Augsburg

Wie stark beschäftigen Flüchtlinge die Polizei in der Region?

Der Zustrom an Flüchtlingen hat sich auf die Arbeit der Polizei ausgewirkt. Augsburgs Polizeichef Michael Schwald spricht offen über eine "gewaltige Herausforderung".
Herr Schwald, hat sich der große Zuzug von Asylbewerbern auf die Sicherheitslage bei uns ausgewirkt?



Michael Schwald: Fast 1,5 Millionen Menschen mit einem anderen kulturellen Hintergrund sind in kurzer Zeit nach Deutschland gekommen. Das wirkt sich aus. Teils konkret bei Straftaten, aber vor allem auch beim Sicherheitsgefühl. Schon allein deshalb, weil sich das Stadtbild verändert hat. Wir wussten ja auch am Anfang nicht genau, wer da kommt. Jetzt haben wir ja ganz überwiegend einen geordneten Zuzug, während das im Herbst 2015 nicht so war.


Wie sieht es bei der Kriminalität in unserer Region aus? Ist es seit 2015 gefährlicher geworden?



Schwald: Die Entwicklung ist so, dass wir voriges Jahr ein Rekordtief bei den Straftaten registriert haben. Die objektive Sicherheitslage hat sich nicht verschlechtert, sondern verbessert. Bei Statistiken sollte man aber auch etwas genauer hinschauen. Es ist so, dass der Anteil nichtdeutscher Tatverdächtiger seit Jahren kontinuierlich steigt, darunter auch die Zahl der Zuwanderer. Der Anteil ausländischer Tatverdächtiger lag im Jahr 2017 bei fast 33 Prozent, 2012 waren es sieben Prozent. Zu den Zuwanderern zählt die bundesweit einheitliche Kriminalstatistik nicht nur Asylbewerber, sondern auch Bürgerkriegsflüchtlinge und Geduldete. Und auch jene, die sich unerlaubt hier aufhalten oder bewusst einreisen, um Straftaten zu begehen.


Kann man also sagen: Die Einheimischen sind braver geworden und gleichen das aus, was jetzt der manche Zuwanderer anstellen?



Schwald: Bei solchen Deutungen muss man aufpassen, dass kein falsches Bild entsteht. Fakt ist: Der Großteil der Asylbewerber wird nicht straffällig. Und unter den Einheimischen sind auch immer noch etliche, die nicht so brav sind. Fakt ist aber auch, dass der Anteil der Zuwanderer an der Kriminalität steigt. Das hat damit zu tun, dass die Zahl der Zuwanderer seit 2015 zugenommen hat. Man muss sehen, dass vor allem Männer zwischen 18 und 35 zugewandert sind. Dieser Bevölkerungsteil ist auch bei den Einheimischen jener, der im Vergleich zu den übrigen Altersgruppen am häufigsten Straftaten begeht. Wir halten keine Zahlen zur Kriminalität von Zuwanderern zurück. Aber man sollte verantwortungsvoll und seriös damit umgehen.


Ein Thema, das in politischen Debatten eine große Rolle spielt, sind Sexualstraftaten. Welche Rolle spielen Zuwanderer hier?



Schwald: Wenn man die Gruppe der tatverdächtigen Zuwanderer näher betrachtet, dann registrieren wir da am häufigsten Vermögens- und Fälschungsdelikte, wobei das Fahren ohne Fahrschein ganz oben steht. Es folgen Diebstähle, meist Ladendiebstahl, Körperverletzungen und Drogendelikte. Aber wir beobachten auch bei den Sexualstraftaten, dass der Anteil der Zuwanderer an den Tatverdächtigen zuletzt signifikant gestiegen ist.



Gibt es in Augsburg bestimmte Orte, die von Frauen gemieden werden sollten? Zumindest zu bestimmten Zeiten?



Schwald: Es gibt keine sogenannten No-go-Areas. Objektiv gibt es keinen Anlass, dass man hier irgendwo Angst haben muss. Eine andere Frage ist, mit welchem Gefühl man sich zu bestimmten Zeiten an bestimmten Orten bewegt. Das Sicherheitsgefühl hängt auch davon ab, ob Sie sich in der gut beleuchteten Innenstadt bewegen oder auf einem einsameren Weg. Wenn wir Kriminalitätsschwerpunkte ausmachen, reagieren wir mit polizeilichen Maßnahmen. Am Wertachufer in Oberhausen, wo es vor anderthalb Jahren verstärkt zu Ruhestörungen und auch Belästigungen kam, haben wir das zum Beispiel getan.

