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    Deutschlandfunk Kultur: Flüchtlinge aus Gambia in Oberschwaben„Die werden behandelt wie alle anderen auch“

    Flüchtlinge aus Gambia in Oberschwaben„Die werden behandelt wie alle anderen auch“


    Lamin arbeitet im Frisörsalon. (Deutschlandradio / Ellen Häring)

    Als Ende 2014 Flüchtlinge in ganz Deutschland verteilt wurden, kamen 24 Gambier ins schwäbische Oberzell. Nach kurzer Zeit hatten fast alle Arbeit. Vor einem Jahr waren die Männer zuversichtlich. Aber bis heute hat keiner Asyl bekommen. Können sie bleiben?


    Moussa hört gerne Reggae. Seine Nachbarn in Oberzell eher Blasmusik, zumal jetzt im Sommer beim alljährlichen Volksfest. Moussa findet: das passt schon. Der 22-Jährige steht am Herd zuhause in der Küche. Ganz wichtig: in seiner Küche.

    „Dieses Essen kommt aus Gambia. Ich habe Kartoffeln gemacht und Fisch, ein bisschen Tomate aus der Dose, Zwiebeln und Reis.“


    Moussa ist einer von 24 Gambiern, die Ende 2014 nach Oberzell gekommen sind, weil der Verteilungsschlüssel für Flüchtlinge das so vorgesehen hat. Zuerst war er im Asylheim, ohne Arbeit, ohne Hoffnung, nicht einmal lesen und schreiben konnte er. Heute hat er einen Job, eine eigene Wohnung und zahlt Steuern. Unterstützung vom Staat bekommt er schon lange nicht mehr.

    „Ich bin in Deutschland seit zweieinhalb Jahren. Ich gehe schaffen jeden Tag.“
    Moussa zeigt stolz sein Wohnzimmer, das er mit einem Mitbewohner teilt. Sitzgarnitur, Sofatisch, Fernseher.


    „Ich habe diese Möbel alle gekauft in Ebay. Mit Claudia, sie hilft mir so viel. Ich bin sehr, sehr glücklich mit Claudia.“

    Moussa kocht nach seinem Feierabend in seiner eigenen Küche. (Deutschlandradio / Ellen Häring)
    Claudia Petretti ist die gute Seele der Gambier in Oberzell, aber sie ist nicht allein. Ein aktiver Helferkreis hat geschafft, was man gut und gerne als kleines Wunder bezeichnen kann: 19 von 24 Gambiern arbeiten in Vollbeschäftigung, sind sozialversichert und steuerpflichtig. Die anderen fünf gehen zur Schule. Das ist eine Vermittlungsquote auf den ersten Arbeitsmarkt, wie es im Amtsdeutsch heißt, von 80 Prozent. Dabei sind praktisch alle Vermittelten nach deutschen Maßstäben sogenannte Ungelernte.

    Wo bitte liegt Gambia?

    Claudia Petretti, Mitte 40, Frisörmeisterin, lacht heute, wenn sie an die Anfänge denkt. Ende 2014 erfahren die Oberzeller, dass zu ihnen ins Dorf Flüchtlinge kommen sollen. Die Aufregung ist groß. Wer kommt da? Erst drei Wochen vorher ist dann klar: es sind Afrikaner. Lauter junge Männer. Sie kommen aus Gambia.
    „Ehrlich gesagt, ich wusste nicht, wo Gambia liegt, ich musste erstmal nachgucken, wir haben uns dann eingelesen und dann waren es eben diese Schwarzafrikaner, die zu uns kommen. Wir wussten natürlich alle nicht, was kommt auf uns zu, wie sind die Kerle drauf, sind sie kriminell? Das ist ja immer das Erste. Dann haben sie eine schwarze Haut. Das ist natürlich sehr befremdlich.“

    Bald wissen die Belesenen unter den Oberzellern, dass Gambia ein winziger Staat in Westafrika ist, zwei Millionen Einwohner, mehrheitlich Muslime, ehemals britische Kolonie. Und dass es auf der Karte aussieht, als hätte sich Gambia vom Atlantik aus in den Senegal hineingeschlängelt. Dass es Hinrichtungen gibt, dass Homosexuelle getötet werden und die Armut so groß ist, dass Menschen verhungern. Ihr Wissen tragen sie in Oberzell bei den Bürgerversammlungen vor. Da geht es heiß her. Warum zu uns? Warum so viele? Könnte man die nicht irgendwo anders unterbringen? Aber es hilft nichts. Eines Tages sind die Gambier da. Es ist November.


