Angela Merkel: Die Chronik ihrer Fake-Versprechen

Rainer Grell

Von dem 2002 ermordeten niederländischen Politiker Pim Fortuyn stammt die Aussage: „Ich sage, was ich denke, und tue, was ich sage.“ Da mich die ehrwürdige FAZ mal einen „württembergischen Pim Fortuyn“ genannt hat, fühle ich mich geradezu verpflichtet, es dem Vorbild gleich zu tun und zu sagen, was ich über unsere Kanzlerin denke. Um nicht völlig im Sumpf meiner subjektiven Meinung zu versinken, stütze ich mich dabei auf politische Versprechen der Angela Merkel und was aus ihnen geworden ist.
1. Zuwanderung, Asyl

Angela Merkel auf dem 17. Parteitag der CDU in Leipzig, am 1. Dezember 2003 (Seite 32 unten):


„Wir erleben es doch in vielen sachpolitischen Diskussionen: Kaum einer kann sich doch verkneifen, uns in der Zuwanderungsdiskussion sofort in eine rechte Ecke zu stellen. Ich habe über die Fragen ‚Wie empfinden Menschen ihr persönliches Leben?' und ‚Glauben sie, dass es gerecht zugeht?' gesprochen. Man muss natürlich darüber sprechen, dass es den Missbrauch des Asylrechts gibt. Man muss natürlich sagen: Die Folge können nur Steuerung und Begrenzung von Zuwanderung sein. Alles andere wird in der Bevölkerung keine Akzeptanz finden. Deshalb kämpfen wir, unter anderem Peter Müller, Wolfgang Bosbach, für unseren Weg, ganz hart und ganz entschieden.“


Merkel in einem Zeitungsinterview im August 2018:


„Das Grundrecht auf Asyl für politisch Verfolgte kennt keine Obergrenze; das gilt auch für die Flüchtlinge, die aus der Hölle eines Bürgerkriegs zu uns kommen“.
„In der Flüchtlingsdebatte überschlagen sich die Ereignisse“, schrieb die FAZ am 18. August 2018:


„Den Auftakt machte die Kanzlerin, die in Spanien eine Wahrheit entdeckte, die man im Berliner Kanzleramt lange nicht gefunden hatte. Merkel bezeichnete die derzeitigen europäischen Asylregeln als ‚nicht funktionsfähig‘. Das sogenannte Dublin-System sieht vor, dass in der Regel jener Staat für einen Flüchtling zuständig ist, in dem er zuerst den Boden der EU betritt. ‚Nach der Theorie‘ dürfe deshalb nie ein Flüchtling in Deutschland ankommen, so die deutsche Regierungschefin. Das entspreche aber ‚nicht der Realität‘. Mit anderen Worten: Das europäische Asylrecht wird seit Jahren unzureichend durchgesetzt, offiziell bestätigt von der Kanzlerin.“
2. Kernkraftwerke

„Wir wollen eine Energiepolitik, die eben nicht Kernkraftwerke abschaltet, wenn sie noch bestens geeignet sind und Strom liefern, sondern die diesen Ausstieg aus der Kernenergie stoppt, meine Damen und Herren.“


In einem Pressestatement vom 14. März 2011 hörte sich das dann so an:
„Es war und es ist kein leeres Wort, wenn ich sage: Wir können nicht einfach zur Tagesordnung übergehen und die bisherige unbestrittene Sicherheit unserer kerntechnischen Anlagen zum Maßstab auch des künftigen Handelns machen, ohne dass wir infolge der jüngsten Ereignisse einmal innehalten.“ Fünf Monate nach der im Oktober 2010 erfolgten Laufzeitverlängerung deutscher Kernkraftwerke legten die Regierungsfraktionen den Entwurf eines Dreizehnten Gesetzes zur Änderung des Atomgesetzes vor, das am 31. Juli 2011 vom Bundestag verabschiedet wurde. Danach wird das letzte KKW mit Ablauf des 31. Dezember 2022 seinen Betrieb einstellen.
3. Internationale Initiative zur Sicherheit von KKW

Die „Welt“ am 15. März 2011: „Die Sicherheit hat in allen Betrachtungen Vorrang“, sagte Merkel. Auch auf europäischer Ebene will sie sich für höhere Sicherheitsstandards von Kernkraftwerken einsetzen. Zusammen mit Frankreichs Staatspräsident Nicolas Sarkozy werde sie zudem beim nächsten G-20-Treffen eine entsprechende internationale Initiative starten.


