Rundumschlag gegen DFB, Medien und Matthäus

Nach seiner Erklärung zum Foto mit dem türkischen Präsidenten Erdoğan legt Mesut Özil nach – gegen eine ganze Reihe von Kritikern.

Mesut Özil hat zu einem Rundumschlag gegen deutsche Medien, Sponsoren und gegen Rekordnationalspieler Lothar Matthäus ausgeholt. Nur kurz nach seiner ausführlichen Erklärung zum umstrittenen Foto mit dem türkischen Präsidenten Erdogan legte der 29-Jährige nach – und ging in die Offensive. Inzwischen hat der 29-Jährige seinen Rücktritt aus der deutschen Nationalmannschaft verkündet.
"Ich kann nicht akzeptieren, dass deutsche Medien meiner Herkunft und einem einfachen Foto die Schuld an einer schlechten Weltmeisterschaft einer ganzen Mannschaft geben", schreibt Özil in einem langen Tweet. Und: "Gewisse deutsche Zeitungen missbrauchen meinen Hintergrund und das Foto mit Präsident Erdoğan für ihre rechte Propaganda, um ihre politische Agenda voranzutreiben. Warum sonst nutzten sie Bilder und Schlagzeilen mit meinem Namen als direkte Erklärungen für die Niederlagen in Russland?"


"Die Zeitungen versuchen, das Land gegen mich aufzubringen"

Özil geht noch weiter: "Sie kritisierten nicht meine Leistungen, sie kritisierten auch nicht die Leistungen der Mannschaft, sie kritisierten nur meine türkische Herkunft. Das überschreitete eine persönliche Linie, die niemals hätte überschritten werden dürfen. Die Zeitungen versuchen, das Land gegen mich aufzubringen."
Der Mittelfeldspieler kritisiert auch einen "Doppelstandard" in den Medien. Es enttäusche ihn, dass "Lothar Matthäus (ein Ehrenspielführer der Nationalmannschaft) sich vor ein paar Tagen mit einem anderen Staatsoberhaupt traf und fast überhaupt nicht in den Medien kritisiert wurde." Özil bezieht sich damit auf das Foto des Rekordnationalspielers mit Russlands Präsidenten Wladimir Putin.
"Trotz seiner Rolle beim DFB wurden von ihm keine öffentlichen Erklärungen verlangt, und er vertritt die deutschen Spieler weiter ohne jede Konsequenz." Özil weiter: "Wenn die Medien meinen, ich hätte aus dem WM-Kader gestrichen werden sollen, dann sollte er doch auch sicher seine Ehrenspielführer-Titel verlieren? Macht mich meine türkische Herkunft zu einem lohnenderen Ziel?"
Özil fühlt sich "Im Stich gelassen"

Der Arsenal-Star beschreibt auch ein persönliches Erlebnis aus den letzten Wochen: "Vor kurzem hatte ich geplant, meine frühere Schule Berger-Feld in Gelsenkirchen zu besuchen, mit zwei meiner Wohltätigkeitspartner. Ich habe ein Jahr lang ein Projekt finanziell unterstützt, in dem Einwandererkinder, Kinder aus armen Verhältnissen und andere Kinder zusammen Fußball spielen können. Aber Tage vor unserem Besuch wurde ich von meinen sogenannten 'Partnern' im Stich gelassen, weil sie nicht mehr mit mir zusammenarbeiten wollten."

Laut Özil gab es noch weitere Konsequenzen: "Dazu teilte die Schule meinem Management mit, dass sie mich nicht mehr da haben wollten, weil sie wegen meines Fotos mit Erdoğan 'Angst vor den Medien' hätten, besonders, weil die 'rechte Partei in Gelsenkirchen im Aufwind' sei." Und: "Ganz ehrlich: Das hat wirklich weh getan. Mir wurde plötzlich das Gefühl gegeben, ich sei nicht mehr willkommen und ihre Zeit nicht wert."
Weiter hier:

https://www.t-online.de/sport/fussba...t-zurueck.html

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Schon die Tagesschau barmt um Mesut Özils Zerrissenheit.

"Übers Ziel hinausgeschossen", "eine Art umgekehrter Chauvinismus" - viele Kommentare deutscher Medien kritisieren die Rücktrittserklärung von Özil. Doch sie weisen auch auf seine "Zerrissenheit" hin.

Özils Rücktritt sei lange vorbereitet worden und hinterlasse einen "Scherbenhaufen", schreibt die "Frankfurter Allgemeine Zeitung": "Sein Rundumschlag vom Sonntag wird vielen noch lange in den Ohren klingen. Er wird den DFB und seinen Präsidenten Grindel, den Özil offen zum Rücktritt auffordert, noch tiefer in die Krise stürzen. Das Versagen des Verbandes rund um die Causa Özil/Erdogan, verbunden mit dem Versagen in der Aufarbeitung des sportlichen Desasters während der WM könnte selbst einen über alle Maßen selbstgefälligen Verband wie den DFB zu Reaktionen zwingen, die mehr sind als Retusche.