    „Dann kamen die, dann hat man da ein Fest organisiert, ein Willkommensfest, dann kamen die da mit Flip-Flops und kurzen Hosen und wir waren hin- und hergerissen. Emotional war das echt brutal, weil wir sowas doch noch gar nie miterlebt haben. Das ging dann so zwei Stunden, da haben dann die Kinder vom Flötenverein, die haben dann geflötet. Das war doch für die Männer auch etwas ganz Neues. Es war doch eine tolle Erinnerung, muss ich sagen.“

    Irgendetwas ist dann passiert. Die jungen Männer in ihren kurzen Hosen mitten im Winter haben die Oberzeller gerührt. Und dann die Begegnung. Dieses Sich-Sehen, Sich-Mustern, die Hand reichen, schließlich das gemeinsame Lachen. Das Eis war gebrochen.


    „Wir haben Schuhe gekauft für die jungen Männer und dann haben die Oberzeller – also das war gigantisch, da muss ich echt sagen, es ist ein tolles Dorf – die haben so viel gespendet, wir hatten einen Raum voller Klamotten, Jacken, Schuhe, Hosen, Sweat-Shirts, also das war unwahrscheinlich, was da an Spenden gekommen ist.“



    Seither geht es für die Gambier in Oberzell eigentlich nur bergauf. Und das, obwohl ihr Asylverfahren noch nicht abgeschlossen ist und die Aussichten auf eine Anerkennung als Flüchtling schlecht sind. Niemand weiß, wie lange sie überhaupt hier bleiben können. Keine guten Voraussetzungen, um sich für einen Job zu bewerben. Aber die Gambier wollten – nachdem sie einigermaßen Deutsch gelernt hatten – unbedingt arbeiten. Die Helfer rund um Claudia Petretti sind dann von Betrieb zu Betrieb gelaufen, haben Gespräche geführt, Überzeugungsarbeit geleistet. Der Ortsvorstand hat sie unterstützt. Und siehe da, es hat funktioniert.

    „Die sind jetzt halt da, die sind schwarz, das passt“

    Die Firma „Malerteam“ in Ravensburg beschäftigt zwei Gambier, Moussa und seinen Mitbewohner Bouba. Rainer Dzialoszynski sitzt in seinem Büro am Computer und teilt gerade ein, wer wann auf welcher Baustelle arbeitet. Er ist Abteilungsleiter für Maler und Bodenleger und betreut die beiden.

    „Wir sind zufrieden mit ihnen, muss man sagen. Sie arbeiten gut, sie sind immer da, auch das Zwischenmenschliche, also man hat keine Probleme mit ihnen, auch die Mitarbeiter nicht, also wir sind zufrieden. Die sind bei den Malern tätig, Maler und Bodenleger, und die machen die ganz normalen Arbeiten wie die anderen auch. Wir versuchen die – in Anführungszeichen – wie Lehrlinge zu behandeln, das heißt, einzulernen in Arbeiten, so dass sie auch immer besser selbstständig arbeiten können.“


    Wie ist die Situation ein Jahr später, im September 2018? „Die Männer werden dringend gebraucht, sind super integriert, versorgen sich selbst und zahlen Steuern. Es sind die idealen Kandidaten für einen ‚Spurwechsel‘. Warum will der deutsche Staat die wegschicken?“ Das gesamte Interview von Ellen Häring mit Claudia Petretti können Sie hier nachhören:






    Seit eineinhalb Jahren sind Moussa und Bouba beim Malerteam. Arbeitsbeginn ist 6:45 Uhr, die beiden müssen früh aufstehen, sie kommen von Oberzell mit dem Rad oder dem Bus, eine gute halbe Stunde Weg.


    Natürlich war da Mitgefühl, aber es gab auch ganz pragmatische Gründe, als die Geschäftsleitung Ja sagte zu der Anfrage des Helferkreises Oberzell. Die Arbeitslosenquote liegt in der Gegend unter drei Prozent, das ist praktisch nichts. Die Handwerksbetriebe in Oberschwaben suchen händeringend Arbeitskräfte, auch ungelernte. Sofern sie arbeiten wollen. Dass Moussa und Bouba hochmotiviert sind, das zeigte sich schon in der Probezeit. Rainer Dzialoszynski hat kein großes Tamtam veranstaltet, als die beiden dann ins Team kamen. Er hat alles so gemacht wie immer.


