Pizza-Auslieferer massiv verprügelt






Wettenberg/Gießen(ta). Der junge Mann hat ein hohes Aggressionspotenzial, das behandelt werden muss. Darin waren sich Gericht, Staatsanwaltschaft und Verteidigung gestern im Gießener Amtsgericht einig. Dort wurden zwei Straftaten aus dem vergangenen Herbst in Wißmar aufgearbeitet. Das Urteil lautete schließlich auf zweieinhalb Jahre Jugendhaftstrafe ohne Bewährung wegen versuchten Raubs in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und wegen versuchter Erpressung.







Der Raubversuch ereignete sich am späten Abend des 31. Oktober vor der Asylbewerberunterkunft Am Schacht. Dorthin hatten der Angeklagte und zwei ihm nicht näher bekannte Afrikaner drei Familienpizzen bestellt und den Auslieferer gebeten, genug Bargeld mitzubringen, da sie mit einem 200-Euro-Schein bezahlen wollten.



Wenig später ging der Pizza-Lieferant mit der Warmhaltebox in das Gebäude, fand dort aber keinen Abnehmer. Als er deshalb draußen versuchte, den Besteller anzurufen, kam plötzlich ein junger Mann aus der Dunkelheit auf ihn zu, verlangte Geld und begann mit einem Metallstock auf ihn einzuschlagen. Der Täter hielt auch nicht inne, als er bemerke, dass er sein Opfer kennt. Der 24-Jährige kam mit Prellungen und Abschürfungen davon, weil er seine Arme schützend vor den Kopf hielt. Dann rannte der Schläger davon, ebenso wie zuvor schon seine beiden Mittäter.






Nach dem Eintreffen der Polizei stellte der Fahrer des Autos der Pizzeria, in der er normalerweise in der Küche arbeitet, den Verlust der Geldbörse mit schätzungsweise 300 Euro fest. Er hatte sie im geöffneten Kofferraum liegen lassen. Ob sie einer der drei Täter bei der Flucht an sich genommen hatte, ließ sich vor Gericht nicht aufklären, zumal die Komplizen des Angeklagten nicht bekannt sind.


Offen blieb auch, ob die zwei offenbar in Gießen wohnenden Afrikaner ebenfalls auf den Pizzaboten eingeschlagen hatten. Er und sein Kollege hatten das damals vor der Polizei ausgesagt, wollten davon aber jetzt nichts mehr wissen. Da seien sie vom Dolmetscher wohl falsch verstanden worden, versicherten die beiden Zeugen. Der Angeklagte selbst betonte, nur er habe geschlagen.


Drei Tage später kreuzte der Schläger beim Inhaber der Pizzeria auf, der damals noch sein Schwager war. Er verlangte von dem Wettenberger, dass dieser ihm entweder 10 000 Euro gibt oder den Betrieb seiner Schwester überschreibt. Ansonsten werde er abends mit 20 Leuten wiederkommen und den Laden zerstören.



Er habe sich massiv über den Schwager geärgert, begründete der Angeklagte diesen Erpressungsversuch. Denn der habe im Zuge der Scheidung seiner Schwester Gold im Wert von 10 000 Euro gestohlen und sie schwer am Arm verletzt.



Der ausführliche Bericht der Jugendgerichtshilfe verdeutlichte die Hintergründe der Straftaten. Der Analphabet, der seit 2015 immer wieder mit Gesetzesverstößen aufgefallen war, neige zu strafrechtlichen Verhaltensweisen, die er hinterher bereut, versicherte Armin Förster. Er brauche einen festen Rahmen und Vertrauenspersonen, ansonsten komme er mit einem eigenständigen Leben noch nicht zurecht. Leider lehne er jedoch bis jetzt eine dauerhafte ambulante Betreuung ab.


Schon in einem Ermittlungsverfahren im Herbst 2017 waren dem Angeklagten von einem Psychiater eine intellektuelle Einschränkung, eine niedrige Frustrationstoleranz und eine Störung im Sozialverhalten durch Widerborstigkeit attestiert worden. Deshalb wurde ihm auch jetzt in der Anklage eine verminderte Schuldfähigkeit zuerkannt.


Der gebürtige Afghane ist ohne Schulbesuch mit Mutter und Geschwistern im Iran aufgewachsen. 2015 kam die Familie nach Deutschland. In Gießen gab es ständig Konflikte zwischen dem Angeklagten und seiner Familie, weil er Geld für seine Zigarettensucht forderte. Nach einem Ausraster in der Asylbewerberunterkunft saß er ein halbes Jahr in Untersuchungshaft. In der befindet sich der junge Mann auch jetzt seit sechs Monaten.


Staatsanwältin Daniela Zahrt bescheinigte dem Angeklagten schädliche Neigungen, doch seien seine Defizite wohl aufholbar. Sie plädierte auf zwei Jahre Jugendhaft. Eine Haft von einem Jahr und drei Monaten mit Aussetzung zur Bewährung beantragte Wahlverteidiger Tomasz Kurcab.

Dass das Jugendschöffengericht über den Antrag der Anklage hinaus ging, begründete Richter Heiko Kriewald besonders mit der massiven Körperverletzung "an der Grenze zur Lebensgefahr". Der Täter müsse nun in der Haft einiges an Reife nachholen.

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