Offenbach: "Migrant oder nicht – das spielt keine Rolle mehr!"

In Offenbach haben 60 Prozent der Menschen einen Migrationshintergrund. Die Integration gelingt vorbildlich – auch dank Bürgermeister Peter Schneider.
“Offenbach ist eine schlimme Stadt”, sagt Rapper Haftbefehl. Er ist Kurde – und in der hessischen 125.000-Einwohner-Stadt aufgewachsen. Haftbefehl spricht in seinen Songs von Drogen, von Kriminalität, von einer “Kanackenzone”.
Denn: In Offenbach haben 60 Prozent der Menschen einen Migrationshintergrund. Im Vergleich: Im Bund liegt der Wert im Durchschnitt bei rund 20 Prozent. Dazu ist die Arbeitslosigkeit in Offenbach seit Jahren hoch, viele Menschen arbeiten im Niedriglohnsektor.
Aber ist Offenbach wirklich eine “schlimme Stadt”? Gibt es dort Parallelgesellschaften?
Mitnichten. Auch wenn Offenbach geradezu prädestiniert wirkt, zum Problemfall zu werden, gilt die Nachbarstadt von Frankfurt bislang als Vorbild in Sachen Integration.




Landespolitiker loben das Offenbacher Multi-Kulti-Konzept. Auch der Berliner “Tagesspiegel” musste in der Flüchtlingskrise zugeben: “Offenbach kann in Sachen Integration mehr als Berlin.” Wer mit Bürgermeister Peter Schneider spricht, erkennt schnell, woran das liegt.
Schneider baut auf einem soliden Konzept auf

Seit nun fast sechs Jahren ist der Grünen-Politiker Bürgermeister von Offenbach. Acht Jahre zuvor hat die Stadt bereits ein erstes Integrationskonzept formuliert. Es ist ein Konzept, das sich im stetigen Wandel befindet.



Und das von sich Reden macht: Zuletzt besuchte sogar eine Delegation aus Marokko die kleine Stadt am Main, um zu lernen, wie sich das Zusammenleben verschiedener Kulturen am besten organisieren lässt.
Offenbach baut dabei auf Erfahrung auf. “Wir haben eine sehr lange Tradition, wenn es darum geht, Menschen von außen zu integrieren”, sagt Bürgermeister Schneider der HuffPost.


Zu Beginn der 1960er-Jahre kamen die ersten Gastarbeiter an. Da wurde Schneider gerade in Frankfurt eingeschult. Es waren erst Spanier und Griechen, dann Jugoslawen, die nach Offenbach zogen, um zu arbeiten.
Später kamen vor allem türkische Gastarbeiter am Main an. Rund um den Marktplatz erkennt man schnell, wie sehr sie das Leben in der Stadt geprägt haben: Hier gibt es Moscheen, türkische Supermärkte, Tee- und Kaffeestuben.


“Die Menschen fallen nicht unangenehm auf, weil sie Anlaufstellen haben”, sagt Schneider. Der deutsch-türkische Freundschaftsverein sei da nur ein Beispiel. “Die Arbeit dieser Communities darf man nicht unterschätzen. Die rumänische etwa, oder die griechische. Die Menschen, die hier ankommen, finden Anschluss”, erklärt Schneider.


Heute, im Jahr 2018, leben Menschen aus rund 158 Nationen in Offenbach. “Und es funktioniert”, sagt Schneider. Dafür gebe es verschiedene Gründe – einer sei sicherlich auch der besondere Stellenwert der Sprache in Offenbach.
154 verschiedene Sprachen werden in Offenbach gesprochen. Bürgermeister Schneider kennt die Zahl genau. Ein bisschen stolz klingt er, wenn er über die Vielfalt in der Stadt spricht. Denn bemerkenswert ist: Sprachbarrieren sind hier trotzdem die Ausnahme.


Das zeigt sich auch an diesem Mittwochmittag, in der Nähe der Bahnhofstraße. Ein junger Mann betritt ein kleines indisches Bistro, das gerade geöffnet hat. Seine Hose ist kaputt, sein T-Shirt ein Stück zu kurz. Der Mann setzt sich auf den Boden des Lokals, versucht sein Handy an einer Steckdose über der Fußleiste aufzuladen.
Er ist wohl Afghane. Den Ladenbesitzer versucht er etwas zu fragen, doch der versteht den Gast nicht. “Deutsch, English, Parsi, Urdu?”, fragt der Lokalbesitzer freundlich. Der Afghane verneint: “Turkish, Arabic, Persian...”


