlamperei künden, man könnte meinen, der absichtlichen Schlamperei:


vor 7 Stunden
Von der Novemberhilfe wurden nur Abschlagszahlungen (50 %) geleistet, teilweise noch gar nichts. Von der Coranhilfe I (März) fehlen sogar noch ca 10 % der Auszahlungen. Zahlreiche 1 Mann Unternehmer beziehen bereits AlG II. Da ein Mann StB ist, bekommen wir das Chaos hautnah mit. Beim Kurzarbeitergeld wird zudem nur auf Formfehler geachtet. Diese Regierung ist einfach nur bösartig.
vor 8 Stunden
Die 50.000 Händler sollten sich der Initiative "Wir machen auf" anschließen was haben sie zu verlieren.

AR


vor 7 Stunden
haha, haben wir versucht für kleinen Teilbereich unter Einhaltung aller Regeln. Zuerst kommt der shitstorm vom Mitbewerber und Artikel in der Presse. Dann kommt das Ordnungsamt und in unserem Fall in BAWÜ wurde unter Androhung von 5-stelliger Strafe sogar das Abhollager innerhalb 3 Stunden dicht gemacht. Nächster Schritt im Falle der Nichtbeachtung dann Ordnungsgeld in Höhe eines neuen Mercedes, wie gesagt nur das Abhollager. Die Ladentüre aufzumachen traut sich keiner, da wäre die Insolvenz dann schneller als oben genannter Mercedes :)
vor 8 Stunden
"Digitalisierungslücke" - Das ist schon eine ziemlich unverschämte Feststellung. Wer ein Ladengeschäft in guter Lage hat, will gerade nicht online antreten, sondern seine Produkte und Beratung persönlich präsentieren und anbieten. Ihm jetzt seine kunden- und Innenstadtfreundliche Strategie als "Lücke" vorzuhalten, empfinde ich als grob unfair und unangemessen. Hier sollen die Opfer des Lockdown zu Dummen gestempelt werden, welche für zu blöde gehalten werden, dass sie nicht den hunderttausendsten Onlineshop für Damenbekleidung eröffnet haben. Amazon hat es natürlich besser gemacht. Die haben Ihren Sitz in Luxemburg und zahlen nur 4 % Steuer. Das hätte sich der kleine Ladenbesitzer halt auch mal einfallen lassen sollen, aber der war so blöd und ist in Deutschland geblieben.
vor 9 Stunden
Erinnert mich immer an die DDR, da wurde in der aktuellen Kamera auch immer alles mögliche angekündigt .....wenn man dann mal ausm Fenster geguckt hat wars komplett anders ...
vor 9 Stunden
„Auffällig ist es, dass kleine Händler auf digitale Anwendungen verzichten“ steht in dem Beitrag. Ein kleiner Händler hat denkbar schlechte Voraussetzungen für beispielsweise einen Online Shop. Nur um seine Stammkunden zu bedienen, ist der finanzielle Aufwand zu groß, einen professionellen Online Shop zu installieren. Das rentiert sich nur, wenn man einen überregionalen Bekanntheitsgrad hat. Den hat der kleine Händler aber nicht. Da beißt sich die Katze in den Schwanz. Die Lage im Einzelhandel, speziell im textilen, mit dem ich geschäftlich zu tun habe, ist äußerst prekär.
vor 8 Stunden
So ist es! Es wird immer so dargestellt, als würde eine Website und ein Shopmodul schon langen. Und dann ginge alles von alleine: das Fotografieren, Texte, Upload, Bezahlsystem, Verpackungsgesetz, Versandlabel, Verpacken, Verschicken, Retouren (natürlich -wie bei den Großen- am liebsten auf Kosten des kleinen Händlers) und das -und das ist das schwierigste- Gefunden-werden. Und die, die keine Ahnung haben, zetern von "Anschluss verpasst und nicht mit der Zeit vergangen" und shoppen online selbst doch nur bei Amazon und Zalando. Da sind ja alle die Daten hinterlegt und die Versandkosten und Retouren inklusive. Außerdem wisse man ja gar nicht, ob dieser "kleine Onlineshop" seriös sei und man nicht um sein Geld gebracht werde. Oh, was habe ich diese ganzen Klugsch... satt. Und es trifft ja nicht "nur" den Handel, sondern die ganze Wertschöpfungskette davor. Das wir leider sehr gerne übersehen.
vor 9 Stunden
Der ganze Lockdown ist ein Wahnsinn. Was meine Grosseltern ,Eltern nach dem Krieg aufgebaut haben macht unsere Regierung in einem Jahr alles kaputt. Ende 2021 werden wir so dastehen wie vor 30 Jahren die DDR wenn haben wir das zu verdanken, den Lehrmädchen von Honecker.
vor 9 Stunden
Diese komplette Schließung eines groß Teils der deutschen Wirtschaft dient doch nur dazu, dieser größt möglichen Schaden zuzufügen, ganz sicher nicht, die Pandemie zu bekämpfen. Deutschland soll maximal beschädigt werden, um eine komplett andere Wirtschaftsordnung zu installieren. Dem deutschen Michel wurde in den letzten Jahren seine Zipfelmütze über Augen und Ohren gezogen, deshalb ist er bilnd und taub.
vor 9 Stunden
Da richtet sich der HDE an den Henker des Handels und das wird hoffnungslos sein. Mit dem Geld sind inzwischen die Konzerne wie VW, Lufthansa, Tui usw. abgehauen, weil sie durch ihre Lobbyisten, die fest im Bundestag verwurzelt sind. Der Handel stirbt, nachdem er seine letzten Reserven verbraucht hat und für die Banken keine Sicherheiten mehr hat, langsam, aber beständig. Sehr zur Freude der großen Versandhändler.
vor 10 Stunden
Herr Söder hat Humor. "So sehr es einen nervt." Hier geht es an hundertausende Existenzen. Schon mal so weit gedacht?