    „Wenn jemand neuer eingestellt wird oder kommt, dann sagt man den Leuten, die und die kommen, das sind jetzt zwei Flüchtlinge. Klar, da muss man ein bisschen sensibilisieren auf das Thema, aber mehr oder weniger werden sie behandelt wie alle anderen auch. Das heißt mit allen Vorteilen, aber auch mit allen Nachteilen. Die haben hier keine Sonderbehandlung, dass man sie mit Watte anfasst, sondern die werden behandelt wie alle anderen auch. Die sind halt da, die sind schwarz, das ist nicht mehr wie früher, das passt.“


    Heute Morgen fahren Moussa und Bouba zu unterschiedlichen Baustellen zusammen mit ihren Kollegen im Dienstwagen. Moussa arbeitet heute in Eriskirch am Bodensee, eine halbe Stunde von Ravensburg entfernt.
    „Wir haben die Handwerksbetriebe gestalkt“

    Auf dem Weg zu Moussas Arbeitsstelle geht es vorbei an Obstplantagen, Hopfenreben und Sonnenblumenfeldern. Alles sauber, alles satt. Claudia Petretti gesteht, dass sie und die anderen Helfer aufdringlich waren, dass sie die Handwerksbetriebe der Umgebung penetrant bearbeitet haben. „Gestalkt“, sagt sie und lacht. Außerdem hat die Frisörin mit eigenem Laden ein gutes Argument auf ihrer Seite.


    „Ich habe natürlich auch selber einen jungen Gambier bei mir im Betrieb eingestellt, der kocht Kaffee, der wäscht super Haare, der macht alles so drumherum. Und so hab ich dann geworben.“



    Das Arbeitsamt war keine Hilfe. Auch die immensen bürokratischen Hürden, die man überwinden muss, um für Asylbewerber eine Arbeitserlaubnis zu bekommen, hat der Helferkreis allein genommen.


    Wir sind angekommen. Moussas Baustelle ist ein Einfamilienhaus am Bodensee. Er kniet im ersten Stock auf dem Boden des Wohnzimmers und verlegt Platten. Nebenan ist der Vorarbeiter, im Radio dudeln die Hits der 80-ger Jahre.
    Moussas Gesicht, seine Haare sind staubbedeckt. Er wischt einmal drüber und geht hinunter auf die Terrasse, macht eine kurze Pause. Der Garten ist akkurat gepflegt, die Sonne küsst die Seerosen auf dem Teich.
    Schwäbische Idylle hilft beim Vergessen

    Das Haus ist in allerbestem Zustand. Die grün berankte Terrasse ein idyllischer Rückzugsort. Der Gegensatz zu Moussas Lebensgeschichte könnte nicht größer sein:


    Vor sechs Jahren, Moussa ist gerade 16 geworden, folgt der Junge aus Gambia seinem Vater zum Arbeiten nach Libyen. In Gambia hat die Familie kein Auskommen. Nach kurzer Zeit stirbt der Vater in den Kriegswirren. Moussa ist allein in Tripolis.


    „Ich laufe an der Straße entlang, da habe ich einen Afrikaner gesehen….“

    Der Landsmann nimmt Moussa mit nach Hause und am nächsten Tag mit auf die Baustelle, auf der er arbeitet.


    „Wir gehen arbeiten zwei, drei Tage, dann kommt die Polizei und sagt: Wo ist euer Ausweis, wo ist die Arbeitserlaubnis? Dann nimmt und die Polizei uns mit und steckt uns ins Gefängnis.“


    Das Gefängnis in Tripolis ist berüchtigt. Es ist eine Folterkammer. Moussa lebt mit 15 Häftlingen in einer Zelle, er schuftet und wird jeden Tag grün und blau geschlagen. Nur wer Geld hat, kann sich frei kaufen. Moussa hat kein Geld und seine Familie kann auch nichts schicken. Im Gegenteil. Die Mutter wartet auf Geld aus Libyen. Nach acht Monaten lässt man Moussa gehen.


