Keine Kaufprämie für Verbrenner
Die Wut auf die SPD in der Autokrise


Es gibt keine Kaufprämie für Pkw mit Verbrennungsmotor - auch auf Druck der SPD. Sie hat damit Gewerkschaften und Autobranche gegen sich aufgebracht. Doch die hat noch mehr Probleme.


Dass die SPD-Spitze mit Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans bei den Verhandlungen um das Corona-Konjunkturpaket massiv Stimmung gegen Kaufprämien für Neuwagen mit Verbrennungsmotoren gemacht hat, könnte für sie noch ein politisches Nachspiel haben.
In den früher traditionell der SPD eng verbundenen Gewerkschaften ist die Wut darüber groß, dass es nur für die wenigen Elektro- und Plug-In-Hybrid-Pkw zusätzliche Kaufzuschüsse von 3000 Euro gibt - nicht aber für die vielen auf Halde stehenden Fahrzeuge mit Otto- oder Dieselmotor.


IG Metall fürchtet um Jobs

Der IG-Metall-Chef von Baden-Württemberg, Roman Zitzelsberger, erklärte gegenüber dem Bericht aus Berlin, er habe bei beiden SPD-Chefs mehrfach persönlich interveniert, um den Erhalt bedrohter Arbeitsplätze zu fördern - zuletzt bei einer gemeinsamen Telefonschalte. "Dass die Argumente nicht gehört wurden, finde ich sehr enttäuschend. Wir haben deutlich gemacht, dass es hier um die Beschäftigung (…) und damit auch um die Frage des gesellschaftlichen Zusammenhangs geht." Zitzelsberger kündigte an, die Sache "nicht auf sich beruhen zu lassen" und detailliertere Kritik "beiden persönlich zu sagen".


Andere Gewerkschaftsvertreter werden ebenfalls nachhaken und Nachbesserungen verlangen, wenn das Paket die in Not geratene Autobranche nicht ausreichend unterstützen sollte.


Dudenhöffer ist pessimistisch

Der Volkswirt und Branchenexperte Ferdinand Dudenhöffer erwartet einen Misserfolg des Maßnahmenpakets: "Ich gehe davon aus, dass dieses Konjunkturpaket zum Ende des Jahres nachgebessert wird, weil man sehen wird, dass die Maßnahmen nicht den Umschwung bringen." Unternehmen würden dadurch nicht stärker, dass sie Liquiditätshilfen kriegen. "Das ist eine Hilfe zum Sterben." Die Firmen würden nur dadurch stärker, dass Kunden kommen, dass Produkte verkauft werden."

Weil für Kaufprämie für Verbrennerautos

Darauf könnte auch Stephan Weil (SPD), Ministerpräsident des "VW-Landes" Niedersachsen, drängen. Weil hatte sich massiv für Kaufprämien auch für Verbrennungsfahrzeuge stark gemacht. Denn mit den Einnahmen aus dem zusätzlichen Verkauf von Benzinern und Dieseln könnten die Firmen den Strukturwandel zur Elektromobilität finanzieren.


Dagegen verweisen Experten wie Stefan Bratzel von der Fachhochschule der Wirtschaft in Bergisch-Gladbach auf Rücklagen und Milliardengewinne aus vorhergehenden Jahren.
Manche Sozialdemokraten beobachten mit Sorge, dass ausgerechnet CSU-Chef Markus Söder mit seinem Einsatz für eine allgemeine, sechsmonatige Absenkung der Mehrwertsteuer Pluspunkte im Gewerkschaftslager gesammelt hat. Allerdings wird die Absenkung der Umsatzsteuer nur bei privaten Pkw-Käufern und -Käuferinnen für zusätzliche Anreize sorgen - nicht jedoch bei den profitablen Verkäufen von meist teuren Firmenfahrzeugen, die mittlerweile fast zwei Drittel aller Neuwagenverkäufe in Deutschland ausmachen. Den Unternehmen ist beim Firmenwagenkauf die Höhe der Umsatzsteuer egal, denn sie erhalten sie vom Finanzamt zurück.


Experten erwarten Jobabbau

Dennoch steht die Branche auch ohne die Corona-Krise schwer unter Druck. Bratzel erklärte gegenüber dem ARD-Hauptstadtstudio: "Die Transformation zur Elektromobilität wird nicht ohne Schrammen abgehen und 15 bis 20 Prozent der Arbeitsplätze kosten. Wir haben ohnehin Überkapazitäten von 1,5 bis 1,6 Millionen Pkw in Europa . Das sind rund fünf Werke, die eigentlich überflüssig sind, die wegfallen werden." Dieser Abbau werde jetzt beschleunigt.


