Wohnungssuche

Happy End in Rosbach: Endlich raus aus dem Flüchtlingsheim

Obwohl Jemal Neir Muhamed Deutsch spricht und Azubi in Rosbach ist, wollte ihn zunächst niemand als Mieter. Nach einem WZ-Artikel hat sich das nun geändert.







Jemal Neir Muhamed zieht bald in seine erste eigene Wohnung in Deutschland – dank seiner hilfsbereiten Kollegen von Nihon Kohden und eines Artikels in dieser Zeitung.





Wochenlang blieb die Wohnungssuche für Jemal Neir Muhamed erfolglos. Der Flüchtling aus Eritrea und seine neuen Kollegen der Firma Nihon Kohden wälzten Annoncen und einschlägige Seiten im Internet, telefonierten mit Vermietern – doch niemand wollte den Flüchtling einziehen lassen, trotz Ausbildungsplatz und Deutschkenntnissen. Die Wetterauer Zeitung berichtete darüber. Nun die Erfolgsmeldung: Rosbacher Jörg Wagner hat angeboten, ihm eine Einzimmerwohnung in seinem Haus zu vermieten. Der 24-Jährige zieht noch in diesem Monat ein – raus aus dem Flüchtlingsheim in Ilbenstadt, rein ins Rosbacher Stadtleben.


»Nur durch den Artikel haben wir so schnell eine Wohnung, ein Zuhause für Jemal, gefunden«, sagt Hans-Dieter Rill, Team- und Lagerleiter bei dem Medizintechnikhersteller Nihon Kohden in Rosbach. Mit zehn Vermietern hatte er telefoniert und war jedes Mal abgewimmelt worden, sobald klar war, dass sein Azubi auf Wohnungssuche ein Flüchtling ist. Dank Wagner ist damit jetzt Schluss. »Ich freue mich sehr, dass es noch Menschen gibt, die das Herz am rechten Fleck haben«, sagt Rill.

Mir tun die Flüchtlinge leid, und ich möchte helfen

Vermieter Jörg Wagner

»Ich hatte zuerst gar nicht daran gedacht, die leerstehende Wohnung im Dachgeschoss zu vermieten«, sagt Wagner. Den Artikel der Wetterauer Zeitung habe ihm eine Bekannte aus der Flüchtlingshilfe gemailt. »Da lief sie bei mir offene Türen ein«, sagt er. »Ich bin Humanist.« Für ihn sei das sinnstiftend.


Kollegen spenden Töpfe und Co.



Der 69-jährige Wagner arbeitet vier Tage die Woche in Rosbach als Musiklehrer. An den anderen Tagen pflegt er seine demente Frau auf einem Bauernhof bei Bad Hersfeld. »Ich habe schon immer ein Herz für bedürftige Menschen und Randgruppen«, sagt er. Bedenken, einen Flüchtling in sein Haus einziehen zu lassen, habe er nicht. Und die Vorbehalte anderer Vermieter? Womöglich latente Fremdenfeindlichkeit, schätzt er. »Ich kann das nicht verstehen, mir tun die Flüchtlinge leid, und ich möchte helfen.« Jemal sei ein sehr angenehmer, junger Mann.


Aus seinem Heimatland Eritrea ist Muhamed vor rund vier Jahren geflohen, weil er nicht als Soldat in den Krieg ziehen wollte. Seit Mitte August macht er eine Ausbildung zum Facharbeiter für Lager und Logistik in der Wetterau. Die Kollegen unterstützen ihn seitdem auch bei der Berufsschule. In Afrika war er nur drei Jahre zur Schule gegangen.


Er freue sich schon auf die Ruhe in der eigenen Wohnung, sagt Muhamed. Auch zum Lernen sei das wichtig. In der Flüchtlingsunterkunft in Ilbenstadt teilt er das Zimmer mit einem Mann, der eine andere Sprache spricht. Bad und Küche nutzt er mit mehreren Flüchtlingen, die teilweise bis spätabends aktiv sind und ihn um den Schlaf bringen. Doch das ist bald Geschichte.


Drei Angebote nach WZ-Artikel



Nach dem WZ-Artikel Ende Oktober hat Muhamed drei Wohnungsangebote bekommen. Neben dem aus Rosbach noch eines aus Altenstadt und eines aus Friedberg. Zur Besichtigung hat Teamleiter Rill seinen Azubi begleitet. Die Wahl fiel letztlich auf den Arbeitsort Rosbach. Der Vertrag ist mittlerweile unterschrieben, die Schlüssel übergeben. Auf eine Kaution verzichtet der Vermieter.



Am Wochenende heißt es dann Streichen, Kisten schleppen und Möbel aufbauen. Mit dabei sind die Kollegen von Nihon Kohden, die beim Renovieren helfen. Sofa, Esstisch und Teppiche – all das haben sie in den vergangenen Tagen über Kleinanzeigen erstanden, Hausrat kommt zum Teil aus der Belegschaft. In der Firma kursiert nämlich eine Rundmail mit der Bitte, ungenutztes Geschirr, Töpfe oder Elektrogeräte abzugeben. »Die Leute haben vieles im Keller – nun geben sie es an Jemal«, sagt Rill. Der 24-Jährige ist noch immer überwältigt über die Unterstützung durch seine Kollegen: »Das habe ich nie erwartet.« Schon nächste Woche will er einziehen – in die erste eigene Wohnung in Deutschland und die erste in seinem Leben.

Kommentar

Menschlichkeit statt Hass

Ob Kollegen, Arbeitgeber, Vermieter, Vereine oder Nachbarn – jeder kann unser Zusammenleben etwas besser machen. Ein so hilfsbereites Umfeld wie das von Jemal Neir Muhamed in Rosbach ist jedem Flüchtling zu wünschen, ebenso wie jedem Hartz-IV-Empfänger, jeder alleinerziehenden Mutter, jedem Rentner und jedem, der manchmal Unterstützung braucht. Klar muss aber sein, dass einzelne Bürger den Sozialstaat nicht ersetzen können. Die Weichen dafür müssen auf kommunaler, nationaler und internationaler Ebene gestellt werden. Nichtsdestotrotz ist es gerade in politisch turbulenten Zeiten wichtig, sich mit Solidarität und Menschlichkeit zu begegnen anstatt mit Egoismus und Hass. Das gilt es nicht nur in der Gesellschaft einzufordern, sondern auch von Politik und Wirtschaft.

https://www.wetterauer-zeitung.de/re...;art472,509184