    „Seit ich aus diesem Gefängnis raus bin, ist mein Kopf kaputt. Ich habe so viel gesehen, so viel Scheiße gesehen.“


    Moussa arbeitet wieder auf einer Baustelle, dieses Mal privat, aber die Hausherren sind Schlepper. Statt seines Lohnes bietet ihm das Ehepaar die Überfahrt nach Italien an – in einem überfüllten Schlauchboot.


    „Zwei Tage im Wasser, ein Tag war schlimm! Es kommt ein großer Fisch, wir haben aber nur ein ganz kleines Boot. Wir waren 150 Passagiere, aber 50 Leute sind tot. Am letzten Tag kommt ein großes Schiff mit italienischer Flagge. Die Leute haben zu uns gesagt: woher kommen Sie? Wir haben gesagt, wir kommen aus Libyen. Dann haben sie gesagt: Wir sind aus Italien, wir kommen zum Helfen. Da haben wir gesagt: das ist gut. Dankeschön.“


    Das nächste Ziel heißt Lampedusa. Dann Sizilien. Italien. Irgendwann Deutschland. Bodensee. Oberzell.


    Unter dem Sonnenschirm im üppigen Garten versteht man langsam, dass der junge Mann nur eines will: vergessen. Ein ganz normales Leben führen. Und der Mama in Gambia helfen.
    Gärtner, Frisör, Dachdecker – Jobs für alle

    Abends Besuch im Asylheim Oberzell. 13 Flüchtlinge leben hier noch. Die meisten könnten von ihrem Lohn eine eigene Wohnung bezahlen, aber sie finden keine. Omar führt durch das in die Jahre gekommene Gebäude eines Tennisvereins.
    „Hier gibt es einen Platz, wo wir sitzen können. Wenn du WLAN brauchst, dann hast du hier eine gute Connection, dann kannst du ab und zu mit der Familie reden mit Handy.“


    Die Männer sitzen an diesem Abend lieber draußen, hören Musik und unterhalten sich in ihrer Muttersprache Mandinka. Omar arbeitet bei einem Dachdecker, Demba als Lagerist, Hamsa als Gärtner, Lamin beim Frisör, Aladji im Obstbau. Auch Bouba, Moussas Mitbewohner, ist zu Besuch. Er arbeitet unter der Woche bei der Malerfirma und am Wochenende legt er manchmal als DJ in einem Ravensburger Club auf. Reggae, Dancehall und Hip-Hop. Wenn Bouba auflegt, kommen sie alle. Auch die Deutschen. Sie schwärmen von der Big Party.

    Aladji mit Handy – Bilder für die Familie in Gambia (Deutschlandradio / Ellen Häring)
    Unter einem Vordach stapeln sich Räder. Dahinter grenzen weiße Containeranbauten direkt an rote Tennisplätze. Hier leben die Männer. Immer zwei teilen sich ein Zimmer. Tisch, Bett, Schrank. Früher, als noch 24 Gambier hier lebten, mussten sie zu dritt in einem Zimmer wohnen.


    In Oberzell erweist es sich als Vorteil, dass alle Flüchtlinge aus demselben Land kommen. Das finden die Gambier gut, das finden auch die Oberzeller gut. Die Männer unterstützen sich gegenseitig, auch in schwierigen Situationen, wenn mal einer abzustürzen droht.


    „Wir sind alle aus Gambia, wir müssen zusammenhalten wie eine Familie. Du siehst deinen Kollegen wie deinen Bruder, er hat ja keine Familie hier, keine Mama, keinen Papa, keinen Bruder, keine Schwester. Du musst die Leute hier sehen wie deine Familie.“

    Die gambische Familie kocht gerne. Die Küche im Asylheim ist riesig und schmuddelig, der durchschnittliche Oberzeller würde vermutlich sofort ein Putzkommando durchschicken. Der durchschnittliche deutsche WG-Bewohner Mitte Zwanzig hingegen würde sich bestimmt gleich heimisch fühlen.

    Sardellen versus Spätzle

    Später zuhause auf dem Wohnzimmersofa erzählt Claudia Petretti, wie die Vorstellungen der Oberzeller und die der Gambier gelegentlich aufeinanderprallen.
    „Ach ja, die Essgewohnheiten sind halt die, dass die abends um zehn anfangen zu kochen, dann machen sie Bahal, Reis mit Sardellen und Nuss, und dann kocht das zwei Stunden und dann fangen die an mit den Händen zu essen.“



    Natürlich dauert es nicht lange bis die Oberzeller Helfer zu einer solchen Mahlzeit eingeladen werden. Das bleibt nicht ohne Folgen.


