Wie der Tafel-Chef den Aufnahmestopp für Ausländer verteidigt
Die Essener Tafel hat erklärt, vorerst nur noch Deutsche neu anzunehmen. Andere Tafeln gehen ähnlich vor, machen es nur nicht so deutlich, behauptet der Essener Vorsitzende Jörg Sartor im Interview.

Die Essener Tafel hat erklärt, dass auf unbestimmte Zeit nur Deutsche neue Berechtigungskarten für Lebensmittel bekommen. Von den 1.800 Berechtigungskarten seien zwischenzeitlich 61 Prozent an Ausländer gegangen, sagt der Vorsitzende der Essener Tafel, Jörg Sartor. Durch die Beschränkung solle verhindert werden, dass langjährige ältere und alleinstehende Nutzer sich verdrängt fühlen und wegbleiben. Seine Entscheidung hält er nach wie vor für richtig – das würde er auch der Kanzlerin erklären, sagt er im Interview.
Herr Sartor, was ist aktuell bei Ihnen los?
Jörg Sartor: Die Hölle. Ich hatte schon drei Fernsehinterviews. Im Moment macht mir Berlin die Hölle heiß, der Bundesverband. Ich soll das zurücknehmen, wegen der Sponsoren und so. Die können mich mal gern haben. Das ist ein Vorstandsbeschluss aus dem Dezember, nachdem wir lange Monate drüber geredet haben. Wir praktizieren das seit dem 10. Januar, und es gab seither nicht eine negative Geschichte. Aber auf einmal spielt die ganze Welt verrückt. Ich bin stellvertretender Vorsitzender des Landesverbands NRW, und da melden sich jetzt Vorstandskollegen, die seit Dezember davon wissen.
Der Bundesverband hat mir erklärt, dass es andere Lösungen gibt und Sie von mehr als 900 Tafeln die erste sind, die diesen Weg geht.
Das stimmt nicht. Ich behaupte, es gehen mehr so vor, nur sind wir die ersten, die das so auf ihre Internetseite gestellt haben. Wir hätten das Ganze auch heimlich machen können.
Wollten Sie denn, dass darüber gesprochen wird?
Nein, Nein! Wir wollten damit nur nicht so agieren wie andere Gutmenschen, die nach außen hin das so verkaufen und in Wirklichkeit anders denken.
Sie sprechen von Gutmenschen. Sind Sie Schlechtmensch?
Ich bin Realist, das ist der Unterschied. Ich streichele die Sache nicht gesund. Wir hatten den ganzen Dezember einen generellen Aufnahmestopp, weil wir gar keine Plätze hatten und geben seit dem 10. Januar wieder Karten aus. Wir haben einmal die Woche Aufnahme mit circa 80 bis 120 Leuten, die dann vor der Tür stehen. Davon haben wir mehr als die Hälfte jeden Mittwoch zurückgeschickt. Und auch danach gab es keinerlei Proteste, weil wir denen das ja vernünftig erklärt haben.
Kann man das vernünftig erklären?
Wir haben ja nicht gesagt "Ausländer raus", sondern wir haben gesagt, wir haben keine weiteren Plätze im Moment für Ausländer. Im Moment, nur im Moment. Wir haben das entschieden, und dann stehen wir auch dazu. Egal, was in Berlin passiert. Der Bundesvorsitzende ist Mitglied der Essener Tafel, der wohnt in Essen. Der spricht mit Sicherheit mit mir kein Wort mehr.
Aber wenn der aus Essen ist, hat der auch mitbekommen, wenn die Oma wegbleiben sollte, weil sie Angst ...
Moment! Angst ist der falsche Ausdruck. Wenn die Leute Angst hätten, würden wir was falsch machen, dann würden wir unserer Fürsorgepflicht nicht nachkommen. In die Richtung gibt es auch keinen Anlass. Die haben Beklemmung, ein Störgefühl, aber nicht Angst.
Bei anderen Tafeln gibt es unterschiedliche Abholtage für unterschiedliche Gruppen, auch für verschiedene Sprachen, damit es auch da keine Probleme gibt. Das sagt jedenfalls der Bundesverband.
Was ist dann anders? Montags für Deutsche, Mittwochs für Ausländer. Wo ist da der Unterschied? Die haben auch eine Quotenregelung. Nur wir gehen damit anders um. Die machen sich alle einen schlanken Fuß, und sagen, wir gehen der Sache aus dem Weg, wir nehmen montags die Oma, dienstags die Alleinerziehenden und mittwochs den Ausländer. Das wollen wir nicht, wir wollen ja eine Integration statt dieser Trennung, das ist doch was Vernünftiges.
Aber die anderen haben doch keinen Aufnahmestopp für Ausländer?
Doch, wenn die Mittwochsplätze alle voll sind. Verstehen Sie, das ist doch das Gleiche in Grün. Ich habe am Montag zum Beispiel 100 Plätze für die Oma, am Mittwoch 100 für den Syrer und am Freitag 20 für den Afghanen. Da mache ich doch auch einen Aufnahmestopp. Wenn die 100 Plätze bei den Syrern voll sind, dann tue ich doch nicht den nächsten Syrer montags zu den Omas.
