Wichtigste Steuerreform Ungerecht, verfassungswidrig, teurer – Chaos bei der Grundsteuer



Das von Finanzminister Scholz entworfene Modell für eine bundesweite Grundsteuer verstößt laut Experten gegen den Gleichheitsgrundsatz. Ein Eckpunkt der Variante bricht zudem durch Corona weg. Auch deshalb dürfte es wohl für viele teurer werden.



Die anstehende Reform der Grundsteuer war fast schon in Vergessenheit geraten. Doch die Uhr, die das Bundesverfassungsgericht gestellt hat, tickt unaufhaltsam weiter. Bis Ende 2024 müssen die Bundesländer entweder das von Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) vorgestellte Bundesmodell umsetzen – oder eigene Versionen auf den Weg gebracht haben. Dass die Finanzbehörden in Ländern, Städten und Gemeinden zurzeit mit der Prüfung von Corona-Hilfen beschäftigt und auch noch personell ausgedünnt sind, macht die Sache nicht einfacher.


Es droht Chaos. Manche Landesregierungen haben sich bereits in Grundzügen für eine neue Grundsteuerart entschieden. Andere favorisieren das Scholz-Modell. Wieder andere haben noch nichts unternommen. Die Bundesbürger können sich auf zwei Szenarien einstellen: Entweder kommt es zu einem Grundsteuerflickenteppich – oder zu einer verfassungsrechtlich fragwürdigen Umsetzung dieser wichtigen Gemeindesteuer, bei der viele Eigentümer, Vermieter und Mieter in zentralen Lagen eine höhere Steuer zahlen müssten als bisher. Wahrscheinlich kommt sogar beides.


Der Steuerexperte Gregor Kirchhof, Direktor des Instituts für Wirtschafts- und Steuerrecht an der Universität Augsburg, hat nun in einem Gutachten festgestellt, dass das bundesweite Modell des Finanzministers gleich in mehrfacher Hinsicht erneut gegen das Grundgesetz verstoßen würde. „Das Bundesgesetz verletzt – wie vielfach kritisiert – den Gleichheitssatz, weil die Werte von Grund und Boden nicht in einem stringenten System ermittelt werden, zu starke Friktionen und inkonsistente Belastungsunterschiede auftreten“, kritisiert Kirchhof in dem Gutachten, das am Mittwoch vom Immobilienbranchenverband ZIA vorgestellt wurde.

Die Werte waren jahrzehntelang nicht berechnet worden


Dem sogenannten Scholz-Modell könnte demnach zum Verhängnis werden, dass es der Bundesfinanzminister am Ende so einfach wie möglich machen wollte. Ihm war es wichtig, dass auf irgendeine Art und Weise weiterhin der Wert einer Immobilie in die künftige Bemessung der Steuer einfließen kann. Diese Werte waren jahrzehntelang nicht neu berechnet worden, weshalb das Bundesverfassungsgericht das bisherige Verfahren für ungültig erklärt hatte.


Um jedoch einen Gutachtenkrieg zwischen Eigentümern und Finanzverwaltung zu verhindern, legte die Bundesregierung viele Pauschalen fest. Wird das Scholz-Modell umgesetzt, fließen künftig der Bodenwert, eine statistisch ermittelte Nettokaltmiete, die Grundstücksfläche, die Immobilienart und das Baualter in die Berechnung ein.


Abgesehen von einem wahrscheinlich hohen bürokratischen Aufwand würde das dazu führen, dass eine topsanierte Villa auf einem großen Grundstück (altes Gebäude) ähnlich besteuert werden würde wie eine 60er-Jahre-Wohnanlage nebenan (neueres Gebäude, gleiche Lage). Gut für den Villenbewohner, schlecht für die Mieter, die über die Nebenkostenumlage die Grundsteuer zahlen müssen.



Kirchhof bemängelt aber auch, dass die neue Grundsteuer eine Art verkappte Vermögensteuer sein könnte. Wer Mieteinnahmen erzielt, würde mit seinem Immobilienvermögen Geld verdienen, argumentiert der Experte. Was aber wäre mit Selbstnutzern, die das eigene Immobilienvermögen im Prinzip nur verbrauchen, künftig aber wegen gestiegener Grundstückspreise eine höhere Steuer zahlen müssten?







Quelle: Infografik WELT


Auch die Wissenschaftlichen Dienste des Bundestages haben dem Gesetz bereits vor Monaten bescheinigt, „dass es zu erheblichen Verzerrungen zwischen Grundsteuer- und Verkehrswert kommen kann“. Diesem Effekt, vor allem aber dem enormen Aufwand einer neuen und regelmäßigen Wertermittlung (alle sieben Jahre) wollen manche Bundesländer zuvorkommen. Sie machen von der Öffnungsklausel in dem Scholz-Gesetz Gebrauch und basteln an eigenen Regeln. So entsteht ein regelrechter Flickenteppich.