Laut Dudenhöffer ist das größte Problem momentan, dass die Fabriken in der Unterauslastung laufen. Das werde noch stärker kommen. Denn wir seien in der größten Krise, in der größten Rezession seit dem Zweiten Weltkrieg.


Eine Million Neuwagen auf Halde

Im abgelaufenen Monat Mai verzeichneten die deutschen Autohersteller infolge der Corona-Krise hohe Verkaufsrückgänge: Bei VW sind es 51,5 Prozent, bei Opel 59,6 Prozent, bei BMW 62,1 Prozent oder bei Smart 91,4 Prozent. Derzeit soll über eine Million Neuwagen in Deutschland unverkauft auf Halde stehen, fast ausschließlich Fahrzeuge mit Verbrennungsmotoren. Dagegen sind Fahrzeuge mit Elektromotoren nur nach langen Wartezeiten lieferbar, was neben hohen Anschaffungskosten und praktischen Einschränkungen - wie fehlenden Lademöglichkeiten und geringen Reichweiten - deren Verkauf bremst.

In vielen deutschen Autofabriken ist die Produktion neuer Fahrzeuge nach dem Ende des Corona-Lockdowns nur zaghaft hochgefahren worden, um die Halden unverkaufter Neufahrzeuge nicht weiter aufzublähen. Das führt zu weiterer hoher Kurzarbeit und drohendem Personalabbau.


Dudenhöffer fordert deshalb massivere Kaufanreize als die begrenzte Verringerung der Mehrwertsteuer um drei Prozentpunkte - und zwar für alle Fahrzeuge.
VDA zurückhaltend und kein Boni-Verzicht

Während IG Metall und Fachleute wie Dudenhöffer in die Offensive gehen, verhält sich die Branchenlobby VDA trotz enttäuschter Erwartungen an das Konjunkturpaket auffällig zurückhaltend.


Denn ihr bisheriges ungeschicktes Verhalten in der Corona-Krise dürfte der Branche bewusst sein. So hatte der stellvertretende VDA-Präsident Arndt Kirchhoff mit Entlassungen gedroht, wenn es keine umfassenden Kaufprämien geben sollte. Und Autokonzerne haben es trotz hoher Staatshilfen abgelehnt, auf Boni in den Chefetagen und auf Dividenden zu verzichten. Letzte Peinlichkeit: Audi und VW haben noch kurz vor Bekanntgabe des Förderpakets der Bundesregierung Preiserhöhungen angekündigt.


VDA verspricht Weitergabe von Steuersenkung

Mit moderaten Tönen will die VDA-Präsidentin und frühere Staatsministerin im Bundeskanzleramt, Hildegard Müller, nun Schadensbegrenzung betreiben. So hat sie ausdrücklich versprochen, die Autohersteller würden die Mehrwertsteuersenkung eins zu eins an die Kunden weitergeben.


Die frühere CDU-Politikerin Müller weiß genau, dass vor allem Bundeskanzlerin Angela Merkels Verhältnis zur Autobranche spätestens seit dem Dieselskandal tiefgreifend gestört ist. Das zeigte sich Ende 2018, als Merkel in für sie ungewohnt deutlicher Weise sagte, in der Autoindustrie sei gelogen und betrogen worden. Es zeigte sich damals: Merkel wollte als frühere Bundesumweltministerin und langjährige Kanzlerin nicht in Mithaftung für die Betrügereien bei Diesel-Emissionen in Mithaftung genommen werden.

Autobranche für Politiker toxisch

Seither gilt die Branche für viele Bundespolitiker als ähnlich toxisch wie in den Nullerjahren die Finanzindustrie. Für den Vorsitzenden des Verkehrsausschusses im Deutschen Bundestag, Cem Özdemir, ist die aktuelle Verweigerungshaltung der Großen Koalition gegenüber den Autokonzernen nur aus diesem Blickwinkel zu verstehen: "Die Debatten der letzten Wochen zeigen ja, wie sehr sich der Wind gedreht hat." Das sei vor einiger Zeit kaum vorstellbar gewesen.Traditionell sei das so gewesen: Der VDA rufe beim Verkehrsminister und der Kanzlerin an. Und dann werde ein entsprechendes Paket gebastelt. Das habe sich jetzt gedreht. Bis weit in die Politik und die Wissenschaft hinein.

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