Das „nächste G-20-Treffen“ fand am 3. und 4. November 2011 in Cannes statt. Von der angekündigten Initiative war weit und breit nichts zu sehen, obwohl Merkel und Sarkozy an dem Treffen teilnahmen. Wikipedia bezeichnete übereinstimmend auf Englisch, Französisch und Spanisch(eine deutsche Fassung gibt es nicht) sechs Schwerpunkte der Tagung, zu denen „höhere Sicherheitsstandards von Kernkraftwerken“ nicht gehörten. Von einer internationalen Initiative war nirgends die Rede.
4. Kein Atomstrom aus anderen Ländern

Regierungserklärung vom 17. März 2011:


„Ja, es bleibt wahr: Wir wissen, wie sicher unsere Kernkraftwerke sind. Sie gehören zu den weltweit sichersten, und ich lehne es auch weiterhin ab, zwar die Kernkraftwerke in Deutschland abzuschalten, aber dann Strom aus Kernkraftwerken anderer Länder zu beziehen. Das ist mit mir nicht zu machen.“


Nun kann sich eine Bundeskanzlerin natürlich nicht um jede Kleinigkeit kümmern. Und so ist ihr vermutlich entgangen, dass die Wirtschaftswoche am 2. Januar 2015 meldete: „Atomstrom-Importe aus Frankreich erreichen Rekordhoch“. Und: „Deutschland ist seit Jahren einer der Hauptabnehmer für französischen Atomstrom“.

5. Eurobonds

Solange ich am Leben bin“ werde es Euro-Bonds als gemeinschaftliche Haftung für Schulden von EU-Ländern nicht geben, hatte Merkel in einem Treffen mit der FDP-Fraktion 2012 gesagt. Das sollte flapsig und locker klingen und brachte ihr bei der FDP Wünsche für „ein langes Leben“ ein. Im Ausland dagegen wurde der Spruch in der Politik und an den Märkten flugs mit „only over my dead body“ übersetzt – und als Beleg für Deutschlands Halsstarrigkeit gewertet.


In der Regierungserklärung vom 27. Juni 2012 hieß es nüchterner, aber ebenso unmissverständlich: „Ganz abgesehen davon, dass Instrumente wie Euro-Bonds, Euro-Bills, Schuldentilgungsfonds und vieles mehr in Deutschland schon verfassungsrechtlich nicht gehen, halte ich sie auch ökonomisch für falsch und kontraproduktiv.“


In Wirklichkeit haftet Deutschland längst für Beträge, „die ein vielfaches des Bundeshaushaltes ausmachen.“ Mit den Euro-Bonds verhält es sich wie mit der Maut gegenüber der Infrastrukturabgabe: Etikettenschwindel, denn das Ankaufprogramm der EZB für Staatsanleihen ist nichts anderes. „Wenn einer der 19 Euro-Staaten zahlungsunfähig wäre“, schrieb der Wirtschaftsjournalist Wolfgang Kaden in der Welt vom 24. Oktober 2018 (sowie ausführlicher in der November-Ausgabe des Wirtschaftsmagazins „Bilanz“), „bekäme die Zentralbank nichts mehr für dessen Staatsanleihen. Deutschland wäre mit seinem Kapitalanteil am Verlust der Euro-Bank beteiligt. Und das sind immerhin 25,6 Prozent“ – von derzeit maximal 2.600 Milliarden Euro. Außerdem haftet die Bundesrepublik aus den so genannten Target-Salden derzeit für rund 950 Milliarden Euro.
6. No-Spy-Abkommen

Regierungspressekonferenz vom 14. August 2013: „

Außerdem ist geplant, mit den Vereinigten Staaten ein sogenanntes No-Spy-Abkommen zu schließen. Diese Vereinbarung soll festhalten, dass sich die USA und Deutschland gegenseitig weder ausspähen noch ausspionieren noch das jeweilige nationale Recht verletzen. Die mündliche Zusage dazu, ein solches Abkommen abzuschließen, liegt von amerikanischer Seite schon vor.“