“Persisch”, sagt der Inder und nickt. Die beiden tauschen sich aus.


Meistens läuft es in Offenbach noch einfacher. “Hier wird sehr viel Deutsch gesprochen”, sagt Schneider. Trotz der über 150 Sprachen auf den Offenbacher Straßen. “Die Wahrscheinlichkeit ist einfach am größten, dass man mit Deutsch einen gemeinsamen Nenner findet.”
Dazu investiert die Stadt massiv in die Sprachförderung. Aus einem Landesprogramm gingen zuletzt 600.000 Euro in die Sprachangebote der Offenbacher Kitas. “Wir müssen so früh anfangen wie möglich”, findet der Bürgermeister, “damit wir am Ende nicht die Zeche zahlen.”


Die Schuleingangsuntersuchung der Stadt Offenbach zeigt, dass es erste Erfolge gibt. Das Ergebnis der Erhebung: Wer als Ausländer die Kita besucht, bringt bessere Leistungen in der Grundschule. “Erfolg ist machbar”, konstatiert auch die “FAZ” im Hinblick auf Offenbach.
Auch der Jugendmigrationsdienst der Stadt setzt genau hier an. Hierher kommen viele junge Migranten aus unterschiedlichen Kulturkreisen, um sich helfen zu lassen. “Sie wollen die Sprache lernen, oder brauchen einfach nur Hilfe mit den Behörden und den schwierigen Formularen”, sagt Sozialberater Alexej Geyer.


Dafür sei man in Offenbach gut aufgestellt. Es gebe viele Angebote für Neuankömmlinge – und Sozialarbeiter, die verschiedenste Sprachen sprechen. “Wenn ich ein Anliegen habe, nehme ich den Hörer und rufe den passenden Kollegen an”, sagt Geyer. In Offenbach kennt man sich – und hilft.
Während Flüchtlingshelfer in Berlin über den “Behördenwahnsinn” klagen, klappt in Offenbach viel über den kurzen Draht – ein Vorteil der überschaubaren Stadt.


Ein Kollege, den Geyer häufig am Telefon hat, ist Ali Karakale. Er ist seit 2004 Sozialarbeiter bei der Arbeiterwohlfahrt (AWO). Schon ein Blick in sein Büro zeigt: Karakale hat viel zu tun. Bücher stapeln sich auf dem Schreibtisch, Ordner, Zettel, eine leere Flasche Cola-Light.


Auch Karakale findet: Die Zusammenarbeit klappt. Zwischen Stadt, den verschiedenen Trägern und Projektanbietern. “Kirchen, Arbeiterwohlfahrt, Diakonie, Caritas”, zählt Karakale auf – und nennt nur einige, die sich in Offenbach um Integration kümmern.
Viele Migranten finden Jobs – doch nicht alles klappt

Die Ergebnisse sind beachtlich: Mit 53,7 Prozent hat Offenbach die höchste Anzahl an sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten mit Migrationshintergrund im Bundesland Hessen. Das benachbarte Frankfurt kommt nur auf 46,6 Prozent.


Auf die Frage, warum es in Offenbach gut laufe, schweigt Karakale dennoch lange. Er atmet einmal tief aus, blickt auf seinen Schreibtisch, sucht die richtigen Worte. “Es gibt keine Formel”, sagt er dann.
Es käme viel zusammen: Sprache, Arbeit, der Kontakt zu anderen Menschen. Daher sei Integration auch etwas beidseitiges: “Ich kenne eine Frau, eine sehr tolle Frau übrigens, die kommt aus der Türkei”, beginnt Karakale zu berichten.