    „Für die Helferinnen war das ein Problem, warum die keine Karotten essen, kein Brokkoli. Die wollten denen unsere Eßkultur aufdrängen, quasi. Und dann hat eine mal gesagt, ich bring euch das schwäbische Kochen bei. Und die Kerle wollten das gar nicht. Aber die waren dann schon so anständig, dass sie gesagt haben, ja, du kommst mal und dann kochen wir mal schwäbisch. Also, die waren dann schon auch so tolerant, aber die kochen deshalb natürlich nicht schwäbisch!“

    Dass die Gambier keine Spätzle essen wollen, Bratwurst verschmähen und auch kein Bier trinken, das muss ein Oberschwabe erstmal verarbeiten. Es hat gedauert, aber es hat geklappt.



    „Man darf nicht vergessen, es sind zwei verschiedene Kulturen. Und meiner Meinung nach muss man Integration so machen, dass die sich nicht überrumpelt fühlen. Man muss das halt ein bisschen pädagogisch machen diese Geschichte, ob das jetzt mit dem Putzen ist oder mit der Mülltrennung. Mit gefällt das auch ein stückweit. Man lernt ja auch so viel von diesen jungen Männern. Die freuen sich an einem Teller Reis, Bahal. Und wir? Uns geht es einfach viel zu gut.“
    Auch die Nachbarn helfen mit

    In Bavendorf, einem Nachbarort, hat Claudia Petretti ihren Frisiersalon, außerdem ist dort das Kompetenzzentrum Obstbau Bodensee, ein Forschungs- und Versuchslabor für die in der Bodenseeregion kultivierten Obstsorten. Es war naheliegend, dass die umtriebige Helferin bei der Suche nach Arbeitsstellen für die Gambier auch bei den Nachbarn vorbeischaute.

    Ausbilder Thomas Kininger (Deutschlandradio / Ellen Häring)
    Zwei der Gambier sortieren hier inzwischen Äpfel, binden Birnbäume und legen Beete an. Betriebsleiter und Ausbilder Thomas Kininger steigt herab von seinem hellblauen Traktor, einem Oldtimer. Er ist zufrieden. Es läuft gut – inzwischen.


    „Die, die wir haben, sind fleißig, die schaffen ihre Arbeit, das ist okay. Wo es etwas hängt, am Anfang, wenn sie jetzt zum Arzt mussten oder so, dann haben sie sich nicht gemeldet und dann waren die halt plötzlich nicht da. Da fehlt so etwas die deutsche Mentalität. Aber das haben wir denen jetzt beigebracht und jetzt funktioniert's, jetzt melden sie sich, wenn es was gibt, und das ist okay. Aber das hat am Anfang ein bisschen gefehlt.“


    Thomas Kininger kommt mit seiner direkten Art gut an. Außerdem hat der Betrieb, der als gemeinnützige Stiftung organisiert ist, von jeher eine gewisse soziale Verantwortung übernommen. Da war es klar, dass auch die Flüchtlinge Unterstützung bekommen.

    Für Thomas Kininger war es klar, auch Flüchtlinge zu unterstützen. (Deutschlandradio / Ellen Häring )
    „Unser Leiter, der Dr. Büchele, hat gesagt, Thomas hat er gesagt, wenn wir Arbeiten haben, die die machen können, dann sollten wir die nehmen, die haben sicher einen Arbeitsbedarf, damit die dann auch versorgt sind. Weil die wohnen ja in unserer Gemeinde, wir sind ja mehr oder weniger verantwortlich für die Leut‘, und wenn die dann nur auf der Straße stehen und nicht integriert werden, dann haben wir ja auch nichts davon. Dann haben wir gesagt, gut, wir helfen denen, dass die was zu tun haben, dass die nicht depressiv werden oder sowas, dann kriegen die was zum Schaffen.“


    Dr. Büchele, der Direktor des Kompetenzzentrums Obstbau Bodensee, sitzt im ersten Stock in seinem Büro und guckt soweit sein Auge reicht auf grüne Apfelplantagen. Er ist derjenige, der sich mit der Bürokratie auseinandersetzen muss, wenn er beschließt, dass jetzt Flüchtlinge einen Job bekommen sollen. Keine beneidenswerte Aufgabe.


