Gerechtigkeit
Muslimische Frauen erzählen, was sie bei der Jobsuche erleben

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"Können Sie das Kopftuch nicht nach der Arbeit aufsetzen?"
Hatice Kahraman





Zahlreiche Studien belegen: Menschen mit Migrationshintergrund werden aufgrund ihrer Herkunft und Religionszugehörigkeit bei der Jobsuche benachteiligt (Spiegel Online).


Besonders Frauen mit Kopftuch erfahren im Bewerbungsprozess Diskriminierung: Sie müssen für eine Einladung zum Bewerbungsgespräch mehr als vier Mal so viele Bewerbungen verschicken wie Bewerberinnen mit gleicher Qualifikation. (Bonner Institut zur Zukunft der Arbeit)

Wir haben mit jungen muslimischen Frauen gesprochen und sie gefragt, was sie bei der Jobsuche erlebten, wie sie mit Absagen umgehen – und was sie jetzt machen.

Esra, 19, lebt in Bottrop und hat gerade Abitur gemacht.





In der neunten Klasse wollte ich ein Praktikum machen. Ich ging zu einer Zahnarztpraxis, um meine Bewerbung abzugeben. Ich war selber dort Patientin und hatte mir deswegen etwas Hoffnung gemacht.


Als ich allerdings meine Bewerbung abgab, sagte eine Mitarbeiterin direkt: Mit dem Kopftuch könne ich nicht in der Praxis arbeiten, ich solle es erst nach der Arbeit aufsetzen. Das Kopftuch bestehe aus Baumwolle und das sei während der Arbeit unhygienisch.


Ich versuchte ihr zu erklären, dass es auch Kopftücher aus anderen Stoffen gibt. Aber das wollte sie nicht hören.


Am Ende musste ich dann ein Praktikum bei einem türkischen Arzt machen. Erst wollte ich das nicht, weil viele muslimische Frauen dort ein Praktikum machen. Das war so klischeehaft. Aber ich hatte keine andere Möglichkeit. Genauso läuft es jetzt seit einem Jahr mit der Suche nach einem Nebenjob.




Ich bekomme ständig nur Absagen. Meine Motivation sinkt, ich habe kaum noch Hoffnung, etwas zu finden.

Esra



Ich habe mich jetzt für ein Studium entschieden. Da zählen nur meine Noten und nicht das Kopftuch. Vielleicht arbeite ich nach dem Studium in einer Position, in der ich auch Einfluss bei der Personalauswahl habe. Wenn das mal so sein sollte, möchte ich allen Menschen eine Chance geben. Egal ob mit oder ohne Kopftuch.

Sukaina, 22, kommt aus Münster und studiert International Business.





Nach dem Abitur wollte ich nicht direkt studieren und bewarb mich bei mehreren Werbeagenturen für einen Ausbildungsplatz als Kauffrau für Marketingkommunikation. Meinen Bewerbungen lag nicht immer ein Foto bei, aber auch bei denen mit Foto wurde ich zu einem Bewerbungsgespräch eingeladen.
Eines davon ist mir sehr positiv im Gedächtnis geblieben. Ich sollte mich drei Männern in hohen Positionen vorstellen, die Atmosphäre war angenehm. Sie zeigten großes Interesse an meiner Person und an meinen Qualifikationen. Ich erzählte unter anderem, dass ich sehr gerne Sport treibe. Sie waren verwundert und fragten mich, ob es mit dem Kopftuch dabei nicht zu heiß dafür sei. Ich fand die Frage überhaupt nicht schlimm, sie zeigte ihre Neugier und dass sie eben nicht viele muslimischen Frauen kannten. Ich wurde dann auch zum zweiten Gespräch in die engere Runde eingeladen. Aber am Ende entschied ich mich übrigens selbst gegen den Job – und für ein Studium.


Ich finde es nicht schlimm, wenn Menschen während eines Bewerbungsgespräches das Kopftuch ansprechen.


Wichtig ist nur, dass man als Frau dann selbstbewusst antwortet und weiß, was man will.


Sukaina



Man sollte sich nicht selbst einreden, dass man es nicht schafft, weil man ein Kopftuch trägt. Viele Unternehmen sind daran interessiert, sich international aufzustellen. Sie suchen bewusst Menschen, die andere Sprachen sprechen oder aus einer anderen Kultur kommen. Ich würde mich mit meiner kulturellen Vielfalt in so einem Unternehmen wohler fühlen.
Aie, 23, studiert Medizinische Biologie in Essen



Als ich zum ersten Mal wegen meines Kopftuches diskriminiert wurde, bemerkte ich das zunächst gar nicht. Ich ging damals mit einer Freundin in ein Geschäft, dort wurde eine Aushilfe über Weihnachten gesucht. Ich fragte, ob die Stelle noch frei sei.


Die Mitarbeiterin sagte mir sofort, dass ich in dem Geschäft nicht mit einem Kopftuch arbeiten könne. Das fand ich zunächst nicht schlimm. Meine Begleitung, die kein Kopftuch trug, meinte danach, dass sie das als diskriminierend empfand.


Da realisierte ich erst richtig: Ich hatte die Absage wegen des Kopftuches bekommen.

