Es ist natürlich immer gut, wenn den geflüchteten Massen auch genügend Lebensmittel zur Verfügung gestellt werden, möglichst auf hohem Niveau, also mit allerlei seltenen Zutaten und Gemüse, Obst und vor allem Fleisch.

Das ist eine der täglichen Integrationsmeldungen rund ums Essen. Diese Meldungen konkurrieren mit den Fußballmeldungen rund um die Integration.

Eine Meldung des Deutschlandfunk Kultur:

Integration am Kochtopf
Liebe geht durch den Magen


Clevere Aktivisten sind auf eine eigentlich nahe liegende Idee gekommen: Warum nicht die Integration von Geflüchteten am Kochtopf fördern? Die Einheimischen rennen dem Projekt "Kitchen on the run" die Containertüren ein.
Auf dem Kirchplatz im Bielefelder Stadtteil Brackwede stehen rund 30 Menschen vor einem blauen, nach einer Seite offenen Schiffscontainer. Einer Mitarbeiter des Berliner Vereins "Über den Tellerrand":


"Von meiner Seite auch noch mal herzlich willkommen in dieser Küche. Wir wünschen uns, dass ihr euch fühlt wie bei euch zu Hause. Das bedeutet, ihr dürft reingehen und alles aus den Regalen nehmen was ihr braucht. Habt keine Angst oder Scheu…"



Berliner Architekturstudenten haben das Behältnis zu einer mobilen Küche umgebaut: Ein deckenhohes, wandfüllendes Regal voller Gewürze, Teller, Tassen, Töpfe, Messer, Schneidebrettchen und weiteren Küchenutensilien. Davor stehen auf dem eingebauten Holzfußboden zwei fest installierte Gasherde, eine Spüle und drei zusammenklappbare Kochinseln.
Die Studenten hatten etwas davon, die Aktivisten auch, denn irgendjemand bezahlt ja diese Aktionen.

Die Beheimateten

Bevor es losgeht, waschen sich alle die Hände.
Mit dem mobilen Küchencontainer ziehen drei Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Berliner Vereins "Über den Tellerrand" durch Deutschland. Jeweils vier bis sechs Wochen lang laden sie Einheimische und Flüchtlinge dazu ein, hier gemeinsam zu Kochen und zu Essen.
Man beachte auch die Wortwahl. Deutsche sind die Beheimateten.

Die Geflüchteten erfahren von dem Angebot meist über Aushänge in Sprachschulen und Unterkünften. Die drei Mitarbeiter des Projekts gehen auch persönlich in die Unterkünfte und werben für die Kochabende.


"Die Beheimateten erreicht man auch sehr gut über die Presse, entweder über unsere Homepage, über Berichte in den Medien…"



– erklärt Organisatorin Agnes Disselkamp. Die "Beheimateten" – so nennt sie die Einheimischen. Der Andrang ist groß.
Gemeinsame Sprache: Hände und Füße

"Hier in Brackwede ist es der Wahnsinn. Da hatten wir schon in unserer Anfangszeit im Juni, da wollten sich Leute in Bielefeld schon für uns anmelden, wo es noch gar nicht ging."



so Disselkamp. Integration funktioniert am Kochtopf sehr gut.


"Die gemeinsame Sprache sind immer Hände und Füße. Wir haben offene Regale, in denen man alles sieht, auch mit Schildern beschriftet. Ansonsten ist gerade das Kochen eine so gute Möglichkeit, sich zu begegnen, weil man viel zeigen kann, man kann etwas vorschneiden und der andere schneidet es genauso nach. Man muss nicht viel reden."



Tatsächlich verständigen sich auch an diesem Abend Einheimische und Flüchtlinge problemlos.
Welche Lebensmittel kommen auf den Tisch? Verklausuliert heißt es hier: Kuh, nur Kuh. Gemeint ist damit das teure Rindfleisch, dass sich Empfänger von Sozialleistungen, leben sie reell nach Hartz IV, eigentlich nicht leisten können. Schwein ist wesentlich billiger, auch das teurere Geflügel.

Wichtig ist, keine Frage, dass das Fleisch und Essen halal sind. Das begründet natürlich auch das teure Rindfleisch. Gekocht wird selbstverständlich ganz im Zeichen der Integration keine deutsche Küche.

Kuh, nur Kuh

"…und Fleisch? Kuh, nur Kuh… Zwiebeln sehr klein schneiden und mit Öl braten und dann alles dazugeben."



Gastgeber bringen ein Rezept mit und leiten die Gäste beim Kochen an.


"Wir kochen sehr viel halal für die Geflüchteten, die einen muslimischen Hintergrund haben, denen das oft wichtig ist."



