Im wahrsten Sinne des Wortes ein Jubelartikel:

BNN-Serie „Notelf“ – Teil neun

Punkten mit Vielfalt – Integration von Migranten als Chance für alle

An der Basis herrscht Alarm. Der Volkssport Fußball ächzt. Das Ehrenamts-Dilemma belastet auch ihn. Die Aggression auf und neben den Plätzen erschwert die Schiedsrichter-Akquise. Mit der Serie „Notelf – die Sorgen der Amateure“ versucht sich diese Zeitung an einer Bestandsaufnahme in elf Teilen. Samstags im Zweiwochenrhythmus pfeifen wir immer ein neues Thema an.


Die Nummer neun: Integration durch Fußball


Es gab kein Halten mehr am Abend des 12. Juni auf dem Sportplatz in Stupferich. Ausgelassen bejubelten die Spieler des ATSV Kleinsteinbach nach dem 4:1-Sieg im Relegationsduell mit dem FV Hochstetten ihren Aufstieg in die A-Klasse des Fußballkreises Karlsruhe, derweil einer Stammkraft nicht nach Feiern zumute war. Statt im Mittelfeld des ATSV helfend zu agieren, wie während der Saison in 16 von 30 Punktspielen, verrichtete Alieu D. im Krankenhaus in Bretten seinen Dienst als Pfleger – mit einer Mischung aus Hilfsbereitschaft für die Bedürftigen und Trotz gegenüber dem Trainer, von dem sich der 21 Jahre alte Gambier falsch behandelt fühlte.

ATSV Kleinsteinbach DOSB-Stützpunktverein „Integration durch Sport“

Was war geschehen? Mitte Mai richtete der Kleinsteinbacher Club sein Sportfest aus, zu dem der sehr um Integration und Völkerverständigung bemühte Verein auch eine Mannschaft aus in Pforzheim lebenden gambischen Asylbewerbern für ein Spiel einlud. Für D. war es Ehrensache, im Trikot seines Heimatlandes anzutreten, doch weil die erste Mannschaft in den noch zwei Pflichtspielen den Relegationsplatz zwei zu sichern hatte und der junge Moslem wegen seiner Ramadan-Fastenpflicht ohnehin nicht im Vollbesitz seiner Kräfte war, untersagte ihm Trainer Timo Augenstein einen Einsatz im Freundschaftskick. „Daraufhin hat Alieu zugemacht und ist nicht mehr ins Training gekommen. Vom Trainer ist jetzt Fingerspitzengefühl gefordert, um die Situation zu glätten“, sagt Markus Eble, der Erste Vorsitzende des ATSV, der vom Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) aufgrund seines Engagements und seiner Initiativen im Rahmen der Kampagne „Integration durch Sport“ zum Stützpunktverein ernannt wurde. Für den ATSV ist das Auszeichnung und Verpflichtung gleichermaßen.

Es sind die Mühen der Ebene nach all den Integrationsgipfeln, die Eble mit diesem Beispiel beschreibt. Eine Ebene, in der sowohl Einfühlungsvermögen als auch Bemühen um Verständnis für die Befindlichkeiten aller Beteiligten gefragt sind. Von Funktionsträgern wie auch von Flüchtlingen. „Ich habe Alieu gesagt: Du machst einen Fehler“, erzählt Assan Jallow, der seinen Landsmann zum Überdenken des Boykotts bat.

„Keine Angst vorm Schwarzen Mann“

Jallow ist nach seiner Flucht aus schlimmen Verhältnissen vor acht Jahren in Deutschland und 2013 in Kleinsteinbach gelandet – und im Pfinztal längst angekommen. Der inzwischen 26-Jährige suchte gleich den Kontakt zu den B-Klasse-Kickern, die ihm das Gefühl gaben, willkommen zu sein. Sportlich ist Jallow keine große Hilfe, aber menschlich umso mehr. „Mir ist er als Trainer lieber denn als Spieler“, sagt Eble, der glücklich darüber ist, dass der lebensfrohe Mann, der sehr gut Deutsch spricht und gerade eine Lehre als Feinwerkmechaniker erfolgreich beendet hat, den E-Jugendlichen das Passen und Stoppen beibringt. „Die Kinder lieben Assan“, sagt Eble über den Gambier, dessen Geschichte seit der Ankunft in Deutschland mit all den Hoffnungen, Problemen, erlebter Hilfsbereitschaft und erfahrenem Alltagsrassismus in dem Dokumentarfilm „Keine Angst vorm Schwarzen Mann“ erzählt wird.

Bei Jallow treffe das Motto Integration durch Sport voll zu, sagt Eble, für den als langjährigem Polizeibeamten mit viel Erfahrung in Sachen Schleuserkriminalität die Integration von Ausländern mit Aufenthaltsgenehmigung alternativlos ist: „Jeder, der integriert wird, hängt nicht am Bahnhof rum und säuft nicht. Aber es ist ein Geben und Nehmen.“

Großer bürokratischer Aufwand bei Beantragung von Fördermitteln

Der ATSV Kleinsteinbach erhält als Stützpunktverein für Integration über den Badischen Sportbund (BSB) Sondermaßnahmen bezuschusst. „Wenn ein Flüchtling beispielsweise Torwart werden will, dann bekommt der Verein einen Teil seiner Ausgaben ersetzt. Aber es ist ein wahnsinniger Papierkrieg“, berichtet Eble. Mit seiner Klage über bürokratische Hürden steht Eble nicht allein. Manfred Graudejus vom Bruchsaler Kreisligisten FV Neuthard mochte sich den Stress mit der Beantragung von Mitteln im Rahmen der Programme „1:0 für ein Willkommen“ und „2:0 für ein Willkommen“ kein zweites Mal antun. Der Deutsche Fußball-Bund (DFB) hatte den Hilfsfonds zum Höhepunkt der Flüchtlingswelle aufgelegt, um die Vereine bei ihren Anstrengungen um Integration zu unterstützen. Rund 3 600 Clubs, darunter fast 30 Vereine aus den Kreisen Karlsruhe und Bruchsal, bekamen die je 500 Euro.

