611 Flüchtlinge bekommen Schutz: Kritik an Kirchenasyl wächst, nun wehren sich Geistliche
Angesichts steigender Zahlen von Flüchtlingen, denen Kirchenasyl gewährt wird, ist über Ostern eine Debatte über dieses Praxis entbrannt. Politiker von CDU und FDP kritisierten das Vorgehen der Kirche.

So sagte Unions-Fraktionschef Volker Kauder der "Welt am Sonntag", er habe ein Problem mit dem Kirchenasyl für Flüchtlinge. In Deutschland sei das staatliche Recht zu beachten. "Das müssen auch die Mitglieder der Kirchen akzeptieren." Der CDU-Politiker verwies auf die Härtefallkommissionen, in denen die Schicksale einzelner Flüchtlinge, die abgeschoben werden sollen, noch einmal gesondert behandelt werden könnten.

Nach Angaben der Ökumenische Bundesarbeitsgemeinschaft Asyl in der Kirche gab es im März dieses Jahres 414 Fälle von Kirchenasyl, die 611 Personen betrafen - eine deutliche Steigerung gegenüber November 2017, als 350 Fälle mit 530 Personen registriert wurden. Ein Jahr zuvor gab es demnach sogar nur 308 Fälle mit 511 Personen. Die Kirchen in Deutschland gewähren Flüchtlingen Zuflucht, bei denen sie Leib und Leben durch eine Abschiebung bedroht sehen oder nicht hinnehmbare soziale und psychische Härten befürchten. Die Behörden dulden das Kirchenasyl, obwohl es dafür keine gesetzliche Grundlage gibt.
Zahlen aus den Bundesländern:

NRW: Immer mehr von Abschiebung bedrohte Asylsuchende finden bei nordrhein-westfälischen Kirchen Zuflucht. Ende Februar befanden sich 160 Menschen in 129 Kirchenasylen, wie das Ökumenische Netzwerk Asyl in der Kirche in NRW mitteilte. Das sind etwa ein Drittel mehr Menschen als noch im Sommer und fast doppelt so viele wie vor gut einem Jahr. Die Zahl steige seit Jahren, sagte ein Mitarbeiter des Netzwerks in Münster. Herkunftsländer der Menschen seien vor allem Irak, Iran und Eritrea. Der Grund für die Asylsuchenden, sich an die Kirchen zu wenden, sei wachsender Abschiebedruck.
Saarland: Im Saarland sind im vergangenen Jahr 52 Fälle von Kirchenasyl gemeldet worden. Das sind mehr als doppelt so viele wie im Jahr 2015 (21), wie aus einer Antwort der Landesregierung auf eine Anfrage des Landtagabgeordneten Josef Dörr (AfD) hervorgeht. Die Mehrzahl der Flüchtlinge suchte dabei Schutz in einer katholischen Kirchengemeinde: 2017 waren dies 45 Personen - die übrigen sieben wandten sich an evangelische Gemeinden.

Sachsen: Sächsische Kirchgemeinden haben im vergangenen Jahr 30 Geflüchteten Kirchenasyl gewährt. Die Zahl der Anfragen lag um ein Vielfaches höher. Bei der evangelischen Landeskirche gingen mit 123 mehr als doppelt so viele Bitten um Schutz ein wie 2016 - von Anwälten, Betroffenen oder Unterstützern, sagt der Ausländerbeauftragte Albrecht Engelmann. In 28 Fällen wurde Kirchenasyl gewährt, in 22 davon konnte das Problem gelöst werden. Die katholische Kirche führt keine Statistik. Nach Angaben des Katholischen Büros Sachsen gab es zwei Fälle von Kirchenasyl, von denen einer noch läuft.

Schleswig-Holstein, Mecklenburg-Vorpommern, Hamburg: Die Nordkirche gewährt zurzeit 153 von Abschiebung bedrohten Ausländern Kirchenasyl. Wie ein Sprecher des Kirchenkreises Hamburg-Ost mitteilte, leben in Hamburg 73 Menschen, in Schleswig-Holstein 44 und in Mecklenburg-Vorpommern 36 in geschützten Räumen evangelischer Gemeinden. Es handele sich um Asylbewerber, an deren Ablehnung es begründete Zweifel gebe, sagte Sprecher Remmer Koch. Häufig geht es um Familien. Unter den 153 aufgenommenen Menschen seien 59 Kinder. Die Zahl der Kirchenasylfälle weicht darum ab. Nach Angaben der Flüchtlingsbeauftragten der Nordkirche, Dietlind Jochims, sind es in Hamburg 32, in Schleswig-Holstein 20 und in Mecklenburg-Vorpommern 19 Fälle.

Kritik:


Neben Kauder äußerten sich zuletzt weitere Politiker kritisch. Der schleswig-holsteinische Innenminister Hans-Joachim Grote (CDU) etwa sieht beim kirchlichen Umgang mit dem Kirchenasyl erhebliche Mängel. Obwohl sich die beiden großen Kirchen mit dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) im Februar 2015 "auf einen besonders sensiblen Umgang mit dem Instrument verständigt" hätten, erwecke "die Praxis in der jüngeren Vergangenheit nicht nur in Schleswig-Holstein den Eindruck, dass dies nicht von allen Gemeinden verinnerlicht wurde", sagte Grote der "Welt".

Es gelte nun, die damalige Vereinbarung über einen zurückhaltenden Umgang mit dem Kirchenasyl "in der Praxis wieder mit Leben zu füllen". Dies sei "auch die Ausrichtung der laufenden Vorbereitung der anstehenden Gespräche mit den Kirchen". Die Forderung nach solchen Gesprächen hatte die Länder-Innenministerkonferenz im Dezember 2017 auf Antrag Schleswig-Holsteins angesichts stark gestiegener Zahlen beim Kirchenasyl beschlossen.
https://www.focus.de/politik/deutsch...d_8700042.html