Die Frau würde als Putzfrau arbeiten, in Cafés gehen, Veranstaltungen besuchen, um Deutsche kennenzulernen. Doch es klappe nicht. “Das ist einfach etwas, wo ich denke: Integration ist keine Einbahnstraße”, sagt der Sozialarbeiter. Auch Enttäuschungen gehören zu seinem Alltag.
“Einzelne Moscheen schotten sich ab”

Wenn der Deutschtürke aus seinem Alltag berichtet, klingt an: Auch Offenbach hat Probleme. Trotz der zurückgehenden Arbeitslosigkeit, die heute seit Jahrzehnten zum ersten Mal unter zehn Prozent liegt. Trotz der internationalen Anerkennung, die die Stadt mittlerweile für ihr Integrations-Konzept bekommt.
Auch Bürgermeister Schneider gibt zu: Dass Neuankömmlinge auf schon bestehende Gemeinden ihres Kulturkreises treffen, ist nicht immer nur ein Vorteil. “Einzelne Moscheen haben die Tendenz, dass es zu geschlossenen Gruppen kommt”, sagt der Politiker.


Auch bei Fußballvereinen ließe sich mitunter das Bestreben erkennen, sich als ethnische Gruppe abzugrenzen. “Wir haben zum Beispiel den Türk FC oder den FC Maroc”, sagt Schneider.


Da müsse man ansetzen – damit der Gesprächsfaden nicht abreißt. “Dafür haben wir das Quartiersmanagement in allen Stadtteilen.” Mitarbeiter, die vor Ort als Ansprechpartner fungieren, nach Problemen und Lösungen forschen.
Und die Diskussionen anregen: Bei den runden Tischen, die alle vier bis sechs Wochen stattfinden. Dort sitzen Bewohner der entsprechenden Viertel, Mitarbeiter des Ordnungsamts, Polizisten, Träger der sozialen Einrichtungen – und: Bürgermeister Schneider.


“Es ist ganz ganz entscheidend, dass ich da dabei bin”, sagt er. “Wer wissen will, was in den Stadtvierteln los ist, muss dabei sein.”
Oft gehe es dann um ganz konkrete Probleme: Orte, an denen sich besonders viele Obdachlose ballen, Streit um eine Teestube, Probleme mit Melde-Adressen von Zuwanderern. Schneider hört sich alles an – und kann gegebenenfalls direkt reagieren.
Oft sind es Fälle, um die sich auch Sozialarbeiter Ali Karakale kümmert. “Wir arbeiten an der Front”, sagt der, ohne dabei verbittert zu klingen. “Die Leute kommen mit den verschiedensten Problemen.”
Es gehe dann etwa um Kindergeld, um Integrationskurse, um finanzielle Probleme, falsche Verträge, manchmal aber auch um weitaus prekärere Situationen.


Einer seiner jüngsten Fälle: “Eine Frau, die sagt: ‘Herr Karakale, Sie müssen mir helfen. Mein Leben ist in Gefahr. Wenn mein Mann mich hier sieht, der bringt mich um’.”

Auch Bürgermeister Schneider kennt die Schattenseiten, die ein hoher Anteil von Arbeitslosen in der Stadt mit sich bringen kann. Er spricht von einer “nötigen Strenge”, die es geben müsse – auch gegenüber jenen, “die nur profitieren wollen”.


Deshalb gebe es in Offenbach auch eine “AG Leistungsmissbrauch”. Ämter und Polizei würden hier genau überprüfen, ob Zahlungen wirklich bei den Richtigen ankommen.
Die Botschaft ist klar: Es gibt Regeln in Offenbach. Eine Botschaft, die anzukommen scheint. Zuletzt ging etwa auch die Kriminalität zurück um 3,6 Prozent in nur einem Jahr.


Genau zuhören und genau hinsehen: Es scheinen die wichtigsten Erfolgsbausteine in Offenbach zu sein.
Und sogar Rapper Haftbefehl sagte einmal: “Serben, Albaner, Türken – sogar wir Kurden verstehen uns mit den Arabern, solange sie keine Salafisten sind. Wir leben alle in Deutschland und halten zusammen.”
https://www.huffingtonpost.de/entry/...b09d0a11975624

Wir waren auch schon einmal vor vielen Jahren in Offenbach auf einen Besuch und schauten uns auch die Stadt an. Sie machte den Eindruck, dass wir froh waren, ihr wieder den Rücken kehren zu können, schon damals, vor der Flüchtlingskrise.