„Man stellt uns hier als naiv dar“

„Wir lassen Mostafa Nazari nicht fallen, wir geben nicht auf“, sagt Sabine Weil. Zusammen mit Irene Niethammer ist sie Sprecherin des Ladenburger Arbeitskreises für Flüchtlinge und Hilfsbedürftige (AK) und meldet sich im Fall des nach Afghanistan abgeschobenen Flüchtlings zu Wort. Sie und ihre Mitstreiterinnen tun das aus aktuellem Anlass: So sorgten nämlich Äußerungen der CDU-Landtagsabgeordneten Julia Philippi beim AK für Empörung.


Nur einseitige Informationen

Im Nachgang einer Landtagsdebatte (der „MM“ berichtete) hatte Philippi erklärt, dass der Straßenbau-Lehrling schon im April 2019 zur Ausreise aufgefordert worden wäre; damals hätte man die Härtefallkommission oder den Petitionsausschuss, dem sie selbst angehöre, anrufen können. Dass dies nicht geschah, nannte sie ein „bedauerliches Versäumnis“.



Philippi habe nur einseitige Informationen, „die nicht das Ganze abbilden“, kritisiert Weil. Der AK werde rechtlich von einem Anwalt beraten und informiere sich bei Organisationen wie Pro Asyl; soweit es die Härtefallkommission betreffe, würden die Zahlen für sich sprechen: „Von über 600 Anträgen wurden 2018 nur sehr wenige angenommen.“


Sie und ihre Mitstreiter seien verletzt: „Man stellt uns hier als naiv dar, dabei bin allein ich seit sieben Jahren in der Flüchtlingshilfe.“ Und dort schaue man sich sehr genau an, für wen man sich stark mache. „Wir wussten, dass das eine brenzlige Situation ist, und waren uns durchaus der Vorstrafe wegen gefährlicher Körperverletzung bewusst, die er hatte“, sagt Niethammer: „Aber wir haben auch gesehen, wie er sich um Integration bemühte.“


Etwa, was seinen Einsatz im Athletik-Sport-Verein Ladenburg betraf, aber auch die Auszeichnungen, die der Lehrling nach seiner Ausbildung erhielt. Die guten Zeugnisse bekam er allerdings erst im Sommer 2019, ebenso wie den Bescheid, dass er eine Zusatz-Ausbildung machen könne. „Das hätte ich also gar nicht bei der Härtefallkommission anbringen können“, gibt Petra Fuhry zu bedenken. Seit der Abschiebung Nazaris geht es der Ladenburgerin, die sich jahrelang um den jungen Mann kümmerte, sehr schlecht.


Noch immer gehen ihr die Umstände seiner Verhaftung im Heidelberger Landratsamt nach: „Wenn ich ihm nicht noch ein paar Sachen in die Abschiebehaft gebracht hätte, dann hätte er nichts gehabt, nichts Persönliches. Das ist doch nicht Rechtens.“
Duldungen persönlich abholen

Beim AK sieht man noch andere Entwicklungen mit Sorge. Weil berichtet, dass Flüchtlinge mittlerweile ihre Duldungen persönlich beim Rhein-Neckar-Kreis abholen müssen und nicht mehr in Begleitung von Helfern: „Das heißt, sie müssen jedes Mal Urlaub beantragen, alle drei Monate.“ Und es heiße auch, dass der AK keine Chance mehr habe einzugreifen.


Die Verhaftung habe sich zudem negativ auf die Geduldeten in der Römerstadt ausgewirkt, berichtet sie weiter: „Viele stellen alles infrage und wollen von mir wissen, ob alles sinnlos gewesen ist, was sie bisher getan haben, um sich zu integrieren.“ Viele hätten Angst.


Niethammer hat auch Verunsicherung bei den Arbeitgebern ausgemacht, und Fuhry ist nach ihrem jahrelangen Einsatz als Helferin frustriert: „Wir tun das doch auch für die Gesellschaft.“ Eva-Maria Woll nickt: Gerade durch die Arbeit der Helfer könne verhindert werden, dass sich Parallelgesellschaften bilden. Mit Erfolg, sagt Weil: „Ich wurde schon gefragt, ob es in Ladenburg überhaupt noch Flüchtlinge gibt?“


Vielleicht auch, weil man die Menschen oft gar nicht sehe, weil sie bei der Arbeit seien. „Sie tun etwas für uns“, bemerkt Niethammer mit Verweis auf Stellen in der Altenpflege oder bei Bauunternehmen, wo Arbeitskräfte gesucht würden.


Soweit es Nazari betrifft, wollen sich die Frauen nicht entmutigen lassen; sie wollen erreichen, dass seine Wiedereinreisesperre verkürzt wird. Doch auch sonst tut sich beim AK viel: Etwa 140 Ehrenamtliche kümmern sich um Deutschkurse, Hausaufgabenbetreuung, die Kleiderkammer, Begegnungscafés, um Hilfen bei Behördengängen, sind „Paten“ für einzelne Personen oder Familien und vieles mehr. Und sie erfahren viel Solidarität, nicht zuletzt im Fall Nazari, sagt Weil: „Das kommt von allen Seiten, aus der gesamten Bevölkerung.“

https://www.morgenweb.de/mannheimer-...d,1600465.html



Kritik an umstrittener Abschiebung

In dem Artikel wird berichtet, dass künftig Flüchtlinge, die ihre Duldung abholen wollen, dies „nicht mehr in Begleitung von Helfern“ dürfen. Im Fall von Mostafa Nazari stellte sich die vorgebliche Duldung als Vorwand für die Abschiebung heraus. Frau Fuhry, die ihn betreut hatte, war unerwünscht, weil sie Zeugin war und die Öffentlichkeit informieren konnte. Musste also diese Aktion das Licht der Öffentlichkeit scheuen?


Dass nun in Zukunft keine Helfer mehr ihre Schützlinge begleiten sollen, macht nur zu deutlich, dass diese Praxis, die angebliche Verlängerung der Duldung ins Gegenteil zu verkehren, fortgeführt werden soll. Eine polizeiliche Maßnahme, die unter Geheimhaltung vollzogen wird, das Licht der Öffentlichkeit scheut. Es sollen keine Zeugen zugegen sein. Wie finde ich das? Mit einem Wort: infam. Und nicht vereinbar mit meiner Vorstellung von einem Rechtsstaat.


Zwei Menschen – ein Geflüchteter, der sich integrieren will und eine Person, die ihn betreut – haben einen Termin; ein Papier soll verlängert werden. Sie nehmen den Termin wahr. Sie werden in der Tat erwartet, aber nur, damit der Mann festgenommen und abgeschoben werden kann.


Als ich die Geschichte las, wie einer ahnungslos in die Falle gelockt wurde, hat es mich gegruselt. Wieder mal wird jemand abgeschoben, weil man ihm aufgrund der Integrationsleistung habhaft werden kann. Dass Frau Philippi den „schwarzen Peter“ den Betreuungspersonen zuzuschieben versucht – geschenkt! Und fies. Die Integration von Flüchtlingen ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, ob uns das gefällt oder nicht.

Der AK Ladenburg setzt sich seit Jahren erfolgreich dafür ein und hat, wie ich lese, auch genügend fachliche Information; dieses Engagement ist für uns alle wichtig. Naiv ist es, nichts für die Integration der Neuankömmlinge zu tun.

https://www.morgenweb.de/mannheimer-...d,1608159.html