Aie


Nach dem Abitur bekam ich wieder eine Absage aufgrund meines Kopftuches. Dieses Mal ging es um ein Freiwilliges Soziales Jahr (FSJ) in einem Klinikum. Das teilte mir schriftlich mit, dass ich mit dem Kopftuch bei ihnen nicht arbeiten könne. Ich empfand das als ungerecht. Also meldete ich mich bei der Antidiskriminierungsstelle des Bundes und schilderte meinen Fall. Ein Jahr später bekam ich dann mit deren Hilfe eine Zusage für ein FSJ im Klinikum. Allerdings hatte ich bis dahin schon eine andere Stelle gefunden.


Ich denke mir oft, dass ich sowieso bei keinem Arbeitgeber arbeiten möchte, der mich aufgrund des Kopftuches ablehnt. Deswegen bewerbe ich mich auch immer mit einem Foto, da der potenzielle Arbeitgeber direkt sehen soll, dass ich ein Kopftuch trage. Wenn er mich nicht einstellen möchte, soll er sofort eine Absage schicken und mich nicht erst zu einem Bewerbungsgespräch einladen und dann ablehnen.

Ayse ist 22, lebt in Berlin und studiert Psychologie.






Die absurdeste Situation, die ich erlebte, war folgende: Jemand hatte mich auf einer Jobplattform angeschrieben und zu einem Bewerbungsgespräch in einer Versicherungsfirma eingeladen. Eigentlich interessierte mich die Branche aber gar nicht. Der Mann blieb hartnäckig und schrieb mich immer wieder an – also ging ich doch zum Gespräch. Der Mann sprach fast zwei Stunden mit mir über Politik in der Türkei und über den Islam. Um den Job ging es gar nicht. Er fragte mich sogar nach meiner Haarfarbe und bot mir eine gute Bezahlung an, wenn ich das Kopftuch für die Arbeit abnehmen würde. Ich fand das total absurd und sagte, dass ich das nicht machen würde. Den Job lehnte ich schon im Gespräch ab.


Ich habe oft das Gefühl, dass mich Menschen mit Fragen über meine Herkunft oder über meine Religion in gewisse Schubladen stecken und so ihre Vorurteile bestärken wollen.

Ayse






Ich habe oft das Gefühl, dass mich Menschen mit Fragen über meine Herkunft oder über meine Religion in gewisse Stereotypen stecken wollen und so ihre Vorurteile bestärken wollen.


Grundsätzlich bewerbe ich mich immer mit einem Bewerbungsfoto. Mir ist bewusst, dass sich dadurch meine Chance auf ein Gespräch verringert. Aber das ist es mir wert. Ich möchte in kein Bewerbungsgespräch gehen, in dem es nur um meine Herkunft oder Religion geht. Ich möchte in einem Team arbeiten, das mich so akzeptiert, wie ich bin.


3 Fragen an einen Experten

Interview mit Herrn Dr. Bernd Slaghuis
Bernd Slaghuis coacht zum Thema berufliche Neuorientierung und Karriereplanung. Wir haben ihn gefragt, wie man mit dem Thema Religion und Kopftuch während einer Bewerbung umgehen sollte.
Das Bewerbungsschreiben: Mit oder ohne Foto?
Abgesehen von einigen internationalen Konzernen ist das Bewerbungsfoto für viele Arbeitgeber in Deutschland heute noch Normalität. Ich halte nichts davon, etwa ein Kopftuch oder auch das Alter im Lebenslauf zu verheimlichen.
Bewerber sollten den Mut haben, mit ihren Unterlagen ein klares Profil zu zeigen und zu sagen, was ihnen wichtig ist. Und wenn es das Tragen eines Kopftuchs ist und dies zu ihrer Person dazu gehört, dann ist das so. Womöglich führt diese Klarheit zu mehr Absagen, doch wenn es zu einer Einladung zum Bewerbungsgespräch kommt, ist die Chance deutlich höher, dass es wirklich passt.
Was sollte die Bewerberin oder der Bewerber vor dem ersten Gespräch beachten?
Wichtig ist die eigene Haltung. Jede Bewerberin und jeder Bewerber sollte sich vorher die Frage stellen, was er oder sie möchte. Wenn das Ablegen des Kopftuches keine Option ist, dann sollte sie das offen kommunizieren. Auch, wenn zum Beispiel eine Gebetsmöglichkeit erwünscht ist.
Es geht in einem Bewerbungsgespräch nicht nur darum, dass der neue Arbeitgeber den Bewerber kennenlernt. Sondern auch darum, dass der Bewerber eine Entscheidung trifft. Der Erfolg einer Bewerbung hängt nicht nur davon ab, jemandem zu gefallen, sondern von der richtigen Einstellung und eigenen Klarheit.
Das Bewerbungsgespräch: Was ist erlaubt und was nicht?
Rechtlich regelt das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz, welche Fragen erlaubt sind und welche nicht. Darunter fallen zum Beispiel Fragen zur Religionszugehörigkeit, zur sexuellen Orientierung oder zur Herkunft. Diese Fragen müssen Bewerber nicht beantworten, da sie zu Diskriminierung bei der Auswahlentscheidung führen können.
Allerdings sollte man sich auch bewusst sein, dass hinter jeder Frage eines Arbeitgebers immer eine Intention steckt. Bewerber sollten deswegen nachfragen, warum genaue diese Frage von Bedeutung ist und klären, welche Absicht dahintersteckt. Und dies auch, wenn es ums Kopftuch geht.




Auch Sara hat Probleme, einen Job zu finden – wegen ihres Kopftuchs.

Sara will als Bäckerin arbeiten, aber wird wegen ihres Kopftuchs diskriminiert

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