Von Azadê Peşmen

Rassismus: Die Angst der anderen

Nicht alle waren vom Wahlergebnis der AfD geschockt. Diejenigen, die aufgrund ihres Aussehens als nichtdeutsch wahrgenommen werden, machen sich schon länger Sorgen.

Der Hass ist nicht neu. Nicht für uns. So ungefähr lässt sich Mely Kiyaks Festrede auf der Preisverleihung der Otto Brenner Stiftung 2016 zusammenfassen. So ungefähr lässt sich auch die Reaktion derjenigen zusammenfassen, die seit Jahren das spüren, was die AfD in ein politisches Programm gegossen hat.




Der Hass kam, wie auch Mely Kiyak bereits feststellte, nicht erst mit der Kommentarfunktion im Internet und auch nicht mit den Menschen, die in Deutschland Schutz suchen. Damit eine Partei wie die AfD erfolgreich werden kann, braucht es einen diskursiven Boden und den haben der AfD unter anderem Politiker wie Thilo Sarrazin geebnet. Seit seinem Deutschland schafft sich ab war es wieder in der Mitte der Gesellschaft möglich geworden, degradierend von Genen, Kulturkreisen und Kopftuchmädchen zu sprechen und all das in Buchform ziemlich erfolgreich zu vermarkten. Die These, dass die Zahl der Muslime in Deutschland immer weiter steigt und sich das Land deshalb abschafft, weist Parallelen mit der Zwangsislamisierungsrhetorik der AfD auf und zuletzt mit der Ansage Alexander Gaulands, man werde sich das Land und das Volk "zurückholen".


Solche und andere Thesen als ganz normale Meinungen aufzufassen, ist fahrlässig und normalisiert Rassismus. Das ist kein Rechtspopulismus, das sind keine Sorgen und auch keine Ängste. Angst haben müssen diejenigen, die in der Schusslinie der AfD stehen. Damit meine ich nicht nur die rhetorische Schusslinie, denn es bleibt beim Hass selten bei der Theorie, weder bei Sarrazin noch bei der AfD. Wenn es in Ordnung ist, rassistische Aussagen zu verbreiten und zu tolerieren, weil sie auch nur Meinungen sind, was hält dann die Menschen, die sie äußern, davon ab, konkret zur Tat zu schreiten?


Nicht viel beziehungsweise gar nichts. Das zeigen die Zahlen der Anschläge auf Geflüchtetenunterkünfte, aber auch der Alltag vieler, die aufgrund ihres unarischen Aussehens, im Übrigen nicht nur von der AfD, als nichtdeutsch angesehen werden. Sie werden nachts auf offener Straße zusammengeschlagen. Sie werden in der Bahn bedroht, weil sie ein Kopftuch tragen. Sie sollen abhauen, weil es hier "zu viele" von ihnen gäbe. Der Ton ist rauer geworden.


"Scheiß Ausländerpack", geht dahin zurück wo "ihr" hergekommen seid – nachdem ich mir diese Hasstiraden eines älteren Herren anhörte, der aufgrund eines türkischen Popkonzertes befürchtete, dass "das hier nicht mehr Deutschland ist", habe ich das getan, was viele verständnisvolle Politiker erwarten. Ich bin in den Dialog getreten und habe gefragt, ob er denn auch Lust hätte, den Gashahn wieder aufzudrehen. Seine Antwort ließ nicht lange auf sich warten: "Wenn das so weiter geht, dann ja." Es gibt keinen Rechtsruck, es ist schlicht das sagbar geworden, was vor einigen Jahren noch höchstens unter hervorgehaltener Hand geraunt wurde.


Die Einstellungen, die zu den beschriebenen Verhältnissen führen, kommen nur dann zustande, wenn es genug Menschen gibt, die es normal finden, Menschen aufgrund ihres Aussehens und/oder ihrer Religion rassistisch zu behandeln. Dazu gehören auch diejenigen, die in der Bahn sitzen bleiben und nicht aufstehen, wenn ein Fahrgast mit der Hand eine Pistole formt, sie auf eine Muslimin richtet und nebenbei seine Hasstiraden von sich gibt. Das sind sehr vermutlich dieselben Fahrgäste, die nichts sagen, während an der Bushaltestelle jemand brüllt: "Scheiß Kanaken! Die dürfen in die Turnhallen! Aber 'ne Buslinie für uns gibt es nicht! Die sollen alle verbrennen, die Moslems! Was wollen die eigentlich hier? Können die nicht in ihren Ländern bleiben und ihre Länder verteidigen? Die sind alle feige! Ich bin auch hier und kann mein Land verteidigen! Ich habe eine Knarre!"


Das sind auch keine Einzelfälle, sondern nur ein kleiner Auszug dessen, was Alltag in Deutschland ist. Während dieser Alltag an vielen Orten stattfindet, im übrigen in der gesamten Bundesrepublik, nicht nur im Osten, werden die Forderungen, Sprache zu entrassifizieren aus fast allen politischen Richtungen ad absurdum geführt. Man müsse sich doch um die richtigen, die echten Probleme kümmern, die durch Rassismus verursacht werden. Wie echt, wie offensichtlich und wie lebensbedrohlich soll es denn noch werden?


Man muss Menschen erst einmal entmenschlichen, bevor man ihre Häuser anzündet, sie zusammenschlägt und ihnen das selbstverständlichste überhaupt verwehrt: das Recht zu existieren. Und diese Entmenschlichung funktioniert ziemlich gut über Sprache: das N-Wort, Schwuchtel, Spast, Kanake.


Als ich zum wiederholten Mal erklärt habe, dass ich mit letzterem Ausdruck nicht bezeichnet werden möchte, musste ich mir von der Person, die den Ausdruck benutzte, anhören, dass sie das nicht so meint, sondern nur so im Spaß sagt. Sie bestand trotzdem darauf, mich weiterhin so zu bezeichnen – weil sie es eben kann. Reden und im Dialog bleiben gehören eben nicht immer zu den Patentlösungen.

Deshalb wird eine vermeintlich aufgeklärte Gesellschaft auch nie irgendein Unheil abwenden können. Solange sie nach wie vor die Wahl hat, sowohl physisch als auch verbal, dem eigenen Rassismus freien Lauf zu lassen, wird sie davon Gebrauch machen. Unabhängig davon, wie oft man mit offen bis subtil rassistischen Menschen in den Dialog tritt und die andere Wange hinhält. Das weiß ich (und mit Sicherheit auch viele andere) aus Erfahrung, denn: Der Hass ist nicht neu. Nicht für uns.
http://www.zeit.de/kultur/2017-09/ra...ors_picks=true