Wahlrecht für Ausländer – Mittel zur oder Belohnung für gelungene Integration

Am Sonntag geht ganz Deutschland wählen. Ganz Deutschland? Nein! Etwa acht Millionen Menschen, die in diesem Land leben aber keinen deutschen Pass haben, bleibt dieses demokratische Grundrecht verwehrt. Über die Problematik, die daraus entstehen kann, sprach Helmut Viksna für das StadtRadio mit Tobias Neef vom Göttinger Institut für Demokratieforschung.
In Deutschland sowie in der EU haben Ausländer grundsätzlich kein Wahlrecht, nicht bei Wahlen auf nationaler Ebene. EU-Bürger dürfen jedoch bei Kommunalwahlen abstimmen. Nicht-EU-Ausländer sind in Europa weitestgehend von der Teilnahme an Wahlen ausgeschlossen.
In diesem Jahr ist in Nordrhein-Westfalen ein von den Grünen, SPD und Piraten initiierter Gesetzesentwurf, Bürgern aus sogenannten Drittstaaten das Wahlrecht bei Kommunalwahlen einzuräumen, gescheitert. Für die Bundestagswahlen gibt es solche Bestrebungen der Politiker bisher nicht. Kein deutscher Pass, keine Stimme. Das hat das Bundesverfassungsgericht 1990 so entschieden. Tobias Neef ist wissenschaftlicher Mitarbeiter beim Göttinger Institut für Demokratieforschung. Er erforscht den Wandel westlicher Demokratien. Neef unterstützt ein Wahlrecht für alle.
Tobias Neef, 28 Sekunden „Die notwendigste Entwicklung, die wir bräuchten, wäre eine die sich mehr oder minder an der Permanenz des Aufenthalts orientiert. Es gibt Länder wie Chile, die solche Regelungen haben, wo nach fünf Jahren permanenten Aufenthalts den Menschen halt das Wahlrecht zugesprochen wird und das unabhängig von ihrer Herkunft. Solche Grundrechte sind meines Erachtens nach in einer globalisierten Gesellschaft schlicht und ergreifend notwendig, weil Mobilität zu einer Anforderung an die Menschen geworden ist.“
Geschichtlich gab es immer wieder demokratische Inklusionsschübe, die großen Gruppen das Wahlrecht nach und nach ermöglichte. Das Recht der Arbeiter, der männlichen, dann später der Frauen zu wählen und sich politisch zu engagieren, wurde im 19. und 20. Jahrhundert eingeräumt. Zur Bundestagswahl 2017 gehen um die acht Millionen volljährige Ausländer nicht zur Urne. Ein wachsendes Problem bei steigenden Ausländerzahlen, meint Neef.
O-Ton 2, Tobias Neef, 34 Sekunden
„Unser repräsentatives System gibt Menschen bestimmte Möglichkeiten sich gesellschaftlich zu beteiligen und es sorgt damit dafür, dass Parteien gezwungen sind eigentlich sich auch irgendwo an den Menschen zu orientieren. Es sorgt ja genau da für eine Rückkoppelung an die Gesellschaft. Wenn wir einen wachsenden Teil der Gesellschaft haben, der nicht repräsentiert wird und keine Möglichkeit hat überhaupt an diesem politischen Spiel teilzunehmen, dann ist es natürlich so, dass Probleme, soziale Konflikte und Widersprüchlichkeiten, mit denen diese Menschen konfrontiert sind, deutlich schwieriger bearbeitet werden können.“
O-Ton 3, Tobias Neef, 23 Sekunden
„Man stellt eigentlich Asymilationsforderungen und Inklusionsforderungen und sagt, wenn die erfüllt sind, dann dürfen die Leute wählen, weil man irgendwie denkt, dass sie dann das politische Spiel nicht mehr verändern würden. Ich glaube es ist eher anders herum. Wir brauchen halt Formen von Partizipation, damit Menschen inkludiert werden und damit wir in der Lage sind soziale Konflikte zu bearbeiten.“
Neef wünscht sich zukünftig eine sachlichere Debatte über das Wahlrecht für alle und nicht eine, die Ängste schürt. Begründet seien diese Ängste nicht, sondern würden strukturellen Rassismus aufzeigen.
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