Richter und Staatsanwälte am Rande des Zusammenbruchs

Thomas Rietzschel

Die Justiz verspielt ihr Ansehen. Die Bürger misstrauen ihr zunehmend. Fast schon mehrheitlich glauben sie, dass die Gerichte nicht unabhängig, sondern politisch beeinflusst urteilen würden. Bei einer Umfrage, die das Berliner Meinungsforschungsinstitut Civey im Auftrag des FOCUS unter 5.000 Wahlberechtigten anstellte, setzten nur noch 40,9 Prozent „großes oder sehr großes Vertrauen“ in die Justiz, indes 44,9 Prozent die Vertrauensfrage mit der Angabe „gering oder sehr gering“ beantworteten. Erhoben wurden die Werte vor nicht einmal zwei Wochen, vom 14. bis zum 28. Dezember 2018.

Vergleicht man das mit den Resultaten früherer Jahre, möchte einem schwarz vor Augen werden. Bei einer EU-Umfrage 2013 hielten 77 Prozent das deutsche Gerichtswesen für zuverlässig; immerhin 68 taten das laut einer Allensbach-Studie noch 2017. Überwiegend verließen sich die Bürger auf eine Justiz, der sie heute zum größeren Teil misstrauen. Nach der Legislative und der Exekutive, der gesetzgebenden und der staatlichen Gewalt, läuft nun auch die Judikative Gefahr, ihre Glaubwürdigkeit zu verspielen. Der dritte Säule der Demokratie gerät zusehends ins Wanken.


Die Juristen, Richter und Staatsanwälte sind sich dessen durchaus bewusst. Sie leiden unter dem Verruf, in den sie geraten. Als Ursache ihrer schwindenden Wertschätzung haben sie die permanente Überlastung in den Ämtern ausgemacht: fehlendes Personal, Raummangel und ungenügende technische Ausstattung.

Raum ist in der kleinsten Zelle

Vordergründig betrachtet stimmt das fraglos. Nur allzu oft sind zwei Staatsanwälte gezwungen, sich ein Büro von der Größe einer Gefängniszelle zu teilen. Allenthalben fehlt es an Justizbeamten, vorwiegend im mittleren Bereich, oftmals sogar an Computerprogrammen zur Spracherkennung.


Da aber zugleich zahllose Sekretärinnenstellen im Zuge wiederholter Sparmaßnahmen gestrichen wurden, müssen viele Staatsanwälte ihre Anklageschriften per Hand eintippen, während sich täglich neue Fälle auf den Schreibtischen stapeln. Die Zustände, wie sie etwa der Berliner Oberstaatsanwalt Ralph Knispel beschreibt, sind katastrophaler kaum vorstellbar. Und dennoch erklärt das nicht alles.


Der Verweis auf den personellen Notstand und die mangelhafte Ausrüstung greift zu kurz. Geht es doch nicht um die unbearbeiteten Fälle, sondern um die gefällten Urteile, wenn in der eingangs zitierten Civey-Ermittlung auf die Frage, „denken Sie, dass in Deutschland vor Gericht alle Menschen gleich sind?“, bloß noch 33,3 Prozent mit „ja“ und über sechzig mit „nein, auf keinen Fall“ geantwortet haben. Hier stehen die Juristen selbst in der Verantwortung. Wie interpretieren sie das Recht von Fall zu Fall? Erliegen sie politischer Beeinflussung, wenn sie etwa die Taten zugewanderter Muslime mit dem Verweis auf deren kulturelle Prägung vorsichtig mildernd betrachten? Welcher Gesinnung fühlen sie sich verpflichtet?

Richter Gnadenlos will keiner sein

Wie die meisten Intellektuellen haben sie sich in einem Klima links-alternativer Überzeugungen beruflich etabliert. Einzelgänger, die es noch wagen, davon abzusehen, laufen leicht Gefahr, als „Richter Gnadenlos“ tituliert zu werden. Nachsicht dient der Karriere mehr als Strenge, erst recht, wenn dadurch Urteile vermieden werden, die Zweifel an dem wecken könnten, was die Politik umsetzen will.


Nicht zufällig beschleunigt sich der Verlust des Vertrauens der Bürger in den Rechtsstaat seit der Merkelschen Grenzöffnung 2015. Da verhält es sich bei den Juristen nicht viel anders als im Journalismus, dem vierten Stützpfeiler der Demokratie. Mit der ganzen Härte des Gesetzes wird verfolgt, was nicht sein soll, während auf Gnade zählen darf, wer im Mainstream schwimmt, ohne sich viel um die Gesetze zu kümmern. Es ist dieser Blick durch die ideologische Brille, der dazu führt, dass selbst vor den Schranken der Gerichte unterdessen einige gleicher sind als alle. Vorurteile nehmen die Urteile vorweg.


Die Vorkommnisse in Amberg, wo vier Flüchtlinge am vergangenen Samstag zwölf Deutsche verprügelten, rückten erst ins Licht der Öffentlichkeit, nachdem bekannt wurde, dass in der Silvesternacht ein Deutscher in Bochum und Essen mit seinem Auto in Gruppen von Ausländern fuhr und dabei acht Menschen verletzte, eine Frau lebensgefährlich.
Herbert Reul kann Gedanken lesen

Während in diesem Fall sofort und korrekt ausführlich über die „Opfer“ berichtet wurde, die Staatsanwaltschaft umgehend von einem „gezielten Anschlag“ sprach, war in dem anderen Fall von „mutmaßlichen Gewalttaten“ die Rede, wiederum verübt von „mutmaßlichen Asylbewerbern“.



Noch bevor die Ermittlungen in Bochum überhaupt aufgenommen werden konnten, wusste der nordrhein-westfälische Innenminister Herbert Reul (CDU): „Es gab die klare Absicht von diesem Mann, Ausländer zu töten.“ Mit welcher Absicht die „Flüchtlinge“ in Amberg auf die Deutschen eindroschen, ihrerseits einen Mann krankenhausreif schlugen, dazu hat sich bisher noch kein Politiker oder Jurist geäußert, und das, obwohl sich die Täter seit Tagen in Untersuchungshaft befinden.


Nein, man soll den einen Gewaltakt nicht gegen den anderen aufwiegen. Es gibt keine Verbrechen, die sich gegenseitig relativieren. Umso mehr aber sollte gerade die Justiz diesem politisch erweckten Eindruck durch ein Handeln entgegentreten, das keine Zweifel an ihrer Unabhängigkeit aufkommen lässt. Denn wenn die Bürger der Gerichtsbarkeit ihres Landes erst einmal das Vertrauen entzogen haben, steht nicht mehr und nicht weniger als die Demokratie auf dem Spiel. Es drohen Selbstjustiz oder autokratische, womöglich diktatorische Verhältnisse.

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