Integration mit Pinsel Gespräche in Farbe


Das Werk "Ich bin ein Baum

Wie sich Einheimische und Geflüchtete in der Kunst finden können, zeigen die Mittwochsmaler in ihrer Abschlussausstellung im Kunstverein





Ein Baum mit einer Verletzung. Quer über seinem Stamm ein Schnitt, quer über den Wurzeln. Er steht noch, der Stamm, seine Zweige recken sich gen Himmel, aber er ist beschädigt, geschwächt, vielleicht von einem Teil seiner Wurzeln getrennt. Inmitten seiner Krone drängen sich winzig drei Vögel zusammen, unverkennbar suchen sie Schutz.


Der Baum ist Teil eines Gemeinschaftsbilds, das den Besucher im Studio an der Rampe in den Raum und die Ausstellung der Mittwochsmaler hineingeleitet. Gemalt hat ihn ein Flüchtling. Zweieinhalb Jahre lang hat er ausgeharrt in Deutschland, weit weg von seinem Heimatland, dem Land, in dem er verwurzelt ist, bis seine Familie nachkommen durfte. Das Schöne ist: Sein Baum steht jetzt nicht mehr allein. Auf dem Bild ist er eingerahmt von anderen Bäumen, ganz verschiedenen; dicken und langen, verzweigten und schlichten, abstrakten, die sich in dynamischen Kreiseln entfalten, wie in einer psychedelischen Fantasie, und sehr konkreten; knorrig wie eine heimische Eiche. Solchen, die sich ineinander verschränken und solchen, die ganz alleine stehen. Neben dem Baum mit den drei Vögeln wachsen zwei kleine Bäume aus dem Boden, über ihrer Krone schneit es. Die hat die fünfjährige Tochter des Geflüchteten gemalt.


Immer wieder mittwochs kamen sie zusammen im Studio des Kunstvereins, ein Dreivierteljahr lang; Deutsche und Nichtdeutsche, Künstler und Nichtkünstler, Flüchtlingshelfer und Flüchtlinge. 15 Asylbewerber und zehn Deutsche insgesamt. Um miteinander zu malen, zu reden oder auch zu schweigen. Um "an einem Tisch" zu sitzen, sagt Gisela Heide, Mitglied im Beirat des Kunstvereins. Zusammen mit der Künstlerin und Kunstpädagogin Rusydah Ziesel hat sie das Projekt der "Mittwochsmaler" für "Geflüchtete und Daheimgebliebene" angeleitet, in dem es um Sprache gehen sollte, aber auch um Kunst. Das eine um des anderen willen und umgekehrt. Zunächst einmal habe man mit dem Kurs, getragen vom Kunstverein und dem Katholischen Kreisbildungswerk und mitfinanziert von der "Lagfa" Bayern (Ehrenamtliche Sprachförderung für Asylbewerber), einen Raum schaffen wollen, "in dem Sprache passieren kann". Ganz ohne Grammatikbuch und Vokabelheft. Und ganz ohne, dass die einen immer diejenigen sein mussten, die den anderen etwas erklären müssen. "Das hat mir so gut gefallen", sagt Asylhelferin Martina Fink. Am Ende jeder Stunde wurde über die Bilder gesprochen, jeder Teilnehmer, die Betreuer vom Ebersberger Helferkreis wie Martina Fink oder Claudia Müller genauso wie die Geflüchteten, konnte zu seinem Bild etwas sagen, wenn er wollte. "Es ging aber nicht darum, den Menschen ihre Fluchtgeschichten zu entlocken", erklärt Fink.


Dass diese Geschichten, Geschichten, die mit Flucht und Angst, mit Abschied und Einsamkeit zu tun haben, in vielen Bildern an die Oberfläche drängten, mal bunt in Wasserfarben oder schwarz in Kohle, liegt im Wesen der Kunst selbst begründet. "Kunst heilt", erklärt Kunsttherapeutin Ziesel. So ein leeres Blatt in einem Din-A- 3-Block eröffne "Handlungsspielräume", die Möglichkeit, etwas, zu gestalten - eine Chance, die Menschen mit einer Fluchtgeschichte ja meist gerade nicht haben. Sehnsüchte, wie jene nach einer Partnerin, dargestellt von einem der Teilnehmer in der Rückenansicht eines Mannes und einer Frau im roten Kleid, oder Traumata, wie der Abschied eines jungen Mannes von seiner Mutter, finden ihren Ausdruck in den Einzelbildern, die für die Ausstellung an senkrecht in parallelen Bahnen hängende Stoffwände genäht sind. Sie bilden einen fragilen, rechteckigen Raum im Raum, einen doppelt geschützten aber beweglichen Rahmen zwischen den Wänden des Ateliers über dem Klosterbauhof. Nicht gerahmt sondern aufgenäht sind die Bilder, um das Veränderbare, die Verletzlichkeit erfahrbar zu machen. Die Nähte bleiben sichtbar, wie die Narben derer, die die Bilder gestaltet haben. Zwischen den Stoffbahnen standen die langen Tische, an denen die Teilnehmer sich alle zwei Wochen getroffen haben. "Es ist etwas anders, wenn man hier herein tritt; du kannst es nicht greifen, aber es ist da", erklärt Ziesel.


Die frei hängenden Stoffbahnen sind nun zur Installation geworden. Über feine, lose gebundene rote Fäden sind sie miteinander verknüpft, der rote Faden steht als Symbol für die Beziehungen, die in den Monaten des gemeinsam Kreativseins zwischen den Teilnehmern gewachsen sind. So wie auch die Gemeinschaftsbilder: Inspiriert von einem Liedtext oder vom Austausch miteinander. Da durfte gemalt werden und übermalt, verbessert und erneuert, bis schließlich ein "Farbgespräch" entstanden ist, das jetzt eine der Wände der Galerie schmückt. Spielerisch und ohne Bewertung sollten die Teilnehmer kreativ werden können. Mit Worten oder mit Pinsel und Stift, immer aber: miteinander.

https://www.sueddeutsche.de/muenchen...arbe-1.4281047