Ein viel diskutiertes Thema sind Messerattacken. Täuscht der Eindruck oder gibt es wirklich eine Steigerung?



Schwald: Den Begriff „Messerattacke“ finde ich irreführend. Darunter stellt man sich Kriminelle vor, die sich Bandenkriege liefern oder aus heiterem Himmel auf offener Straße Menschen attackieren. Die Taten, bei denen ein Messer als Waffe eingesetzt wird, spielen sich aber äußerst selten so ab. Meist gibt es eine Vorbeziehung, einen Streit, der irgendwann eskaliert. Dass das Messer häufiger eingesetzt wird, ist aber Fakt. Bei sogenannten Rohheitsdelikten hatten wir im Jahr 2012 noch 65 Fälle, bei denen ein Messer als Tatmittel genutzt wurde. Voriges Jahr waren es 105 Fälle.



Hängt das mit den Zuwanderern zusammen?



Schwald: Ich kann anhand der Statistik keine Ursachenforschung betreiben. Aber der Anteil an Zuwanderern ist zwischen 2012 und 2017 auch in diesem Bereich deutlich angestiegen. Auch hier muss man natürlich berücksichtigen, dass im Jahr 2012 wesentlich weniger Zuwanderer bei uns gelebt haben.


Wer sind die Opfer der Straftaten, die von Zuwanderern begangen werden?



Schwald: Gerade bei den Rohheitsdelikten, dazu zählen unter anderem Körperverletzungen oder Raub, ist oft sowohl der Tatverdächtige als auch das Opfer Zuwanderer. Das ist bei etwa 60 Prozent der Fälle so. Es handelt sich aber trotzdem um eine Straftat und es macht das Ganze nicht besser. Es ist aber doch ein Einflussfaktor für das Sicherheitsgefühl.


Wie sehr wirkt sich der Flüchtlingszuzug auf die Polizeiarbeit aus?



Schwald: Für die bayerische Polizei war die sogenannte Flüchtlingskrise eine enorme Herausforderung. Auf dem Höhepunkt kamen Tausende von Menschen täglich nach Bayern, teils in Sonderzügen. Sie mussten untergebracht und versorgt werden. Da war in erster Linie humanitäre Hilfe gefragt. Kollegen haben in der Nacht die Geschäftsführer von Supermärkten aus dem Bett geklingelt, weil dringend Essen benötigt wurde. Schleuser haben teils ganze Familien oder Gruppen im Stadtgebiet abgesetzt. Bei der Inspektion Mitte lagen im Vorraum teils Familien zum Schlafen, bis wir geeignete Räumlichkeiten hatten, wo sie schlafen konnten. Das war schon eine gewaltige Herausforderung.


Konnte man denn zu dieser Zeit überhaupt wissen, wer da zu uns kommt?



Schwald: Die Behörden wussten letztendlich nicht immer, wer zu uns kommt. Es ist kein Geheimnis, dass die Zuwanderung in diesen Wochen nicht geordnet ablief.



Eine Sorge der Menschen war, dass sich die Terrorgefahr erhöht, weil mit dem Flüchtlingsstrom auch Extremisten ins Land kommen können.



Schwald: Das konnte seitens der Sicherheitsbehörden bei einem ungeordneten Zugang nicht durchgehend ausgeschlossen werden. Es bestand die Gefahr, dass Menschen aus Kriegsgebieten kommen, die eine militärische Ausbildung haben und radikalisiert sind. Solche Fälle kann es immer geben. Insbesondere wenn eine Terrororganisation wie der sogenannte Islamische Staat am Zusammenbrechen ist. Das kann auch eine Rückkehrbewegung von Menschen auslösen, die zum Beispiel nach Syrien gereist sind, um sich dort dem IS anzuschließen. Nicht umsonst ist der polizeiliche Staatsschutz, der sich um solche Fälle kümmert, auch in Augsburg entsprechend ausgebaut worden. Unsere Sorge war auch, dass in den Asylunterkünften großflächig Anwerbungen durch Islamisten stattfinden könnten. Wir haben aber keine Erkenntnisse, dass so etwas in größerem Stil passiert ist.


