NEW YORK. Die Meinungsredakteurin der New York Times, Bari Weiss, hat ihren Job gekündigt, weil ein freier Austausch verschiedener Meinungen ihrer Ansicht nach dort nicht geduldet werde. Sie sei mit dem Auftrag angestellt worden, die Stimme von Vertretern der politischen Mitte und Konservativen einzuholen. Dem könne sie aufgrund der Intoleranz der Zeitung nicht gerecht werden, schrieb sie in der Kündigung, die sie auf ihrer Internetseite veröffentlichte.
Zuvor hatte bereits der Meinungsseiten-Chef James Bennet gekündigt, nachdem er für die Absegnung eines „Black Lives Matter“-kritischen Kommentars im Meinungsteil der Zeitung attackiert worden war. Der republikanische Senator Tom Cotton hatte in dem Beitrag gefordert, das amerikanische Militär einzusetzen, um die „Black Lives Matter“-Proteste in den Griff zu bekommen.
Bennet war für die Veröffentlichung des Kommentars unter anderem von den eigenen Kollegen kritisiert worden. Auch der Verleger der New York Times, A. G. Sulzberger, hatte sich von dem Text distanziert und diesen als Fehler eines überstürzten redaktionelles Prozesses bezeichnet.
Redakteure fühlten sich als Erleuchtete


Weiss sieht darin ein Muster. Besonders in dieser Zeitung, aber auch in der Presse insgesamt, habe sich ein Konsens eingestellt: Die Wahrheit sei kein gemeinsamer Findungsprozeß mehr, sondern die bereits feststehende Meinung einiger Redakteure, die meinten, andere erleuchten zu müssen.
Trotz der Wahl des republikanischen US-Präsidenten Donald Trumps 2016 habe sich die Zeitung geweigert, sich mit den Positionen seiner Anhänger auseinanderzusetzen. „Lehren über die Wichtigkeit, andere Amerikaner zu verstehen, die Notwendigkeit über den eigenen Tellerrand hinauszuschauen und die zentrale Bedeutung des freien Austauschs von Ideen für eine demokratische Gesellschaft wurden nicht gezogen“, beklagte sie.
Twitter sei wahrer Chefredakteur der New York Times
Statt dessen sei Twitter der wahre Chefredakteur der Zeitung. Die Maßstäbe und Sitten des sozialen Netzwerks seien von der New York Times übernommen worden. Die Themen würden so ausgewählt und erzählt, daß eine bestimmte Zahl an Lesern zufriedengestellt werde, statt einem neugierigen Publikum zu erlauben, seine eigenen Schlüsse zu ziehen. „Die Geschichten sind nur noch kurzlebig und werden in Form gegossen, um in ein vorbestimmtes Narrativ zu passen“, führte Weiss aus.
Da sie sich dieser Praxis widersetzt habe, sei sie zur Zielscheibe ihrer Kollegen geworden. Sie selbst und ihre Arbeit seien herabgesetzt worden. Einige hätten gefordert, sie „wie Unkraut“ zu entfernen. „Sie haben mich Nazi und Rassistin genannt.“ Das Unternehmen habe dieses teils öffentliche Verhalten gegen sie geduldet. „Als Vertreterin der Mitte bei einer amerikanischen Zeitung zur Arbeit zu erscheinen, sollte keine Tapferkeit erfordern“, schrieb sie.

New York Times lehne gewagte Texte grundsätzlich ab

Intellektuelle Neugier und Risikobereitschaft würden von der New York Times nicht als Gewinn, sondern als Belastung gewertet. Autoren würde der Anreiz genommen, etwas anderes zu schreiben, als daß Trump eine einzigartige Bedrohung für das Land und die Welt sei, denn ein herausfordernder Text würde ohnehin „ideologisch koscher“ gemacht. Meinungsbeiträge, die noch vor zwei Jahren problemlos veröffentlicht worden wären, könnten Redakteure heute ihren Job kosten.
Die New York Times verkomme mehr und mehr zum Protokoll derjenigen, die einer weit entfernten Galaxie lebten, die mit den alltäglichen Sorgen der meisten Menschen nichts zu tun habe. In dieser Parallelwelt werde auch die die Bloßstellung von kritischen Jugendlichen gebilligt und mit das schlimmste „Kastensystem“ neben dem deutschen Nationalsozialismus errichtet.
Freie Presse sei „amerikanisches Ideal“
Dennoch habe sie Hoffnung, denn es gebe eine Vielzahl Amerikaner, die sich auch eine unabhängige Presse und gesellschaftskritische Beiträge wünschten. Dies sei ein „amerikanisches Ideal“. Weiss hat bereits vor ihrer Kündigung einen offenen Brief unterschrieben, in dem sich zahlreiche Autoren, darunter auch „Harry Potter“-Autorin J.K. Rowling, gegen ein „Klima der Intoleranz“ aussprechen.

Zuletzt hatte in Deutschland der Journalist Birk Meinhardt über ein immer enger werdendes Meinungsklima geklagt und in seinem neuen Buch „Wie ich meine Zeitung verlor“ über seine Jahre bei der Süddeutschen Zeitung berichtet. Diese hatte er 2017 endgültig verlassen, weil sie sich mehrfach weigerte, Texte von ihm abzudrucken, da sie nicht zur Haltung der Zeitung paßten. (zit)

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