Alle profitieren
Syrischer Flüchtling wird zum gefragten Friseur





Dem Handwerk fehlt Nachwuchs, und in Deutschland gibt es viele Flüchtlinge. Eine Chance für beide Seiten, wie das Beispiel des Syrers Diaa Almoussa und der Gießener Friseurakademie Süßel zeigt.


Erfolg ist kein Zufall. Mit diesem Slogan wirbt die am Aulweg ansässige Friseurakademie Süßel. Diaa Almoussa ist das beste Beispiel dafür, dass dieser Satz mehr als eine hohle Phrase ist. Der Syrer hat hier gerade seine Friseurausbildung abgeschlossen und arbeitet jetzt als Stylist im Team. "Diaa ist unglaublich fokussiert", sagt Salonleiterin Sarah Süßel. Von ihrem Vater und Geschäftsinhaber Ralf Süßel erhält die Friseurmeisterin ein zustimmendes Nicken. "Er hat eine Chance gesehen und sie ergriffen. Dabei hatte er viel schwerere Voraussetzungen als andere." Denn Diaa Almoussa hat vor fünf Jahren noch in Syrien gelebt. Dann kam der Krieg.







Viele Handwerksberufe leiden unter fehlendem Nachwuchs. Das liegt auch daran, dass die Lehre bei deutschen Jugendlichen an Ansehen verliert. Wer kann, versucht es oftmals zuerst an der Uni. Zahlen der Arbeitsagentur belegen diesen Trend. In Hessen verringerte sich die Auszubildendenzahl im Handwerk zwischen 2010 und 2019 um 13,5 Prozent. Damit ging hessenweit fast jeder dritte verlorene Ausbildungsplatz (32,3 Prozent) auf das Konto des Handwerks.


Gleichzeitig sind seit 2015 über eine Million Geflüchtete nach Deutschland gekommen, darunter viele junge Menschen. Für die heimische Wirtschaft, die händeringend nach Fachkräften sucht, könnte sich dadurch eine Lücke schließen. Das sagt Johannes Paul, Pressesprecher der Gießener Arbeitsagentur. "Insbesondere das Handwerk leidet darunter, dass sich immer weniger Schulabgänger für eine duale Ausbildung entscheiden. Daher gewinnt die Einstellung von jungen Menschen mit Migrationshintergrund für viele Betriebe immer mehr an Bedeutung."





Auf die Friseurbranche trifft das allerdings nur bedingt zu, da der Beruf auch bei einheimischen Jugendlichen noch immer sehr beliebt ist. Doch trotz einer ausreichend großen Zahl an Bewerbern findet viele Betriebe oftmals keinen passenden Kandidaten. Klar: Wenn die guten Schulabgänger an die Uni gehen, muss sich das Handwerk mit den schlechteren begnügen. Und für die sind viele Handwerksberufe, zum Beispiel der Friseur, oftmals zu komplex.

Das kennt auch Sarah Süßler. "Nicht selten hapert es an grundlegenden Dingen", sagt die Friseurmeisterin. Viele Auszubildende würden sich zum Beispiel bei der Kommunikation und somit dem Kundenkontakt schwertun. Auch am Engagement fehle es mitunter, und nicht zuletzt würden viele junge Leute den Beruf nicht mehr wertschätzen. "Die vielen Flüchtlinge sind für uns daher ideal", sagt Sarah Süßler. Zum einen, weil das Friseurhandwerk in anderen Ländern oft einen besseren Ruf genieße als in Deutschland. Zum anderen würden viele Geflüchtete ihre Ausbildung mit mehr Ernsthaftigkeit angehen. "Kein Wunder", sagt Ralf Süßel. "Bei dem, was sie durchgemacht haben."


Anfang 2011 gingen viele Syrer auf die Straße und demonstrierten gegen Präsident Baschar al-Assad. Der friedliche Protest wurde zum bewaffneten Konflikt. Bis heute tobt in dem arabischen Land ein Bürgerkrieg, dem Tausende Menschen zum Opfer gefallen sind. "Ich habe damals in Damaskus Jura studiert", erzählt Diaa Almoussa. Als er dann zum Militär eingezogen werden sollte, entschied er sich, sein Heimatland zu verlassen. "Das war nicht mein Krieg. Ich wollte niemanden töten." Die Flucht sei lang und schwer gewesen, er habe sich Schleppern anvertrauen müssen, große Teile der Strecke habe er zu Fuß zurückgelegt. Nach 20 Tagen und acht durchquerten Ländern habe er endlich Deutschland erreicht - und sei über Umwege in einer Unterkunft in Steinbach gestrandet. Ein großes Glück, wie sich später herausstellen sollte.


In dem Fernwalder Ortsteil kümmert sich eine Gruppe Ehrenamtlicher um die Asylbewerber. Sie helfen bei Behördengängen, unterrichten Deutsch und organisieren Freizeitaktivitäten. Allen voran der pensionierte Lehrer Günther Kühlmann greift den Flüchtlingen unter die Arme. "Er hat mit sehr geholfen", sagt Diaa Almoussa. Auch bei seiner beruflichen Planung.


Sein Studium wollte der Syrer in Deutschland nicht fortsetzen. "Ich konnte ja kein Wort Deutsch. Und Jura ist schon auf Arabisch schwer genug." Also entschied er sich, sein Glück als Friseur zu versuchen. Schließlich hatte er schon in seiner syrischen Heimat hobbymäßig Haare geschnitten. Zu seinem Glück ist Günther Kühlmann eng mit Familie Süßel befreundet. Also arrangierte er ein Treffen. Mit Erfolg, wie Sarah Süßel betont. "Diaa ist im August 2015 in Deutschland angekommen. Im Dezember hat er schon sein Praktikum bei uns gemacht."


Inzwischen lebt Diaa Almoussa in einer Wohnung in Gießen. Er hat in den vergangenen Jahren fleißig Deutsch gelernt und mit Hilfe seiner Unterstützer die schier endlos hohen Hürden der asylrechtlichen Bürokratie genommen. Beruflich läuft es ebenfalls. Sarah und Ralf Süßel sind voll des Lobes für den 27-Jährigen. Er sei sehr aufmerksam gegenüber den Kunden, lernbegierig und vor allem handwerklich geschickt. "Viele Kunden wollen explizit zu ihm. Sie sagen, sie fühlen sich bei ihm in guten Händen", sagt der Seniorchef. Der größte Beweis, dass die Süßels zufrieden sind, lässt sich aber an ihren neuen Mitarbeitern ablesen. Inzwischen machen zwei weitere Geflüchtete eine Ausbildung in der Friseurakademie.

Für die jungen Männer hat somit ein neuer Lebensabschnitt begonnen. Diaa Almoussa steckt in seinem neuen Leben schon mittendrin.

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