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    Sprachliche Seenot in den Redaktionen

    Sprachliche Seenot in den Redaktionen

    Peter Grimm

    Welche Fluchtgründe haben Menschen, aus Frankreich zu fliehen? Sicher gibt es Straftäter, die sich mittels Flucht den französischen Strafverfolgungsbehörden entziehen wollen. Doch um die wird es bei den „Flüchtlingen“, von denen manch deutsche Medienschaffende schreiben, sicher nicht gehen. Das wäre ja ein ungeheuerlicher Generalverdacht gegenüber den Menschen, die versuchen, illegal aus Frankreich nach Britannien zu gelangen. Aber all die Kollegen, die hier mit leichter Hand von „Flüchtlingen“ schreiben, müssen sich diese Frage mindestens einmal gestellt haben, oder?


    Ein Mensch, der vor etwas fliehen muss, ob vor politischer Verfolgung oder vor Krieg und Terror sei dahingestellt, ist ein Flüchtling. In Frankreich herrscht kein Krieg und kein Diktator lässt willkürlich Untertanen verhaften. Wer Frankreich erreicht hat, ist – egal aus welch schlimmen Umständen er zuvor gekommen ist – bei seiner Weiterreise kein Flüchtling mehr, selbst wenn er an seinem nächsten Reiseziel einen Asylantrag stellt. Der Begriff „Asyltourismus“ ist ja tabu. Migranten, die Frankreich verlassen wollen, um in Britannien bessere Bedingungen zu finden, sind definitiv keine „Flüchtlinge“, allenfalls Asylreisende.


    Nun ist bekannt, dass sich kaum ein deutscher Meinungsbildner, Journalist, Redakteur oder sonstiger publizistischer Schwerarbeiter der süßen Versuchung entziehen kann, jeden Migranten zum „Flüchtling“ oder noch politisch korrekter zum „Geflüchteten“ zu erheben. Letzterer Begriff hat sogar den Vorteil, dass er nirgends definiert ist. Für den „Flüchtling“ hingegen lässt sich eine einigermaßen klare Definition aus der UN-Flüchtlingskonvention herleiten.


    Nach der ist nur eine Minderheit der „Geflüchteten“ als Flüchtling zu bezeichnen, obwohl mittlerweile jeder illegale Einwanderer umgangssprachlich so genannt wird. An dieser Stelle war das „Framing“ erfolgreich. Das positiv konnotierte Etikett „Flüchtling“ oder „Schutzsuchender“ klebt an jedem Zuwanderer. Kaum einer fragt mehr nach dem inhaltlichen Sinn dieser Zuschreibungen, so sind sie unauflöslich mit der Migration verbunden. Selbst die professionellen Worthandwerker haben vergessen, dass man Migranten auch differenzierter beschreiben kann. Die Unterscheidung zwischen Flüchtling, Asylbewerber, illegalem oder auch legalem Einwanderer ist kaum noch en vogue, oder erscheint sogar schon anrüchig.
    Niemand denkt an sprachliche Opfer

    So kann es auch passieren, dass – siehe auf Zeit-Online – Schlagzeilen wie „Binnen zwei Tagen 43 Bootsflüchtlinge aus dem Ärmelkanal gerettet“ erscheinen und sich niemand wundert und die oben erwähnte Frage stellt, warum man aus Frankreich fliehen muss. Die am ersten Weihnachtsfeiertag Geretteten stammten aus dem Irak, dem Iran und Afghanistan, sie wollten nicht länger in Frankreich bleiben. Doch wovor flohen sie? Vor den Gelbwesten? Vor Macron? Vor der EU ins Brexit-Land?


    Natürlich nicht. Sie wollten nach Britannien, weil sie sich dort bessere Lebensumstände als in Frankreich erhoffen. So wie viele Migranten aus der Sicherheit anderer EU-Staaten nach Deutschland „fliehen“, um der besseren Geld- und Sozialleistungen teilhaftig zu werden. Das ist nicht verurteilenswert, denn wer Anreize schafft, darf sich nicht wundern, wenn diese Anreize auch wirken. Wer mit scheinbar voraussetzungslosen Wohltaten lockt, schafft halt wichtige Grundlagen fürs Schleusergeschäft.


    Dass diese politische Frage, die Beseitigung dieser „Flucht“-Ursache, dringend auf die Tagesordnung gehört, ist die eine Sache. Aber dass Asylreisende, die von einem sicheren Land ins nächste unterwegs sind, sogar von Formulierungsprofis stets unreflektiert zu „Flüchtlingen“ erklärt werden, ist mehr als nur eine ärgerliche Nachlässigkeit. Oder ist es eine gut gemeinte Propaganda-Aktion? Ein selbst von ihren Initiatoren ungewollter Kollateralschaden ist der, dass es für die Menschen, auf die der Begriff „Flüchtling“ einstmals differenziert und zielgenau Anwendung fand, keinen Begriff mehr gibt.


    Der Schutzsuchende, der tatsächlich geflohen ist und ein sicheres Exil erreicht hat, kann nicht mehr mit einem Wort bezeichnet werden, ohne dass beim Lesen oder Hören auch all die Wohlstandssucher, Glücksritter, Antänzer, Islamisten oder Messerstecher mit anklingen. Die gut gemeinte Pauschalisierung sorgt so für ein pauschales Potpourri aus Generalverdächtigungen. Aber wer denkt schon an sprachliche Opfer, wenn „Flüchtlinge“ im Ärmelkanal in Seenot geraten und vor dem Ertrinken gerettet werden müssen. Bald können wir die Letztgenannten ja „EU-Flüchtlinge“ nennen. Oder wäre das böses Framing? Die sprachpolizeilichen Ratgeber des Sagbaren müssen immer neue Antworten auf die Fragen finden, die sie selbst aufwerfen. Und in dieser Disziplin ist Deutschland immerhin noch führend.

    https://www.achgut.com/artikel/sprac...en_redaktionen
    Es ist dem Untertanen untersagt, den Maßstab seiner beschränkten Einsicht an die Handlungen der Obrigkeit anzulegen.
    Gustav von Rochow (1792 - 1847), preußischer Innenminister und Staatsminister

  2. #2
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    AW: Sprachliche Seenot in den Redaktionen

    Es gibt nicht nur einen Relotius.
    Alle Texte, die keine Quellenangaben haben, stammen von mir.

  3. #3
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    AW: Sprachliche Seenot in den Redaktionen

    Relotiusse, wohin man sieht!
    Einigkeit und Recht und Freiheit für das deutsche Vaterland

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