Roger Letsch

Die Scholz-Zitronen

Die gute Morgennachricht am 24. August 2018, die auf allen Sendern an prominenter Stelle beklatscht wurde, war folgende: „Deutschland erzielt Milliardenüberschuss“ – 48,1 Milliarden Euro seien aus den Quellen „gesprudelt”, meldete das Statistische Bundesamt. Überall sind Anstiege in den Einnahmen zu verzeichnen, während die Ausgaben nur mäßig gestiegen seien. Man konnte die Kanzlerin schon fast hören, wie sie irgendwo im Kaukasus flüsterte „Seht ihr, was hab ich euch jesacht: das beste Deutschland, das wir je hatten.“ Man könnte sich als Steuerzahler – der sich mehr als Zitrone fühlt, als dass es quellenartig aus ihm sprudelte – fragen, warum dieser Wohlstand nicht in der eigenen Tasche, sondern im Staatshaushalt zu finden ist, aber Geben soll ja seliger sein als Nehmen – oder, um mit den Worten des ehemaligen Finanzministers Schäuble zu sprechen: „Geld ist nicht alles”.


Der aktuelle Finanzminister Scholz hat die Statistik jedoch offenbar nicht gelesen, denn nur wenige Stunden nach der Botschaft rosiger Staatskassenlage titelt „Spiegel Online“: „Finanzminister Scholz will Rentenbeiträge und Steuern erhöhen“ und beschreibt im Artikel die „möglichen“ Grausamkeiten, zu denen auch eine Mehrwertsteuererhöhung zählt. Natürlich alles für den guten Zweck! Die notleidende Rentenkasse müsse aufgefüllt werden, damit die Rente ab 2025 nicht sinke.


Ich würde jetzt gern einen geistreichen Scherz zum Thema Gerechtigkeit machen, aber da die SPD mit diesem Comedy-Stück schon seit Jahren um die Häuser zieht, fällt mir kein Gag mehr ein, den nicht ein Sozialdemokrat schon vor mir gemacht hätte. Nur soviel und zu Protokoll: Deutschland muss weltweit das einzige Land sein, in dem am selben Tag ein Rekordüberschuss gemeldet und angekündigt wird, seinen Steuerzahlern würde künftig noch tiefer in die Tasche gegriffen, damit es ihnen in Zukunft nicht schlechter geht.


Aus dem Bürger, so lernen wir, wurde im letzten Halbjahr viel herausgeholt (Überschuss) und gleichzeitig ist noch viel mehr herauszuholen (Steuererhöhungen). Das ist einfach zu viel Comedy, liebe SPD. Wer kann sich da das Lachen noch verkneifen? Da bleibt den Bürgern wohl nur die Möglichkeit, euch bei den nächsten Wahlen noch leiser zu stellen.


Die Scholzsche Ankündigung neuer steuerlicher „Notwendigkeiten” konnte sich übrigens nur wenige Minuten On-Top bei SPON halten und rutschte dann weiter hinunter. Es ist wohl selbst den Spiegel-Redakteuren aufgefallen, dass dies keine Gute-Laune-Meldung für einen Tag ist, an dem der Staat erklärt, dass er überraschend einen Topf voller Gold gefunden hat. Im übrigen handelt es sich bei der Meldung lediglich um „Vorschläge” im Finanzministerium. Aber man kennt das Spiel: Wenn die Empörung zu groß wird, kann man in aller Ruhe zurückrudern. Bleibt die Empörung klein: Feuer frei! Vielleicht steigt die Empörung ja noch an und es wird vorerst keine Steuererhöhung geben. Nur sollte der Bürger vor lauter Erleichterung nicht vergessen, nach den 48 Milliarden Euro Überschuss zu fragen, die ihm ja offensichtlich bereits weggenommen wurden. Denn der Staat mag in der Selbstwahrnehmung ja gut gewirtschaftet haben, erwirtschaftet hat er rein gar nichts.

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