Bayern preschte vor und kündigte ein Flächenmodell an. Das sei einfach, argumentierte Ministerpräsident Markus Söder (CSU). Dass allerdings ein 150 Quadratmeter großes Luxuspenthouse in zentraler Münchener Lage genauso besteuert werden würde wie Omas Häuschen am Stadtrand, dürfte ebenfalls verfassungsrechtliche Fragen aufwerfen.







Hessen wiederum entschied sich vor wenigen Tagen für eine Kombination aus einfachem Flächenmodell und einem Lagefaktor, mit dem die Flächenzahl multipliziert werden soll. „Das Hessen-Modell ist gerecht, verständlich und einfach“, befand Hessens Finanzminister Michael Boddenberg (CDU). „Ich würde mich freuen, wenn andere Bundesländer dies auch so sehen.“
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Seine Freude dürfte sich in Grenzen halten, denn andere Länder steuern bereits andere Regeln an (siehe Grafik). Nur Niedersachsen favorisiert zurzeit eine ähnliche Kombination aus Fläche und Lagefaktor. „Ich halte diese Modelle für sehr überzeugend und verfassungskonform“, lobt Steuerexperte Kirchhof. Andere Landesregierungen haben sich noch nicht entschieden, andere folgen dem Scholz-Vorschlag – etwa Berlin und Brandenburg.


Baden-Württemberg wiederum plant eine Besteuerung anhand der Bodenrichtwerte. Das würde, so die Kritik des Augsburger Steuerexperten, auf eine Vermögensbesteuerung hinauslaufen. Und auf eine deutlich höhere Belastung der Haushalte in teuren Lagen. „Insbesondere aber verletzt die Bodenwertsteuer den Gleichheitssatz“, kritisiert der Immobilienverband ZIA.


Die Qualität der Bodenrichtwerte sei von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich. Vielerorts gebe es nur wenig Transaktion, und deshalb fehlten Daten. „Die Länder sollten die Öffnungsklausel nutzen und vom Bundesmodell abweichen – nach der verfassungsrechtlichen Einschätzung müssen sie es sogar“, sagte Hans Volkert Volckens, Vorsitzender des ZIA-Ausschusses Steuerrecht.








Der Verbandsexperte favorisiert inzwischen die Flächen-Lage-Kombination. Dabei werde die Leistungsfähigkeit der Steuerbürger berücksichtigt, aber auch die Gegenleistung der Gemeinden in zentralen Lagen – durch dichte Infrastruktur, Straßen, Schulen, Nahverkehr, etc. Die Gebäudeflächen wiederum seien leicht zu ermitteln und würden bereits heute für die Steuerberechnung verwendet.


Auch der Bund der Steuerzahler (BdSt) zweifelt an der Umsetzbarkeit des Scholz-Modells. „Das Modell ist weder transparent noch verständlich“, sagte BdSt-Präsident Reiner Holznagel. Außerdem seien voraussichtlich rund 3000 zusätzliche Finanzbeamte nötig, um die Verfahren zu steuern. „Nicht akzeptabel“, so Holznagel, erst recht nicht in dieser Krisenzeit.


Neben hohen Bürokratiekosten fürchtet Holznagel aber einen weiteren Effekt, der die Bürger teuer zu stehen kommen könnte. Wegen der Corona-Krise hätten die Gemeinden „große Finanzprobleme. Die Gewerbesteuereinnahmen brechen weg“, so Holznagel. Gerade das Scholz-Modell aber setzt voraus, dass die Gemeinden ihre Hebesätze, die am Ende die tatsächliche Höhe der Steuer ausmachen, deutlich absenken. Genau das war auch Scholz’ Versprechen gewesen, als er vor einem Jahr eine „aufkommensneutrale“ Reform in Aussicht gestellt hatte.

Grundsteuereinnahmen bei jährlich 14 Milliarden Euro


„Wer glaubt, dass sie das tun, versteht die Funktionsweise der Kommunen nicht“, so Holznagel. München müsse beispielsweise den Hebesatz um 400 Prozent nach unten korrigieren, um die höheren Immobilienwerte auszugleichen und die Steuerlast für die Bürger etwa gleich hoch zu halten.


Die Hamburger Finanzbehörde hat vor einigen Wochen festgestellt, dass ohnehin neue Ungerechtigkeiten entstehen werden: „Die Heterogenität der Wertentwicklungen kann kaum durch Hebesatzsenkungen bei gleichzeitiger Gesamtaufkommensneutralität ausgeglichen werden.“ In teuren Lagen würde es also deutlich teurer, in anderen Regionen dagegen würden Bürger entlastet – egal, wie sich die Gemeinde verhält.


Städte und Gemeinden nehmen jährlich etwa 14 Milliarden Euro über die Grundsteuer ein. Das Bundesverfassungsgericht hatte die bisherige Berechnungsmethode, die auf veralteten Bemessungsgrundlagen beruht, für ungültig erklärt und eine Reformumsetzung bis 2025 verlangt.

https://www.welt.de/finanzen/immobil...er-werden.html