In vielem, nicht in allem, ist Özil am Sonntag über das Ziel hinausgeschossen. Grindel offen rassistische Tendenzen zu unterstellen, geht zu weit, auch Özils pauschale Attacken gegen Medien, die in die gleiche Richtung zielen sind ebenso abstrus wie unverschämt. Derjenige, der ihn tatsächlich zum Sündenbock gemacht hat für das Scheitern in Russland, Oliver Bierhoff, der Manager der Nationalmannschaft, kommt in seiner Wutrede dagegen erstaunlich gut weg."
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Ehrenhaft oder naiv? Reaktionen auf Özils DFB-Rückzuck

Die "Frankfurter Rundschau" schreibt dazu: "Es gehört zu Özils persönlicher Tragik, dass ausgerechnet er zum Bolzball seiner türkischen Berater, der geglückten Wahlkampagne des Präsidenten Erdogan, des DFB bei dessen missratener Titelverteidigung und einer auch von enthemmter Bösartigkeit getriebenen Debatte auf dem Resonanzboden von Rassismus geworden ist, gegen den jeder mal treten durfte. Dabei wollte der Mesut doch immer nur gut Fußball spielen."

Für die Zeitung "Die Welt" hat das Foto mit Erdogan gezeigt, wie zerrissen Özil ist: "Und er ist wohl nicht der einzige Deutsche mit türkischen Wurzeln, dem es so geht. Doch zum Bekenntnis, ein deutsches Trikot zu tragen, gehört mehr als das gute Spiel. Nationalspieler sind Vorbild, gerade auch für die Jugendlichen mit Migrationshintergrund. Und da muss der DFB zwischen Hymnenschmettern und klarem Bekenntnis definieren, was gefordert ist. Über Jahrzehnte hatten die Deutschen kein Verhältnis zu ihren Einwanderern.

Deutschland muss seine Erwartungen klar formulieren, und jeder zwischen den Kulturen wandernde Sportler muss sich entscheiden, ob er das leisten kann oder will. Wer den deutschen Pass annimmt und das Nationaltrikot überzieht, muss wissen, was das für ihn bedeutet. Der Fall Özil hat das klargemacht."
"Trotziger Schluss"

Der "Kölner Stadt-Anzeiger" konstatiert: "Nach Wochen des Schweigens kommt der Nationalspieler zu dem trotzigen Schluss, er würde auch heute alles genauso gemacht haben wie im Mai, als er den Wahlkämpfer Erdogan werbewirksam zum Posing traf. Özils Erklärung – warum eigentlich auf englisch? - klingt einnehmend, wenn er auf Respekt und auf die Hochachtung vor dem familiären Erbe verweist, die seine Mutter ihn gelehrt hätten. In Wahrheit spricht daraus eine Art umgekehrter Chauvinismus. Die deutschen Medien hätten diese - seine Wahrheit nicht wahrgenommen. Özil hätte alle Zeit der Welt gehabt, sich zu erklären und sich ebenso empathisch zu seiner neuen Heimat zu bekennen."

Die "Rheinische Post" vertritt die Ansicht, Özil habe nicht verstanden, was viele Menschen an dem Foto mit Erdogan empört hat: "Er habe mit seinem Treffen dem höchsten politischen Amt der Heimat seiner Familie Respekt gezollt, nicht Erdogan als Person, schreibt er. Diese Argumentation muss jeden Bürger der Bundesrepublik - egal ob mit oder ohne ausländische Wurzeln - befremden.

Denn es ist ja nicht das Amt, das politische Gegner verfolgt, Grundrechte einschränkt und Tausende Bürger ohne Anklage wegsperrt. Es ist Erdogan, der das Amt für demokratiefeindliche Aktionen benutzt. Es mag sein, dass es tiefergehende Gründe für Özil gab, dem Foto zuzustimmen, zum Beispiel die Angst, dass seinen Verwandten, Freunden und seinem Eigentum in der Türkei andernfalls Schaden droht. Dann aber hätte die Stellungnahme auch tiefgehender ausfallen müssen. So wird die Kritik nicht verstummen."
weiter hier:

https://www.tagesschau.de/inland/oez...schau-101.html

Und auch Herr Zwanziger hat was zu sagen:

„Migranten dürfen sich nie als Deutsche zweiter Klasse fühlen“

Der ehemalige Präsident des Deutschen Fußball-Bundes, Theo Zwanziger, bedauert den Abgang Mesut Özils aus der Nationalmannschaft. Özil sei ein großes Vorbild gewesen. Der DFB habe Fehler in der Kommunikation begangen.
Theo Zwanziger bedauert den Rücktritt von Mesut Özil aus der deutschen Nationalmannschaft und befürchtet Konsequenzen nicht nur im Fußball. „Ich bin tief traurig über die von Mesut Özil getroffene Entscheidung“, sagte der frühere Präsident des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) im Interview der Deutschen Presse-Agentur.
Der Rückzug des türkischstämmigen Weltmeisters sei „für die Integrationsbemühungen in unserem Land über den Fußball hinaus ein schwerer Rückschlag. Er war ein großes Vorbild für junge Spielerinnen und Spieler mit türkischem Migrationshintergrund, sich auch in die Leistungsstrukturen des deutschen Fußballs einzufinden.
„Migranten dürfen sich nicht als Deutsche zweiter Klasse fühlen“

Auch Zwanziger, der in seiner Amtszeit von 2004 bis 2012 das Thema Integration stark vorangetrieben hatte, sieht Versäumnisse beim DFB. „Durch Fehler in der Kommunikation ist etwas passiert, das bei Migranten nie passieren darf: Sie dürfen sich nie als Deutsche zweiter Klasse fühlen. Wenn dieser Eindruck entsteht, muss man gegensteuern“, sagte der 73-Jährige.
weiter hier:

https://www.welt.de/sport/article179...e-fuehlen.html