FH Dortmund Flüchtlingshelfer kann man jetzt studieren

Die FH Dortmund bietet den Studiengang Flüchtlingshilfe an. Viele Studierende sind selbst zugewandert - und möchten anderen beim Start in ein neues Leben helfen.
von Rebecca Erken

Helferin für andere: Boran Al Yousef.



[/QUOTE]

Hozan Khalaf ist ein bisschen aufgeregt. "Hast du noch Fragen zu deinem Praktikum?", fragt Beraterin Sibel Turhan. Khalaf blickt nervös in dem Büro umher. Bilder aus Urlaubsparadiesen glänzen an den Bürowänden. Hinter ihm lächelt ein Einhorn von einer Postkarte. Sibel Turhan schaut ihn aufmunternd an. "Kann ich das Praktikum auch verlängern?" Die Studentin nickt. "Ja, natürlich. Aber am besten fängst du erst einmal an und schaust, ob es dir gefällt."
Für Hozan, den 23-jährigen Syrer, kann es gar nicht schnell genug gehen. Er möchte in sein neues Leben starten - sofort! Seit zwei Jahren lebt er in Deutschland...
Sibel Turhan vom Multikulturellen Forum in Hamm hat ihm ein Praktikum in einer Autowerkstatt vermittelt.
Praktika werden von der Bundesanstalt für Arbeit aus den Versichertenmitteln der Arbeitslosengeldversicherung komplett finanziert und sind für den Arbeitgeber kostenlos und ich darf raten, wer der Arbeitgeber ist: Eine türkische Autowerkstatt.

Flüchtlingshilfe vom Profi
Dass die junge Frau auf der anderen Seite des Schreibtischs, die ihn so professionell berät, selbst noch mitten in der Ausbildung steckt, fällt ihm gar nicht auf. Dabei ist Sibel Turhan sogar noch ein Jahr jünger als er. Die Dortmunderin studiert "Soziale Arbeit mit dem Schwerpunkt Armut und (Flüchtlings-)Migration" - und wird wohl eine der ersten akademisch ausgebildeten Flüchtlingshelferinnen Deutschlands sein.
Seit dem Wintersemester 2014/15 bietet die FH Dortmund diesen besonderen dualen Bachelorstudiengang an. Neben ihren Vorlesungen und Seminaren arbeitet Sibel 20 Stunden pro Woche beim Multikulturellen Forum in Hamm.
Die 22-Jährige ist in Deutschland geboren und aufgewachsen, ihre Eltern kommen aus der Türkei. "Ich habe oft Druck gespürt, zwischen meinen beiden Kulturen balancieren zu müssen." Da war einerseits die Familie, die erwartete, dass sie zu jeder türkischen Hochzeit entfernter Verwandter mitkam. Andererseits waren da die Freunde, die am Wochenende Party machen wollten.
Zerrissen zwischen den Kulturen
In ihrer Klasse an einem Dortmunder Gymnasium sei sie die einzige Schülerin mit türkischen Wurzeln gewesen. "Ich hatte Probleme, die niemand anderes hatte." Zerrissen zu sein zwischen den Kulturen, dieses Gefühl kennen auch viele Flüchtlinge. Sibel Turhan glaubt, dass ihr die eigenen Erfahrungen helfen, die Probleme und Sorgen von Zuwanderern nachzuvollziehen.
Drei Viertel ihrer Kommilitonen haben einen Migrationshintergrund. Auch wenn viele von ihnen wie Sibel Turhan in Deutschland zur Welt gekommen sind, scheint ihr Bedürfnis groß zu sein, anderen das Ankommen in Deutschland zu erleichtern. Die Schwerpunkte des Studiengangs, der sich aus den Fächern Soziologie, Erziehungswissenschaft, Psychologie und Recht zusammensetzt, klingen so, als wäre dieser einzig zur Bewältigung des Flüchtlingszustroms eingeführt worden. So gehören zum Curriculum "die Willkommenskultur der Mehrheitsgesellschaft", "die Sensibilisierung für eigene Vorurteile" und "Theorien und Lösungswege zu gesellschaftlicher Diskriminierung".
Die Pläne sind schon mehrere Jahre alt
Dabei hatte die Einführung des Studiengangs nichts mit den Ereignissen von 2015 zu tun, die Planungen begannen lange Zeit vorher. "Die Fachhochschule hat den Studiengang in Zusammenarbeit mit der Stadt und freien Trägern als Reaktion auf die angespannte Lage in Dortmund eingeführt", erklärt Studiengangskoordinator Michel Boße. "Viele Menschen aus Südosteuropa, etwa aus Rumänien und Bulgarien, leben hier in prekären Verhältnissen", sagt Boße. "Für die Sozialarbeiter war es häufig schwierig, an sie heranzukommen." Die Studierenden mit dem Schwerpunkt Migration sollten "Brückenbauer" zu bestehenden Hilfsangeboten sein.
Trotzdem habe die Zuwanderung der Flüchtlinge seit Sommer 2015 natürlich Spuren hinterlassen: In den ersten beiden Jahren habe es etwa so viele Bewerbungen wie Plätze gegeben, sagt Boße. Mit dem Flüchtlingsstrom hätten sich die Bewerberzahlen mehr als verdoppelt. "Wir hatten auf einmal 80 Bewerbungen auf 35 Plätze", so der Sozialpädagoge.
Das Multikulturelle Forum in Hamm, Sibel Turhans Arbeitgeber, beschäftigt derzeit sieben Studenten aus dem Studiengang. Standortleiter Taylan Kutlar ist überzeugt, dass alle Beteiligten von dem dualen Modell profitieren. Sibel Turhan hat schon häufiger Theorien aus der Vorlesung im Arbeitsalltag angewandt. "Gerade das Fach Aufenthaltsrecht hat mir in der Flüchtlingsberatung viel gebracht", sagt sie.
In derselben Hörsaalreihe wie Sibel sitzt Boran Al Yousef. Sie kennt Vorurteile nicht nur aus der Theorie. "In Deutschland wurde ich schon oft beleidigt, weil ich ein Kopftuch trage", sagt die 25-Jährige. Dabei sei sie Feministin!
Boran kam vor drei Jahren selbst als Flüchtling aus Syrien nach Deutschland - heute studiert sie im dritten Semester. Zuvor hatte sie in Aleppo Elektroingenieurwesen studiert. "Einmal haben wir eine Klausur geschrieben, und in einem anderen Gebäude der Uni sind Bomben eingeschlagen", erzählt sie. Drei Studenten seien gestorben. "Wir mussten weiterschreiben." Boran bestand die Klausur.
Weiter hier:

http://www.spiegel.de/spiegel/unispi...a-1196053.html