Gibt es denn Erkenntnisse über Asylbewerber, die in ihrer Heimat in Terrorgruppen aktiv waren?



Schwald: Was verstärkt vorkommt, sind Fälle, in denen sich afghanische Asylbewerber selbst der Mitgliedschaft bei den radikalislamischen Taliban bezichtigen, um höhere Chancen im Asylverfahren zu haben. Sie argumentieren, dass sie wegen ihrer Vergangenheit mit Folter und Tod bedroht sind, falls sie in die Heimat abgeschoben werden. Für die Polizei bedeutet das aufwendige Ermittlungsarbeit, weil so ein Vorleben auch nach deutschem Strafrecht zu ahnden sein kann.


Werden mit der Zuwanderung Konflikte aus der Heimat zu uns getragen?



Schwald: Natürlich besteht die Gefahr, dass wir stärker mit Konflikten aus Herkunftsländern konfrontiert werden. Ich denke etwa an die politische Situation in der Türkei. Teils leben Menschen aus unterschiedlichen ethnischen Gruppen unter einem Dach, die nicht immer ein gutes Miteinander haben oder die auch Konflikte hier austragen. Wenn das im Rahmen von Demonstrationen und Kundgebungen passiert, ist es in Ordnung, wenn es zu Straftaten führt, nicht. In beiden Fällen ist es aber für die Polizei von Relevanz.


Zuwanderer kennen teils eine Polizei, die gleich hart durchgreift. Werden unsere Beamten da ernst genommen?



Schwald: Ja, das werden sie. Die Kolleginnen und Kollegen sind gut ausgebildet, haben Erfahrung und sie schaffen es, dem Gegenüber klarzumachen, was Sache ist. Aber natürlich ist es nicht immer einfach. Sie treffen teils auf Menschen, die eine hohe Frustration haben, weil ein Asylverfahren lange dauert oder es wohl nicht so ausgeht wie gewünscht. In Unterkünften herrscht oft Langeweile und die Menschen bringen einen komplett anderen kulturellen Hintergrund mit. Wenn Sie Herkunftsländer wie Afghanistan, Syrien, Irak, Nigeria oder Gambia betrachten, dort dauern Bürgerkriege teils schon Jahrzehnte an. Viele junge Männer sind mit Gewalt als Strategie zur Konfliktlösung aufgewachsen. Manch einer ist es vielleicht wirklich nicht gewohnt, dass man Konflikte auch lösen kann, indem man miteinander spricht.


Wie sieht es in den Asylunterkünften aus? Gibt es dort gehäuft Straftaten?



Schwald: Man kann schon von einem Einsatzschwerpunkt sprechen. Wir hatten voriges Jahr 950 Einsätze und 582 Straftaten in den 350 Asylunterkünften in unserem Bereich. Die Behörden sind bemüht, eine verträgliche Unterbringung zu gewährleisten. Aber in den Gemeinschaftsunterkünften treffen dennoch Menschen aus unterschiedlichen Kulturkreisen aufeinander, die nicht immer gut miteinander auskommen. Gruppen, die in der Heimat vielleicht sogar Krieg führen. Dazu kommt räumliche Enge. Dass Aggressionen entstehen können, liegt auf der Hand. Wenn dann einer auf den anderen losgeht, ist das aber auch genauso eine Straftat.


Wie stark ist die Polizei heute noch mit dem Flüchtlingsthema beschäftigt?



Schwald: Die Aufgaben haben sich verlagert. Die Polizei ist jetzt zum Beispiel stark mit der Durchführung von Abschiebungen beschäftigt. Das belastet uns auch personell. Zwar ist die nordschwäbische Polizei nicht für die Sicherung der Grenzen zuständig. Man darf aber nicht vergessen, dass dort seit Herbst 2015 Kräfte der Bereitschaftspolizei im Einsatz sind, die dann bei uns fehlen, etwa auf dem Plärrer. Man muss sich auch in Erinnerung rufen, dass die Polizei unmittelbar vor der sogenannten Flüchtlingskrise mit dem G-7-Gipfel in Elmau schon eine große Herausforderung zu bewältigen hatte. Die Taktung ist, das muss man sagen, seither dauerhaft hoch.

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