Flüchtlinge suchen Rat beim Krisentelefon gegen Zwangsheirat
Niedersachsens Hilfsangebot für Mädchen, die gegen ihren Willen verheiratet werden sollen, ist stark gefragt. Aufklärung in Schulen.




Hannover. Das niedersächsische Krisentelefon gegen Zwangsheirat berät verstärkt Mädchen und junge Frauen, die als Flüchtlinge nach Deutschland gekommen sind. "Bei der Aufklärungsarbeit arbeiten wir eng mit den Schulen zusammen", sagte eine Mitarbeiterin des Hilfsangebot. Die kostenlose Hotline zählte nach Angaben des Sozialministeriums im vergangenen Jahr insgesamt 152 Anrufe, aus denen sich 758 Beratungskontakte entwickelten. Der Bedarf sei damit anhaltend hoch, hieß es.
Das Land Niedersachsen finanziert die Beratungsstelle seit 2007. Die von Zwangsheirat Bedrohten kommen nach Auskunft der Beraterin aus Familien mit strikten patriarchalischen Strukturen. Es könnten keine Rückschlüsse auf bestimmte Herkunftsländer oder Religionen gezogen werden. Sozialministerin Carola Reimann (SPD) sagte, das Krisentelefon sei "oft der letzte Ausweg für Frauen und Mädchen, die von Zwangsheirat bedroht sind". Die hohe Zahl der Anruferinnen zeige, dass diese Form der Menschenrechtsverletzung leider immer noch sehr verbreitet sei. Im vergangenen Jahr hatten 56 der 152 Ratsuchenden eine befristete Aufenthaltsgenehmigung, 34 waren deutsche Staatsbürger. Unter den Betroffenen waren auch zehn Männer.
In vielen Fällen melden sich zunächst Sozialarbeiter oder Jugendamtsmitarbeiter, die von den Jugendlichen ins Vertrauen gezogen worden sind. Die Schule sei oft der einzige Ort, an dem sich die betroffenen Mädchen zum Beispiel einem Sozialarbeiter offenbaren könnten, sagte die Mitarbeiterin, die wegen des Schutzes der Ratsuchenden anonym bleiben möchte. "Sie werden oft sozial kontrolliert und in ihrer Freiheit eingeschränkt." Der Verein Kargah, bei dem das Krisentelefon angesiedelt ist, unterstützt die jungen Frauen häufig über Monate hinweg. Manche müssen sogar mit einer neuen Identität in einer anderen Stadt ein neues Leben anfangen. Am häufigsten wurden zuletzt 18- bis 21-Jährige beraten, die zweitgrößte Gruppe waren 16- bis 17-Jährige. Dabei sind Kinderehen seit Juli 2017 verboten.
Zwangsehen stehen schon seit 2011 unter Strafe. Eine Strafanzeige komme aber für die meisten Mädchen nicht in Betracht, sagte die Beraterin. Sie litten häufig unter Gewissenskonflikten und fühlten sich verpflichtet, der Familie gegenüber loyal zu bleiben. Bei den Vermittlern der Zwangsehen – oft Eltern oder Angehörige – gibt es unterschiedliche Motive. Manche wollen dem Verein Kargah zufolge ihre Traditionen schützen, andere haben finanzielle Gründe – sie lockt das Brautgeld oder ein Bräutigam aus wohlhabender Familie. Zum Teil seien Mädchen auch vor der unbegleiteten Flucht nach Deutschland von ihren Eltern zu ihrem eigenen Schutz verheiratet worden, sagte die Beraterin.
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