    „Da war die erste Problematik, dass die Flüchtlinge zunächst mal nur für einen Euro pro Stunde arbeiten dürfen, das ist das Übliche für Sozialhilfeempfänger. Und das ist denen schwer beizubringen, sie vergleichen natürlich, ich bekomme einen Euro und die anderen bekommen Mindestlohn – warum ich nicht?“


    Erst nach einigen Monaten, nachdem die Ausländerbehörde zugestimmt und nachdem festgestellt und geprüft ist, dass kein Deutscher und kein EU-Ausländer und kein anderer, bevorzugter Ausländer diese Arbeit machen möchte, darf Manfred Büchele die Flüchtlinge zum Mindestlohn beschäftigen. Jetzt gibt es keine Hilfe vom Staat mehr, stattdessen kassiert der Staat jetzt Steuern und Abgaben von den Flüchtlingen. Auch das war erklärungsbedürftig. Aber verstanden haben es am Ende alle.


    „Ich denke, das ist doch in jedem Menschen irgendwo drin, dass er arbeiten möchte, um für sich selber zu sorgen. Für den Arbeitgeber hier, also für uns, ist das eine gute Hilfe. Wir könnten uns auch vorstellen, den einen oder anderen auszubilden, so es mit der Sprache klappt und der Aufenthaltsgenehmigung. Aber als Auszubildender bekomme ich ja nicht den Arbeitslohn, den ich im Mindestlohn bekommen, sondern da ist ein Lehrlingsgehalt angesagt. Und das hält viele noch zurück.“


    Ob Ausbildung oder nicht, am Ende möchte Manfred Büchele einfach, dass die Jungs etwas lernen, das sie in ihrem weiteren Leben gebrauchen können.
    ABC-Lernen wie ein Erstklässler

    Moussa gehört zu denen, die gerne eine Ausbildung machen würden. Als Maler. Dann könnte er für die Zeit seiner Ausbildung eine Duldung bekommen und wäre vor Abschiebung sicher. Aber der Weg dorthin ist schwer. Er hat in Gambia weder Lesen noch Schreiben gelernt und übt nun nach der Arbeit mit einem pensionierten Lehrer aus dem Helferkreis das ABC.


    Auf dem Tisch im Wohnzimmer liegt eine bunte Tabelle mit Buchstaben und den dazu passenden Bildern, es ist Unterrichtsmaterial für Erstklässler. Was die Praxis anbelangt – da könnte Moussa auf alle Fälle mithalten. Aber in der Berufsschule wird mehr verlangt. Lesen, Schreiben und Rechnen muss Moussa lernen. Und das wird er wohl auch, denn er ist hoch motiviert.


    „Das ist der beste Lehrer! Ich habe so, so viel mit ihm gelernt.“
    Im Frisiersalon von Claudia Petretti arbeitet Lamin – er ist noch nicht so lange hier wie die anderen Gambier, aber er weiß, was er will. Als Friseur will er arbeiten. Vorerst aber muss er sich mit Hilfstätigkeiten begnügen. Kaffee bringen, Haare waschen. Parallel geht er zur Schule.


    Am Becken beugt sich Lamin mit seinen Dreadlocks über eine grauhaarige Kundin und shampooniert ihren Kopf. Die schließt die Augen und genießt die Entspannung. Es ist Freitagnachmittag. Lamin wird nicht viel gefragt, er ist jetzt halt einfach da. Aber manche Fragen stehen trotzdem im Raum. Gambia ist so ein kleines Land, warum geht ihr alle weg?


    „Die Lebensbedingungen sind schlecht, die Mehrheit hat keine Arbeit und keine Freiheit. Deshalb wollen alle weg. Sie haben keine Chance auf ein anständiges Leben. Aber es ist doch klar, dass die Menschen, die ihr Land verlassen, es nur deshalb tun, weil sie dort nicht Überleben können. Wenn sie Zuhause eine Chance hätten, dann würden sie doch nicht gehen. Es gibt keinen besseren Ort als die Heimat.“

    Porträt von Lamin (Deutschlandradio / Ellen Häring)
    Lamin wickelt ein Handtuch um den Kopf der Kundin, den nächsten Schritt, das Schneiden, darf er nicht erledigen. Das machen andere.
    „In einem anderen Land musst du dich anpassen“

    Lamin ist Moslem, so wie die meisten Gambier. Er trinkt nicht und isst kein Schweinefleisch. Aber sonst ist er für alles offen.