Süddeutsche Zeitung vom 27. Mai 2015: „Die Bundesregierung wusste im August 2013, dass die US-Regierung keine Zusage zu einem No-Spy-Abkommen gegeben hatte. Trotzdem ließ die Bundeskanzlerin ihren Sprecher das Gegenteil behaupten. Ein jetzt aufgetauchter Aktenvermerk beweist, dass Bundeskanzlerin Merkel über den Stand der Dinge informiert war.“
7. Keine PKW-Maut

Im TV-Duell mit Peer Steinbrück am 1. September 2013, 20.29 Uhr im ZDF: „Mit mir wird es keine Pkw-Maut geben.“


Am 1. September 2014, auf den Tag genau ein Jahr nach dem Kandidaten-Duell, sprach sie ein Machtwort: „Um es ganz klar zu sagen: Die Maut steht im Koalitionsvertrag, und sie wird kommen.“ Im März 2015 stimmte der Bundestag und am 8. Mai der Bundesrat dem Gesetz zu. Allerdings könnte Merkel behaupten, sie habe ihr Versprechen dennoch gehalten; denn die Maut heißt jetzt „Infrastrukturabgabe“.
8. Klärung durch die „Geistlichkeit des Islam“

Regierungserklärung vom 15. Januar 2015:


„Die Menschen fragen mich, welcher Islam gemeint ist, wenn ich diesen Gedanken [den bekannten Wulff-Satz] zitiere. Sie wollen wissen, warum Terroristen den Wert eines Menschenlebens so gering schätzen und ihre Untaten stets mit ihrem Glauben verbinden. Sie fragen, wie man dem wieder und wieder gehörten Satz noch folgen kann, dass Mörder, die sich für ihre Taten auf den Islam berufen, nichts mit dem Islam zu tun haben sollen. Ich sage ausdrücklich: Das sind berechtigte Fragen. Ich halte eine Klärung dieser Fragen durch die Geistlichkeit des Islam für wichtig, und ich halte sie für dringlich. Ihr kann nicht länger ausgewichen werden.“



Bitte melden, wer etwas über die Klärung dieser Fragen weiß.
9. Abschiebungsoffensive

„Wir brauchen bei Rückführungen eine nationale Kraftanstrengung“, forderte Angela Merkel auf dem Deutschlandtag der JU am 14. bis 16. Oktober 2016 in Paderborn. Ihr Flüchtlingskoordinator Peter Altmaier (CDU) sekundierte im Februar 2017: „2016 wurden etwa 700.000 Asylanträge entschieden und davon fast 300.000 abgelehnt. Diese Personen wollen wir zügig zurückführen, sonst leidet die Glaubwürdigkeit unseres Rechtsstaates.“


„Von Merkels Abschiebungsoffensive fehlt jede Spur“, titelte die „Welt“ am 8. Juni 2017. Und Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble warnte im Interview mit WELT AM SONNTAG am 23. September 2018 davor, „allzu stark die Hoffnung“ zu „schüren, dass wir die Großzahl“ der Nicht-Bleibeberechtigten zurückführen können. Die Politik solle „klarmachen, wie schwer es ist, im Einzelfall abzuschieben“ und „alle Kraft dafür aufbringen, sie in unsere Gesellschaft zu integrieren“.


Wenn man diese (unvollständige) Aneinanderreihung von Versprechen auf sich wirken lässt, drängt sich einem, oder jedenfalls mir, der Eindruck dessen auf, was Angela Merkel im Gespräch mit Günter Gaus 1991 so formuliert hat: „ansonsten war es auch 70 Prozent Opportunismus“. Sie ist sich also treu geblieben.


Diese leeren Versprechen der deutschen Bundeskanzlerin reichten unter normalen Umständen gleich für mehrere Rücktritte. Doch dieser Begriff kommt in Merkels Vokabular nicht vor. Und die von ihr geführte CDU befindet sich in einem derart erbärmlichen Zustand, dass die normale Wahl eines neuen Fraktionsvorsitzenden schon wie ein heroischer Akt gewertet wird. Angela Merkel wird als die Kanzlerin in die Geschichte eingehen, die Deutschland mehr geschadet hat, als irgendeiner ihrer sieben Vorgänger.

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