Gerade die Sozialdemokraten zeichnen sich aus, aber auch Politiker anderer Parteien. Man könnte eigentlich einen Sammelthread daraus machen. (Man erinnere sich an Merkel, die meinte, einem gewählten amerikanischen Präsidenten statt einer Gratulation zur Wahl eine Belehrung über Demokratie und Menschenrechte zukommen zu lassen.)

Deutsche Politiker reden über Österreich, als wäre Wien Magdeburg oder Hannover. Die FPÖ dürfte davon profitieren



Seit dem Skandal um den FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache meinen einige in Berlin, Wien Direktiven erteilen zu müssen. Manchen Wählern könnte eine Stimme für die Rechtspopulisten nun wie ein Akt österreichischer Selbstbehauptung erscheinen.

Deutsche Politiker scheinen die Ereignisse im Nachbarland Österreich und den Sturz von Vizekanzler Heinz-Christian Strache (im Bild) vor allem als Hintergrund für den eigenen Wahlkampf zu betrachten.

Ähnlich gross dürfte das Interesse der Deutschen an Österreich letztmals zu Lebzeiten Jörg Haiders gewesen sein. Wer dieser Tage die Berichterstattung deutscher Medien über den Sturz des österreichischen Vizekanzlers Heinz-Christian Strache verfolgt, könnte meinen, die Deutschen verhandelten eine innere Angelegenheit. Auch wenn Wiener Journalisten den Coup ihrer Münchner und Hamburger Kollegen reihenweise bejubeln: Für die österreichische Presse ist Straches politisches Ende mindestens ebenso eine Niederlage wie für diesen selbst. Dass der österreichische Bundeskanzler Sebastian Kurz sein Schweigen schliesslich nicht etwa im ORF, in der «Presse» oder im «Standard» brach, sondern in der deutschen «Bild»-Zeitung, wirkte eher konsequent als überraschend.

Man schlägt die FPÖ und meint die AfD

Zur Provinz wird Österreich auch in anderer Hinsicht degradiert: Deutsche Politiker scheinen die Ereignisse im Nachbarland vor allem als Hintergrund für den eigenen Wahlkampf zu betrachten. Man schlägt die FPÖ und meint die AfD. Einige in Berlin glauben gar, Wien Direktiven erteilen zu müssen. Andrea Nahles, die Chefin der deutschen Sozialdemokraten, war eine der Ersten, die Neuwahlen forderten. Es reiche nicht, «nur Köpfe auszutauschen», fand auch Annalena Baerbock, die Co-Parteichefin der deutschen Grünen. Straches Eskapade auf Ibiza sei «keine allein innerösterreichische Angelegenheit», sagte Tobias Hans, der christlichdemokratische Ministerpräsident des Saarlandes. Deutsche Spitzenpolitiker redeten über Österreich, als wäre Wien Magdeburg oder Hannover.


Natürlich kann man in Zeiten der europäischen Einigung die Frage stellen, inwieweit es so etwas wie innere Angelegenheiten innerhalb der EU überhaupt noch geben kann. Wer so argumentiert, müsste allerdings eine ganze Reihe moralischer Probleme erörtern, etwa wie es die SPD mit Rumäniens korrupter sozialdemokratischer Regierungspartei hält oder wie sich die CDU und die deutsche FDP dazu verhalten, dass ihre politischen Freunde in Estland in einer Koalition mit der Konservativen Volkspartei regieren, deren Chef Homosexuelle als «Perverse» bezeichnet und sich an der Anwesenheit von «Negern» in Tallinn stört. Europa ist nun einmal vielfältig, unübersichtlich und nicht immer so, wie man es gerne hätte, so dass, wer die eigenen moralischen Ansprüche überall geltend macht, womöglich in einem Glashaus sitzt, ohne dies selbst überhaupt zu bemerken. Straches FPÖ regiert übrigens auch gemeinsam mit Sozialdemokraten, wenn auch nur im Burgenland, das mit seinen knapp 300 000 Einwohnern offenbar unter dem Radar deutscher Minister und Leitartikler liegt.

Unfreiwillige Wahlkampfhilfe

Ob deutsche Politiker von ihrer Einmischung in österreichische Angelegenheiten profitieren, wird sich am Sonntag bei den Wahlen für das Europaparlament zeigen. Ob sie ihren politischen Freunden in Österreich einen Dienst erweisen, ist mehr als fraglich: Wahrscheinlicher ist, dass die Belehrungen aus Berlin zu einer Trotzreaktion führen. Österreichische Identität besteht immer auch darin, sich von Deutschland abzugrenzen. Dahinter steckt mehr als bloss antideutsches Ressentiment oder ein Narzissmus der kleinen Differenz: Angesichts der Grössenverhältnisse und einer gemeinsamen Sprache ist das Beharren auf der eigenen Andersartigkeit für Österreich von existenzieller Bedeutung. Nicht wenige Wähler dürften eine Stimme für die FPÖ für einen Akt österreichischer Selbstbehauptung halten, was insofern absurd ist, als die Wurzeln der Partei tief im deutschnationalen Milieu liegen. Sollten die Freiheitlichen trotz ihrer Verfehlungen mit einem passablen Ergebnis davonkommen, liegt die Ursache dafür nicht zuletzt auch in Berlin.

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