Auch Graudejus nahm für den FVN die Möglichkeit wahr, nachdem sich eine Handvoll Flüchtlinge am Fußball spielen interessiert gezeigt hatte. „Unsere Hoffnung war, Leute für die erste und die zweite Mannschaft zu gewinnen. Aber die Männer waren dann auch schnell wieder weg, weil sie in andere Unterkünfte verlegt wurden“, sagt Graudejus.

Nur zum Teil ähnliche Erfahrungen hat der TSV Schöllbronn gemacht, denn immerhin hat Momodou Manneh, Asylsuchender aus Gambia, vier Jahre lang das grüne TSV-Trikot getragen. Dass er nun zum FC in seinem Wohnort Busenbach wechselt, habe rein praktische Gründe, sagt Fußball-Abteilungsleiter Sascha Heckenbach und bedauert den Abgang. Manneh zählte zum Stamm des A-Klassisten. Heckenbach betont: „Bei uns ist jeder recht herzlich willkommen, egal woher ein Spieler kommt.“

Ohne Spieler mit Migrationshintergrund wären die Probleme der Vereine noch größer

Der Neutharder Graudejus sagt: „Mit Ausländern haben wir insgesamt gute Erfahrungen gemacht.“ Viele Mitglieder hätten ja einen Migrationshintergrund, die meisten aber auch deutsche Pässe, da sie in der Mehrzahl als zweite oder gar dritte Generation ja in Deutschland aufgewachsen seien. Thomas Rößler, der Vorsitzende des Fußballkreises Karlsruhe, stellt fest: „Spieler mit Migrationshintergrund sind unheimlich wichtig. Wenn wir sie nicht hätten, würden viele Vereine vor ernsten Problemen stehen.“

FC Español als Multi-Kulti-Gemeinschaft

Oder es gäbe sie erst gar nicht, wie beispielsweise die Karlsruher Clubs GSK, FC Croatia oder FC Español. Die „Spanier“, seit dem 27. Mai 1962 eingetragener Verein und in den ersten Jahrzehnten Heimat vieler Iberer, haben sich zur Multi-Kulti-Gemeinschaft por excelencia entwickelt. Der Kader des Landesligisten versammelte zuletzt Menschen aus einem Dutzend Ländern. „Unsere Stärke ist der Mix aus vielen Nationen“, sagt Ralph Gerner, der Zweite Vorsitzende. Vielfalt als Erfolgsfaktor: Nach einem Jahr in der Verbandsliga kämpfte Español lange um den Wiederaufstieg und beendete die Runde als Tabellendritter. Allerdings, so Gerner, sei es „schon eine Aufgabe“ für den Trainer, die vielen Charaktere unter einen Hut zu bringen.

Ressentiments erlebt auf und neben dem Platz

Während Gerner Ressentiments gegen seine bunte Truppe selten gespürt hat, berichtet Oktay Irtem von ganz anderen Erfahrungen. Der vor 29 Jahren in Deutschland geborene Türke ist seit 2016 Vorsitzender des FV Gondelsheim und hat in dieser Zeit schon einiges an Ausländerfeindlichkeit erlebt, wie Irtem sagt. „Gegen mich wurde als Vorstand verbal geschossen und ich als dummer Türke beschimpft. Das ist deprimierend für einen Menschen, der hier aufgewachsen ist“, sagt Irtem. Er hatte vor drei Jahren das vakante Amt beim Verein aus der Bruchsaler Kreisklasse A übernommen, „weil es keiner machen wollte. Wir hätten den Verein sonst abmelden müssen, aber der FV Gondelsheim ist für mich eine Herzenssache“. Zwei Drittel des Kaders sind Ausländer. Der FVG-Vereinschef und -Spieler sagt: „Wir werden auch von den Schiedsrichtern abgestempelt.“ Er fordert: „Der bfv sollte seine Schiris besser schulen.“

Interkulturelle Kompetenz vonnöten

Die Unparteiischen mit dem Rüstzeug für Anforderungen an Partien mit Spielern unterschiedlichster Ethnien auszustatten, hat sich der bfv durchaus auf die Fahne geschrieben. Der Verband stellt für seine Schiedsrichter Schulungsmodule bereit, mit denen die Konfliktfelder bei interkulturellen Begegnungen aufgezeigt und Verhaltensempfehlungen an die Hand gegeben werden. Die Module sind Ergebnis der Masterarbeit von Patrick Orf zum Thema „Interkulturelle Kompetenz im Amateurfußball“. In der Forschungsarbeit des mittlerweile beim Badischen Sportbund tätigen Sportwissenschaftlers kam heraus, dass kulturelle Unterschiede in Kommunikation und Verhalten Ursache für Probleme seien. Referees komme bei Konflikten eine Schlüsselrolle zu. Orf: „Durch ihre Entscheidungen werden sie häufig unverschuldet zu Tatauslösern, weshalb gerade deren Fähigkeiten im Umgang mit Konflikten allgemein und besonders im interkulturellen Kontext gefördert werden müssen.“ Und in der Trainerausbildung ist die Vermittlung von interkultureller Kompetenz gewiss auch hilfreich.

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