    „Wenn du in einem anderen Land lebst, dann musst du nicht gleich deine ganze Kultur aufgeben, aber du musst dich anpassen. Du musst gucken, wie die anderen leben und dem auch folgen. Du kannst nicht deine Kultur einfach in ein anderes Land übertragen. Das wäre schwierig.“


    Integration, das ist das große Wort für das, was Lamin gerade erlebt. Im Englischen fühlt er sich immer noch wohler als im Deutschen, sein Freundeskreis ist überwiegend afrikanisch und Lamin isst lieber Reis mit Sardellen als Spätzle. Und dennoch ist er viel besser angekommen als manch anderer. Den nächsten Schritt hat er klar vor Augen. Er will eine Ausbildung zum Friseur machen.


    „Deshalb gehe ich ja zur Schule, wenn ich zur Schule gehe, dann kann ich hoffentlich demnächst eine Ausbildung anfangen. Und das will ich unbedingt, ich will professioneller Frisör werden. Und meine Chefin unterstützt mich, also es kann schon sein, dass mein Traum in Erfüllung geht.“


    Am Wochenende fahren die Gambier nach Ravensburg, es ist Rutenfest und ein großer Rummel ist in der Stadt. Bier fließt in Strömen, das kollektive Trinken gehört zu dem Volksfest wie die Soße zu den Spätzle. Lamin trifft Aladji, der mit ihm im Asylheim wohnt und auf der Apfelplantage arbeitet.


    Wie auf Bestellung spielt im Biergarten jetzt der Musikverein Oberzell, die beiden gehen hinein und trinken – ein Wasser. Sie sind weit und breit die einzigen, die nicht vor einem Maßkrug sitzen. Die nicht mitschunkeln. Und trotzdem: sie sind da.
    Im Riesenrad die Lage von oben betrachten

    Aladji im Riesenrad (Deutschlandradio / Ellen Häring)
    Lachend und staunend drängeln sich die beiden später zwischen die Besucher auf dem Rummelplatz, es geht vorbei an der Geisterbahn, dem Schützenhaus, dem Wellenflug. Die Einladung Riesenrad zu fahren, nehmen sie entzückt an.

    Es geht hoch hinaus, unten liegt das schmuck herausgeputzte Städtchen, die Wälder, die Wiesen, die Obstplantagen. Beide greifen begeistert zu ihrem Handy, das muss auch die Familie in Gambia sehen! Ihre neue Heimat von oben. Aber ist das, was sie da sehen, wirklich Heimat?


    „Meine erste Heimat ist natürlich Gambia, aber meine zweite Heimat ist Oberzell. Ich finde es toll, hier zu leben, ich habe sehr gute Erfahrungen in Ravensburg gemacht, nirgendwo sonst in Europa habe ich mich so wohl gefühlt. Hieran glaube ich.“


    „Heimat ist der Ort, den du nie vergisst. Egal, wo du bist, du wirst dich immer an deine Heimat erinnern. Da sind deine Wurzeln. Wenn ich an die Zukunft denke, dann werde ich mich sicher hier Zuhause fühlen. Eigentlich ist es jetzt schon so: ich fühle mich zuhause.“Lamin und Aladji auf dem Ravensburger Rutenfest (Deutschlandradio / Ellen Häring

    https://www.deutschlandfunkkultur.de...icle_id=428695
    Es ist dem Untertanen untersagt, den Maßstab seiner beschränkten Einsicht an die Handlungen der Obrigkeit anzulegen.
    Gustav von Rochow (1792 - 1847), preußischer Innenminister und Staatsminister

  2. #2
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    AW: Deutschlandfunk Kultur: Flüchtlinge aus Gambia in Oberschwaben„Die werden behandelt wie alle anderen auch“

    Nach kurzer Zeit hatten fast alle Arbeit
    Ein Phänomen! Generationen von Türken und Arabern sind hier arbeitslos und nicht vermittelbar aber Analphabeten aus Afrika haben alle einen Job.
    Alle Texte, die keine Quellenangaben haben, stammen von mir.

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