– erzählt Organisatorin Agnes Disselkamp:


"Wir sind in arabischen und türkischen Supermärkten unterwegs und kaufen dort auch viele Gewürze. Und was Schweinefleisch angeht merken wir es immer an, dass viele das nicht essen können. Und wenn die Person das trotzdem gerne machen möchte, dann ist das völlig in Ordnung. Und ansonsten sagen die Leute oft auch: ach, man kann das auch mit Rind machen oder mit Hühnchen."



Besonders gerne erinnert sich Agnes Disselkamp an das Fastenbrechen im Ramadan und das Zuckerfest im Kochcontainer.


"Das haben wir dann in Lörrach gefeiert. Wir hatten gehofft, dass wir so 30 Leute werden, auch darum gebeten, dass alle für ein offenes Buffet etwas mitbringen und dann ab ein Uhr kamen die Leute an mit Schüsseln, mit Töpfen, mit Reisgerichten, mit viel Süßigkeiten. Und dann war der Platz in kürzester Zeit voll mit 200 - 300 Leuten. Wir hatten einen syrischen Oud-Spieler, einen Rapper aus Sierra Leone, die Leute haben getanzt. Das war megaschön. Wir waren total überwältigt."
Amre aus Aleppo ist stolz auf seine arabische Küche. Deswegen hält er auch an dieser fest und probiert nicht die deutsche Küche. Das wird ergänzt durch die Kochaktivisten, die ebenfalls gerne auf die deutsche Küche verzichten. Integration eben.

Gemeinsam statt alleine

Amre aus Aleppo ist stolz auf seine arabische Küche. Ihm ist vor allem das gemeinsame Essen wichtig.


"Die beste Sache ist: ich habe nicht alleine zu Hause gegessen. Das gefällt mir sehr und das Essen war total gut. Es ist richtig traurig, wenn du alleine zu Hause kochst. Das dauert zwei Stunden manchmal. Und dann, wenn du alleine isst fühlst Du Dich traurig eigentlich."
Vor allem Frauen aus den Flüchtlingsfamilien genießen es, wenn sie den deutschen Teilnehmern auch mal etwas zeigen können und nicht nur die Fremden sind, die lernen und sich anpassen müssen.


"Minze. Dolma, ist ein arabisches Essen und Reis mit Fleisch mit Gemüse…."



Von den rund 30 Teilnehmerinnen und Teilnehmern sind etwa die Hälfte Einheimische. Petra Beiderbeck engagiert sich über ihre evangelische Kirchengemeinde für Flüchtlinge. Als vor zwei Jahren plötzlich 450 Geflüchtete in ihrem ländlichen Bielefelder Vorort Ummeln unterkommen sollten, war auch ihr mulmig zumute.


"Ich war damals auf der Anfangsveranstaltung bei uns in der evangelischen Kirche völlig entsetzt, wie aggressiv die Leute da waren. Ich hatte auch Angst, keine Frage, aber ich habe gesagt, ich muss mich der Angst stellen und das kann ich nur, indem ich die Leute kennenlerne. Und das war bis jetzt die beste Entscheidung die ich treffen konnte."
"Das ist lecker"

Den mobilen Kochcontainer "Kitchen on the Run" hat die örtliche Diakonie nach Brackwede eingeladen.


Martina Schüler, Stadtteilkoordinatorin der Diakonie, hat über ein Rundschreiben des Bundesverbands von "Kitchen on the Run" erfahren und ihren Chef sofort dafür begeistert.


"Der christliche Glaube beinhaltet, dass jeder Mensch individuell ist und einzigartig. Dieses Projekt, "Kitchen on the Run", hat zum Ziel, dass sich Menschen auf Augenhöhe begegnen. Und genau das ist für geflüchtete Menschen oft schwierig – einmal den Kontakt, zu den Einheimischen zu gewinnen, aber dann auch auf Augenhöhe wahrgenommen zu werden und nicht einfach nur als Menschen, die Hilfe brauchen."



An diesem Abend sind alle vom gemeinsamen Kochen und Essen begeistert. Gérard, selbständiger Unternehmensberater kurz vor der Rente, hat von den mitkochenden Flüchtlingen einiges gelernt.


"Ich lerne hier ganz viel. Alleine schon wie man jetzt Auberginen-Scheiben zubereiten kann, interessant geschnitten, nur die Schale in Streifen geschnitten. .… So Auberginen-Scheiben zu braten ist eine einfache Geschichte, das ist lecker."
Zum Schluss sind alle satt und zufrieden. Nach dem gemeinsamen Spülen und Aufräumen versammelt Agnes Disselkamp alle zu einem Abschiedsritual in der lauen Spätsommernacht.


"Wir drehen uns nach rechts, unserem rechten Nachbarn auf die Schulter und sagen Dankeschön, und wir nehmen die linke Hand in die Mitte, wir drehen uns nach links und sagen Dankeschön, Dankeschön."
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