Ein Ingolstädter mit türkischer Staatsangehörigkeit?
Ein nur geduldeter Iraner, der Heimaturlaub im Iran machte, von dem er noch nicht zurückkehrte?
(Geduldet bedeutet, dass ein Asylanspruch nicht besteht, aber nicht abgeschoben wird, weil entweder keine Identitätsnachweise vorliegen oder dem Antragsteller im Heimatland Folter und Gefängnis drohen)


Für Notwehr gab's einfach keinen Beweis

Gericht erkennt in Messerattacke jedoch keinen Totschlagsversuch - Zwei Jahre und zehn Monate Haft

Ingolstadt - Es war der zweite Prozess mit einem angeklagten versuchten Totschlag binnen weniger Tage - und auch diesmal hat die 1. Strafkammer des Landgerichts letztlich genau dieses Delikt durch die Beweisaufnahme nicht bestätigt gesehen.




Das Landgericht Ingolstadt. Lino Mirgeler/Archivbild
Ein 28-jähriger Ingolstädter mit türkischer Staatsangehörigkeit ist am Dienstag wegen gefährlicher Körperverletzung (noch nicht rechtskräftig) zu einer Haftstrafe von zwei Jahren und zehn Monaten verurteilt worden.


Der Mann habe allerdings "insgesamt großes Glück habt", dass sein Opfer als unerreichbarer Zeuge in der Hauptverhandlung nicht gegen ihn aussagen konnte, stellte Vorsitzender Konrad Kliegl in der Urteilsbegründung fest. Der 45-jährige Afghane war - wie schon berichtet - nach Ausbruch der Corona-Krise von einem Besuch bei seiner Mutter im Iran nicht zurückgekehrt. Somit blieben Tatumstände, die möglicherweise doch in Richtung eines versuchten Totschlags gedeutet hätten, mangels Anhörung des Opfers in Prozess letztlich ungeklärt.


Bei dem Vorfall in einer Pension an der Hindenburgstraße vom vorigen September war der in Deutschland geduldete Afghane vom jetzigen Angeklagten mit einem Messer erheblich im Gesicht und am Hals verletzt worden (DK berichtete). Der Täter hatte das vor Gericht als Notwehrhandlung dargestellt, weil er selber von dem Mitbewohner, mit dem er an jenem Tag just zuvor noch Brotzeit gehalten hatte, in einem Streit mit einer ganzen Reihe von Faustschlägen attackiert worden sein wollte.


Genau dies hat das Schwurgericht dem Angeklagten aber nicht geglaubt. Die Tätlichkeiten könnten zwar von dem als aufbrausend und gewaltbereit geltenden Afghanen ausgegangen sein, doch zu mehr als zu einem Schubser könne es kaum gekommen sein, so die Schlussfolgerungen der Strafkammer aus der Beweisaufnahme.


Die hatte nämlich ergeben, dass das Opfer acht teils stark blutende Schnitt- und Stichwunden an Hals und Kopf, der Angeklagte aber trotz der angeblichen Schläge praktisch überhaupt keine Verletzungen (nicht einmal Kratzer oder Hämatome) erlitten hatte. Auch hatte das T-Shirt des Türken keine Blutspuren aufgewiesen, obwohl er doch in Rückenlage auf den angeblich auf ihm hockenden Mitbewohner eingestochen haben wollte.


Vorsitzender Kliegl stellte klar, dass es die Faustschläge des Afghanen nach Auffassung des Gerichts "nie gegeben" hat und dass somit auch die Reaktion des Angeklagten "nicht durch Notwehr gedeckt" war. Selbst für einen von den Verteidigern als Möglichkeit ins Feld geführten Notwehrexzess, also eine unkontrollierte, überschießende Reaktion des Täters in einer vermeintlich für ihn gefährlichen Situation, gibt es laut Kliegl keine Anhaltspunkte. Dann nämlich, so sieht es das Gericht, hätte der Angeklagte in anhaltender Panik sicher nicht so gezielt und schnell die Tatwaffe reinigen und seine Flucht antreten können, wie es der Beweislage nach geschehen ist.


Die Strafkammer ist auch davon ausgegangen, dass der Täter ursprünglich mit Tötungsvorsatz gehandelt hat. Wer ein Messer gegen den Hals eines Kontrahenten führe, nehme nun mal den Tod des Gegners billigend in Kauf, so das Gericht. Weil der Angeklagte anschließend aber nach eigener Darstellung sofort wieder von seinem Opfer abgelassen habe (und weil der Afghane im Prozess eben nichts Gegenteiliges aussagen konnte), müsse ein sogenannter Rücktritt vom Tatvorsatz angenommen werden.


Unterm Strich blieb für das Gericht also noch eine allemal erkennbare gefährliche Körperverletzung übrig, die auch die Staatsanwältin in ihrem Plädoyer als letztlichen Tatbestand genannt hatte. Die Anklagevertreterin hatte deshalb drei Jahre Haft gefordert, die Verteidiger waren in ihrer Wertung aller Umstände für ihren Mandanten auf zwei Jahre und zwei Monate Haft gekommen.


Eine mögliche vormalige psychische Erkrankung des Angeklagten und ein erwiesener gewisser Hang zu Drogen (vor allem zu Cannabis) spielten, obwohl im Prozess erörtert, bei der Urteilsfindung keine Rolle mehr. Das Gericht habe (wie auch ein psychiatrischer Gutachter) keinerlei Anhaltspunkte für Einschränkungen des Steuerungs- und Einsichtsfähigkeit des Mannes bei der Tat finden können, so der Vorsitzende. Mit dem Strafmaß sei die Kammer im Rahmen dessen geblieben, was bislang auch bei ähnlichen gefährlichen Körperverletzungen verhängt worden sei.

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