Syrer wollen arabische Erzählkunst retten

Spandau. Bassam Dawood kann Szenen so lebhaft beschreiben, dass man sie fast vor sich sehen kann. Er erzählt, wie sich in Syrien jeden Donnerstag die Männer in den Cafés versammelten, um einem Hakawati zuzuhören: einem traditionellen syrischen Geschichtenerzähler. Sie tragen, so berichtet es Dawood, Geschichten vor, die immer ein bisschen poetisch sind und so lang, dass es manchmal ein Jahr dauert, sie zu erzählen. "Der Hakawati muss ein guter Schauspieler sein", sagt der Syrer. "Sie arbeiten mit ihrer Körpersprache und Mimik, um die Aufmerksamkeit der Menschen zu bekommen." Jede Woche endete die Geschichte an einem besonders spannenden Punkt. Manchmal so spannend, dass die Leute den Hakawati regelrecht bedrängten, noch ein wenig weiterzuerzählen, sagt Dawood.


Doch die goldenen Zeiten der Erzählkunst sind in Syrien vorbei, spätestens seit der letzte große Hakawati aus Damaskus verstorben sei, sagt Dawood. Mit der Verbreitung von modernen Medien, von Smartphones und sozialen Netzwerken sank das Interesse am Hakawati. Und so hat Bassam Dawood es sich zum Ziel gesetzt, die Erzählkunst am Leben zu halten. "Wir haben eine sehr reiche Kultur, aber die Menschen fangen an, sie zu vergessen", sagt er. Deshalb kämpft er für sie, auch wenn er selbst seit fünf Jahren nicht mehr in Syrien lebt.


Dawood ist in Darʿā im Süden des Landes aufgewachsen. Sein Vater, erinnert sich der 44-Jährige, habe ihm als Jungen immer traditionelle Gedichte vorgelesen. "Er liebte Bücher", sagt Dawood. Er selbst wandte sich zunächst dem Schauspiel zu. Nach seinem Schulabschluss zog er nach Damaskus und studierte dort am "Higher Institute for Dramatic Arts". Später arbeitete er als Schauspieler und Regisseur an Theatern und im Fernsehen und unterrichtete junge Darsteller.

Im Internet erzählt Dawood die Geschichten von Syrern

Dann begann 2011 die Revolution. Er habe sich gegen das Regime engagiert, erzählt Dawood, und 2012 ein Programm auf dem Internet-Radiosender Souriali gestartet, um die Geschichten von Syrern zu erzählen, die von den anderen Medien übersehen werden. "Ich hatte das Gefühl, wir brauchen ein neues Medium für die Menschen in Syrien und dass wir dokumentieren müssen, was passiert."
Über den Libanon und die Türkei kam Dawood mit seiner Frau schließlich nach Berlin, weil die Lage zu unsicher geworden sei. Hier arbeitet er weiter für das Radioprogramm, gibt Workshops für Kinder und widmet sich dem Hakawati. Auch hierfür gibt es Workshops, um anderen Syrern die Erzählkunst näher zu bringen. Und er hat das "Syrian House of Tale" gegründet, um die alten, syrischen Geschichten auch internationalen Zuhörern zu zeigen. Gemeinsam mit Teilnehmern seiner Workshops tritt er in Deutschland und England auf, am liebsten traditionell in Cafés.


Zwischen dem 15. und 30. September wird er in mehreren Spandauer Cafés zu sehen sein. Dort ist er Teil des Festivals "Verlorene Illusionen" von der Jugendtheaterwerkstatt. "In Spandau werde ich meine Geschichte erzählen, warum ich ein Hakawati geworden bin", sagt Dawood. Dabei spricht er auf Arabisch, eine Dolmetscherin übersetzt live. Außerdem begleitet ein Musiker den Auftritt und vier weitere Syrer werden ihre Geschichten erzählen, alle haben bereits Workshops bei Dawood absolviert.

Erzähler wollen über Hakawati ins Gespräch mit Zuhörern kommen

Einer von ihnen ist Khaled Al-Aboud, der seit 2014 in Berlin lebt. Dank "Reporter ohne Grenzen" habe er damals ein Visum für Deutschland bekommen, sagt Al-Aboud. Hier arbeitet er nun beim Projekt "Amal, Berlin", schreibt Reportagen über das Zusammenleben von Alt- und Neuberlinern und erklärt auf Arabisch, was gerade in der Stadt passiert. Seine erste Hakawati-Geschichte sei durch einen Facebookpost inspiriert. "Es ist eine Liebesgeschichte im Krieg", berichtet er.


Sie erzählt von einem Mann, der während einer Schießerei eine SMS an seine Freundin schickt - nur kommt die nicht an, weil das Netz überlastet ist. Erst viel später erreicht sie die Nachricht. Der Mann ist zu diesem Zeitpunkt bereits tot. "Wenn wir die Geschichten nicht erzählen, gehen sie verloren", sagt Al-Aboud, und: "Manchmal kann man Nachrichten am besten über eine persönliche Geschichte vermitteln."


Mit ihren Hakawati-Auftritten in Cafés wollen die Syrer auch zum besseren Verständnis zwischen den Kulturen beitragen und mit Deutschen ins Gespräch kommen. Auch seine Workshops würde Dawood gerne nicht nur für Syrer, sondern auch für Einheimische anbieten. "Ich suche noch einen Partner, der übersetzen kann", sagt er. Auf die Auftritte in den Cafés seien die Reaktionen meist positiv - auch wenn manche der Zuhörer überrascht von den schnellen Stimmungswechseln in den Geschichten seien. "Aber so ist das Leben", sagt Al-Aboud. In seiner Heimat sei in den vergangenen Jahren viel zerstört worden. Trotzdem würden die Syrer versuchen, ihre Lebensfreude nicht zu verlieren. "Man muss weitermachen", meint Al-Aboud, "und im Moment leben."

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