Wieso können Sie denn nicht einfach mehr als die 1.800 Plätze anbieten? Fehlt es an Lebensmitteln oder an Helfern?
Vor 13 Jahren habe ich die Tafel übernommen mit dreieinhalb gammeligen Autos und zwei Ausgabetagen. Und dann sind wir gewachsen und haben jetzt mittlerweile sieben neue Autos vor der Tür stehen und haben vier Ausgabetage und elf Ausgabestellen. Irgendwann vor fünf, sechs Jahren haben wir gesagt: Schluss. Schluss! Die 1.800 haben wir uns gesetzt. Wir könnten sicherlich in Essen noch mehr machen, wir könnten noch fünf Autos laufen haben, wir könnten noch mehr Lebensmittel ranschaffen. Aber wir arbeiten auch alle ehrenamtlich.
Also bräuchten Sie mehr Helfer für mehr Hilfe?
Nein, das ist ja ein Riesenbetrieb. Wir wollen nicht das Rote Kreuz, die Caritas oder die Diakonie werden. Wer mehr machen will, soll mehr machen. In drei Wochen haben wir Vorstandswahlen, deswegen kommt mir das auch gelegen, dass dieser Shitstorm jetzt kommt. Da kann sich gerne jederzeit einer vorne hinstellen und sagen, ich mach das für den Sartor. Käme mir nicht ungelegen. Aber sie werden keinen finden. Der Sartor mit seiner Mannschaft hat gesagt, die 1.800, dann ist Schluss.
Und der Sartor mit seiner Mannschaft sagt, es werden keine Ausländer mehr aufgenommen. Was antworten Ihnen diese Menschen?
Wir erklären das, und dann akzeptieren die Leute das. Es haben schon mal Hilfsstellen angerufen für Flüchtlinge, die sagen, dass bei ihnen jemand sitzt, der das nicht verstanden hat. Da haben wir das erklärt, prima, alles klar.
So einfach? Auch Beratungsstellen hatten dann Verständnis?
Verstanden, oder hingenommen, weiß ich nicht. Da will ich mich nicht festlegen. Vor allem haben es die Kunden alle akzeptiert. Da war nicht einer dabei, der sich benachteiligt fühlte. Vernünftig erklären, und in sechs oder acht Wochen sieht die Welt wieder anders aus. Dann nehmen wir wieder welche.
Was hat sich dann geändert?
Der prozentuale Anteil. Es scheiden ja Leute aus, weil man ein Jahr kommen darf und dann ein Jahr Pause machen muss. Es werden dadurch ständig Plätze frei.
Das steht seit Dezember auf ihrer Internetseite, und bislang gab es keine Debatte. Hatten Sie keine Sorge, dass sich Leute darauf stürzen, die begierig nach Beispielen suchen, dass es Deutschen durch Flüchtlinge schlechter geht?
Als wir es auf die Internetseite gestellt haben, haben wir überlegt, dass etwas kommen könnte
Und wie wurde es jetzt bekannt?
Das ist einer Reporterin der "WAZ" aufgefallen, die wegen eines anderen Themas hier war. Wer dreimal bei der Lebensmittelausgabe der Tafel fehlt, verliert seine Karte für ein Jahr. Und bei uns werden Leute lebenslang gesperrt, wenn sie sich daneben benehmen.
Sie fahren generell einen harten Kurs.
So was passiert nicht oft, zwei-, dreimal im Jahr, aber die Leute wissen, wo bei uns die Glocken hängen. Wegen dieses Themas war sie da, da kamen wir auch auf den Aufnahmestopp.
Der Vorsitzende des Integrationsrats der Stadt Essen, der CDU-Politiker Miguel Martin González Kliefken, hat der „Bild“ nun gesagt, Ihr Schritt sei in dieser Form nicht nachvollziehbar – und auch nicht akzeptabel. Was sagen Sie dem?
Er kann es ja machen. Und von mir aus kann die Angela mich anrufen. Ich würde der das so sagen, wie es ist.
Und wenn die Kanzlerin anriefe, würden Sie der denn noch was anderes sagen wollen zum Thema Tafeln und Sozialpolitik?
Passen Sie mal auf: Wenn wir morgen die Tür abschließen in Essen, dann geht es zwar vielen schlechter, aber es verhungert kein Mensch. Das hören Sie vielleicht von mehr als der Hälfte der Tafeln anders. Wir sind nicht für die Grundversorgung zuständig, das ist eine staatliche Aufgabe. Wir sind eine Zusatzversorgung. Wir verstehen uns so, dass wir Lebensmittel vor der Vernichtung bewahren und damit bedürftigen Menschen helfen.
Meinen Sie denn, dass Sie von manchen Menschen missbraucht werden?
Nein, die Menschen müssen ja die Bedürftigkeit nachweisen mit Papieren. Ob man bedürftig ist, wenn man auf staatliche Leistungen angewiesen ist, ist eine philosophische Frage. Ich persönlich sage: Mit Hartz IV kann man leben, es gibt Hunderttausende, die ohne Tafel von Hartz IV leben. Ich möchte aber nicht davon leben müssen. Und jetzt muss ich leider aufhören. Ich hab 17 entgangene Anrufe während unseres Telefonats.
http://www.t-online.de/nachrichten/d...-aufnimmt.html